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Wie die UNO afghanische Frauen und Mädchen im Stich lässt

Politik

Wie die UNO afghanische Frauen und Mädchen im Stich lässt

Die UNO hat afghanische Frauen von einer Konferenz über die Zukunft ihres Landes ausgeschlossen. Weshalb das verheerend ist, schreibt Autorin Aleksandra Hiltmann in ihrem Kommentar.

#BoycottDoha3 kursierte in den letzten Tagen auf der Social-Media-Plattform X. Es ist ein Aufruf, aber auch ein Aufschrei afghanischer Frauen. Denn: Frauen waren ausgeschlossen von der internationalen Konferenz der Vereinten Nationen zu Afghanistan und es standen keine Frauenrechte auf der Agenda.

Am 30. Juni und 1. Juli fanden die Hauptverhandlungen in Doha, Katar, statt. Es war die dritte UNO-Konferenz dieser Art zu Afghanistan und die erste, an der radikal-islamistische Regierungsvertreter der Taliban anwesend waren. 

Die UNO teilte mit, dass Organisationen und Frauen aus der afghanischen Zivilgesellschaft sich separat mit Gesandten der Vereinten Nationen treffen würden – am Tag nach der Konferenz mit den Taliban. Mit diesem Vorgehen verstossen die Vereinten Nationen gegen ihre eigenen Grundsätze und lassen Mädchen und Frauen in Afghanistan im Stich. Das ist verheerend.

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«Die UNO selbst spricht gar von einem nie da gewesenen Ausmass an Unterdrückung»

Seit der Machtübernahme der Taliban 2021 hat sich die Menschenrechtslage für Frauen und Mädchen in Afghanistan drastisch verschlechtert. Die UNO selbst spricht gar von einem nie da gewesenen Ausmass an Unterdrückung. 

Wenn sie keine Burka tragen, riskieren sie Gefängnisstrafen

Der UNO-«Gender Country Profile 2024»-Bericht für Afghanistan zeichnet nach, wie Mädchen und Frauen seit der Machtübernahme zunehmend in ihrem Leben eingeschränkt werden. Sie werden von Sekundarschulen und Universitäten ausgeschlossen, von Jobs, sie dürfen keinen Sport machen, keine öffentlichen Schwimmbäder oder Parks besuchen, Schönheitssalons wurden geschlossen.

Frauen dürfen nicht mehr für UNO-Agenturen arbeiten, sich bei Reisen über 77 Kilometer nur mit männlichem Begleiter bewegen, sollten am besten das Haus nicht mehr verlassen und wenn, dann mit Burