Wie feiert man Weihnachten in der Notschlafstelle?
- Text: Julia Heim, Kerstin Hasse, Viviane Stadelmann, Leandra Nef; Foto: Pexels
Sie sitzen am 24. Dezember mit Ihrer Familie um den Weihnachtsbaum? Wir auch. Aber wie feiert man eigentlich bei der Polizei, im Pfuusbus oder im Flughafentower? Wir haben nachgefragt.
… in der Notschlafstelle Pfuusbus?
Peter Haibucher, Mitarbeiter des Sozialwerk Pfarrer Sieber, erzählt:
«Weihnachten bedeutet für mich gelebte Nächstenliebe. Seit neun Jahren arbeite ich im Pfuusbus. Er bietet Platz für 45 Menschen, es finden aber auch 50 Personen einen Schlafplatz, wenn alle noch mehr zusammenrücken. Über die Festtage ist der Pfuusbus jede Nacht geöffnet – an den Sonn- und Feiertagen zudem auch tagsüber. Wir bieten unseren Gästen die Möglichkeit, bei Gesellschaftsspielen, beim Malen und Töpfern sowie Gesprächen Gemeinschaft zu erfahren. Sie ist für die vereinsamten Menschen ein wichtiger Aspekt, um den Pfuusbus als Notschlafstelle zu wählen. Unser Pikett-Telefon ist rund um die Uhr in Betrieb.
An Heiligabend beginnt unsere Feier um 20 Uhr. Abschnittsweise lesen unsere Gäste laut vor. Anschliessend servieren wir ein feines Essen. Wie an den anderen Abenden ist dann ein Hüttenwart verantwortlich für den Betrieb im Bus. Zudem arbeiten zwei Freiwillige in der Küche. Diese sorgen für das leibliche Wohl unserer durchfrorenen Gäste.
Ein Fest, das besonders in Erinnerung geblieben ist: als zwei Familien am Weihnachtsabend mit Grill und Lebensmitteln vorbeikamen und von der Vorspeise bis zum Dessert das gesamte Weihnachtsessen zubereitet und serviert haben.
An Weihnachten ist es bei uns sehr friedlich. Die Gäste spüren den Geist von Weihnachten. Um den Abend festlich zu gestalten, dekorieren wir den Pfuusbus mit Weihnachtsschmuck, stellen einen grossen Baum auf und legen viele Geschenke darunter.»
… im Hotel?
Marie Reichenbach, Hôtelière im Hotel Mirabeau in Zermatt, erzählt:
«Unser Hotel ist über Weihnachten meist voll ausgebucht, das heisst wir haben um die 120 Gäste im Haus, dazu kommen unsere 45 Mitarbeiter. Viele Gäste sind uns seit Jahrzehnten treu. Wir sind ein Familienbetrieb, ich habe den Heiligabend schon als Kind oft im Hotel verbracht. Damals habe ich mit den Kindern gespielt, die heute mit ihren eigenen Kindern zu uns kommen. Einer unserer Stammgäste besucht uns seit 43 Jahren. Er hat kein einziges Mal Weihnachten im Mirabeau verpasst – ich könnte mir ein Fest ohne ihn gar nicht vorstellen.
Am 24. Dezember treffen sich am Abend alle Gäste zum Aperitif an der Bar und wir singen zusammen mit den Mitarbeitenden und unserer Familie Weihnachtslieder, begleitet von einem Musiker. Die Kinder bekommen von meiner Mutter Geschenke unter dem Weihnachtsbaum – meistens Schokolade, was dann wiederum die Eltern nicht so freut. Aber für sie gehört das zur Tradition. Zum Abendessen wird ein feierliches 7-Gang-Gala-Menü serviert, und manche unserer Gäste besuchen anschliessend die Mitternachtsmesse in der Kirche von Zermatt.
Die Stimmung ist sehr festlich, vor allem wenn draussen Schnee liegt, das sorgt wirklich für eine magische Wintermärchenkulisse. Die Atmosphäre unter den Gästen ist besinnlich, wenn auch weniger ausgelassen als zum Beispiel an Silvester. Am 31. Dezember feiern und tanzen wir nicht selten mit den Gästen bis in die Morgenstunden. Man merkt, dass Weihnachten ein Fest ist, an dem auch mal die Emotionen hochkochen. Es gibt immer wieder kleine Szenen und Dramen – vor allem bei den grossen Familien und das bekommt dann auch ab und zu das Team ab. Aber das gehört für uns dazu, genauso wie der Champagner beim gemeinsamen Aperitif und die müden Beine unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Ende des Abends. Wir alle absolvieren den Heiligabend in Abendgarderobe und in den passenden, nicht ganz so bequemen Schuhen. Aber es ist ja schliesslich Weihnachten!
Meine Eltern, die das Hotel jahrelang als Gastgeber führten, verlassen das Hotel mittlerweile ein wenig früher und mein Mann und ich bleiben bis kurz vor Mitternacht. Wenn die Arbeit erledigt ist, gehen wir nach Hause und geniessen eine grosse Sushi-Platte. Das ist unsere kleine Weihnachtstradition.»
… im Spital auf der Notfallstation?
Lea Hasler, Pflegeleiterin der Zentralen Notfallstation im Kantonsspital Graubünden, erzählt:
«Am Heiligabend sind bei uns in der Notfallstation des Kantonsspitals Graubünden fünf Pflegende und drei Assistenzärztinnen und –ärzte sowie eine Oberärztin oder Oberarzt pro Fachdisziplin im Einsatz. Auch in der Notfallstation kann die Stimmung durchaus festlich sein. Es gibt Guetsli im Personalraum, und wir versuchen, vor unserer Schicht gemeinsam zu essen. Ausserdem steht ein festlicher Baum in der Station. Sobald die Arbeit beginnt und einen fordert, hat man dafür leider kein Auge mehr.
An Heiligabend sieht man, wie an jedem Abend, das ganze Spektrum der Notfallmedizin: Die klassischen Notfallerkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall kennen keine Feiertage, und entgegen den besinnlichen Grundsätzen von Weihnachten kommt es auch häufig zu Fällen von häuslicher Gewalt. Zu Weihnachten gibt es ausserdem mehr Verkehr auf den Strassen, in einem Ferienkanton wie Graubünden sind besonders viele Leute unterwegs, die die Feiertage in den Bergen verbringen, da steigt das Risiko für Unfälle. Die Arbeit in der Notfallstation ist stets emotional anspruchsvoll und körperlich fordernd. An diesem Abend ist allerdings noch ein Stück mehr Empathie für die kranken Menschen und ihre Angehörigen notwendig. Die meisten Leute stellen sich ja diesen Abend im Kreis der Familie vor und nicht im Warteraum des Notfalls – oder gar in der Notfallkoje selbst. Ich finde es immer wieder herzig, dass sich die Patienten bei mir entschuldigen, dass sie die Notfallcrew an Heiligabend stören müssen. Ich erkläre ihnen dann, dass dies mein Job sei und die Behandlung notwendig.
Ich habe schon mehrmals an Heiligabend gearbeitet. Wir können uns zwischen einer Schicht an Weihnachten und einer an Silvester entscheiden, und diesen Abend überlasse ich gern den Kolleginnen und Kollegen, die Kinder haben. Ich wähle diese Schicht aber auch bewusst aus. Ich mag den besonderen Zusammenhalt des Teams an diesem Abend. Es wird noch etwas mehr aufeinander geachtet, und man lernt seine Kolleginnen und Kollegen nochmal von einer anderen Seite kennen.»
… im Zoo?
Alex Rübel, Direktor Zoo Zürich, erzählt:
«Unsere Tiere feiern kein Weihnachtsfest, und sie bekommen auch keine Geschenke. Nach den Festtagen jedoch bekommen manche von ihnen, zum Beispiel die Elefanten und Antilopen, übriggebliebene, unbehandelte Weihnachtsbäume verfüttert. Wir haben Lieferanten, die uns zwischen 20 und 40 Restbäume liefern, die nicht verkauft wurden. Diese exotischen Tierarten kennen zwar keine Tannenbäume in ihrem Herkunftsland, mögen das aber ganz gern. Auch bei uns heimische Rehe fressen im Winter häufig Tannenbäume, wenn sie sonst kein Futter haben.
Für die Mitarbeitenden gibt es keine spezielle Weihnachtsfeier an Heiligabend, der 24. Dezember ist aber der einzige Tag im Jahr, an dem wir eine Stunde früher schliessen. Wir haben einen Weihnachtsbaum vor dem Betriebszentrum, und es gibt immer gute Seelen unter den Kolleginnen und Kollegen, die für alle Guetsli backen. Für die Kinder unter unseren Besucherinnen und Besuchern gibt es ein Weihnachtsprogramm, und man kann die Masoala-Halle für Weihnachtsdinner mieten.»
… im Flughafentower?
Livia Bratschi, Vorfeldverkehrsleiterin bei Apron Control am Flughafen Zürich, erzählt:
«Apron Control ist für einen sicheren Flugbetrieb im Bereich der Rollwege, Vorfelder und Standplätze verantwortlich. Fünf Mitarbeitende arbeiten dafür gleichzeitig im Flughafentower. Auch an Weihnachten – obwohl an diesem Tag weniger Flugzeuge unterwegs sind als sonst. Weil immer nur eine Person Pause machen darf, können wir auch nicht gemeinsam essen. Aber jeder von uns nimmt etwas Feines mit, von dem sich dann alle eine Portion nehmen dürfen. Deswegen und auch wegen anderer kleiner Traditionen sind wir durchaus in Weihnachtsstimmung. Wir hängen Sterne an die Glasscheiben, naschen Mandarinli, Schoggi und spanische Nüssli, schmücken einen Weihnachtsbaum. Nur blinkende Lichter findet man bei uns nicht. Die Lichter auf dem Vorfeld sind für unsere Arbeit essenziell, Lichter im Tower würden da nur stören. Wenn Zeit bleibt, wünschen wir den Pilotinnen und Piloten per Funk frohe Weihnachten. Und ab und zu bedankt sich ein Pilot bei uns für die Arbeit, die wir das ganze Jahr über leisten. Viele Jahre lang gab es noch eine weitere Tradition: Auf dem Vorfeld hat ein Marshaller – ein Bodenlotse – gearbeitet, der sich um die Weihnachtstage als Samichlaus verkleidete. Das fand ich wirklich schön. Leider ist er nun pensioniert.»
… in der Einsatzzentrale der Polizei?
Rolf Schlatter, Einsatzdisponent Kantonspolizei Zürich, erzählt:
«Weihnachten bedeutet für uns mehr oder weniger normaler Arbeitsalltag. Andere Feiertage haben einen grösseren Einfluss auf unser Arbeitspensum. An Halloween müssen wir vielen Sachbeschädigungen nachgehen, an Silvester zahlreichen Ruhestörungen. Was man aber an allen Feiertagen merkt: Wenn die Leute ein paar Tage nacheinander frei haben, gehen sie sich auf die Nerven. Dann muss nur noch das Wetter schlecht sein, und schon kippt die Stimmung. Wir registrieren dann mehr Streitigkeiten und sogar den einen oder anderen Fall mehr von häuslicher Gewalt. Oft rufen uns zu Weihnachten auch Menschen an, die einsam sind oder psychische Probleme haben. Das geht vom Mitteilungsbedürfnis bis zum Suizidgedanken. Wenn Gefahr für Leib und Leben besteht, schicken wir selbstverständlich sofort eine Patrouille vorbei. Aber auch wenn die Menschen nur plaudern wollen, versuchen wir zu helfen. Wir empfehlen dann beispielsweise einen Anruf bei der Dargebotenen Hand. Trotz Arbeit herrscht in der Einsatzzentrale zu Weihnachten eine besinnliche Stimmung. Wir essen gemeinsam, haben einen Christbaum und schmücken den Raum mit Weihnachtsdeko. Mit meiner Frau und meinen Buben, 10 und 13 Jahre alt, feiere ich jeweils nach meiner Schicht noch ein wenig Weihnachten. Das grosse Familienessen findet dann aber erst ein paar Tage später statt, dieses Jahr am 27. Dezember.»
… im Schnellimbiss McDonald’s?
Sabrina Mekrez, Guest Experience Leader bei McDonald’s Plainpalais, erzählt:
«Viele alleinstehende Senioren verbringen Weihnachten bei uns im McDonald’s. Als Guest Experience Leader lege ich viel Wert darauf, dass sie an diesem Tag besonders freundlich und zuvorkommend bedient werden. Auch ich nehme mir extra viel Zeit für sie, weil ich weiss, dass sie sonst niemanden haben. Und klar, ich mache mir manchmal Sorgen: Wie geht es unseren Gästen? Was machen sie nach dem Essen bei uns? Damit sie zumindest die Zeit im McDonald’s geniessen können, schmücke ich das Restaurant gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen. Wir tragen alle Weihnachtsmützen oder Weihnachtsmannkostüme – und in der Pause essen wir gemeinsam einen McRaclette. Sowieso ist die Stimmung unter den Kollegen an Weihnachten besonders fröhlich und ausgelassen. Und auch die Gäste sind merklich freundlicher und geduldiger als sonst. Meine Arbeit macht mir also auch an den Festtagen sehr viel Spass. Und trotzdem freue ich mich natürlich auf das Ende meiner Schicht. Zuhause wartet mein Sohn, der ebenfalls Weihnachten feiern möchte.»
… im Kinderspital
Patricia Luck, Pflegeexeprtin SZT im Universitäts-Kinderspital Zürich, erzählt:
«Ich arbeite seit acht Jahren als diplomierte Pflegefachfrau und Pflegeexpertin auf der Station für Stammzelltransplantation (SZT). Dort werden Kinder die eine Erkrankung am blutbildenden System haben, zum Beispiel eine Leukämie oder Erkrankung des Immunsystems, mit einer sehr starken Chemotherapie behandelt. Dadurch werden ihre eigenen blutbildenden Zellen zerstört und es werden Blutstammzellen von einem Spender verabreicht. In dieser Zeit funktioniert das Immunsystem nicht, wodurch die kleinen Patientinnen und Patienten sehr anfällig für Infektionen sind. Darum werden sie in einer Kabine gegen Keime von aussen geschützt, das Personal und die Eltern müssen speziell strenge Hygienemassnahmen einhalten, um in die Kabine zu den Patienten zu können.
Die Eltern können am Heiligabend ein festliches Menü im Restaurant bestellen. Manche von ihnen stellen dann die Tische vor den Kabinen zusammen und beziehen sie mit einem Tischtuch, damit die Familie doch zusammen essen kann. Manchmal kommen auch Grosseltern, Geschwister oder Gotte und Götti zu Besuch. Da die Station sehr klein ist, bitten wir die Familien, dass sich aber nicht mehr als vier Personen pro Patientin oder Patient auf der Station aufhalten. Die Bezugspflegenden der Kinder besorgen für ihre Patientinnen und Patienten ein kleines Geschenk, welches wir ihnen am Heiligabend überreichen. Dazu kommen all die Geschenke, die die Eltern mitbringen. Letztes Jahr war ein Seelsorger mit einem Christbaum auf Rädern unterwegs. Die Kinder durften sich eine Christbaumkugel aussuchen, die dann am Baum aufgehängt wurde.
Da wenige Mitarbeitende im Haus sind, herrscht oft eine ruhige Stimmung. Ausserdem sind die Familien sehr dankbar dafür, dass wir versuchen, die Zeit so besinnlich wie möglich zu gestalten und mit Dekoration, feinem Essen und Geschenken für ein wenig weihnachtliche Stimmung zu sorgen.»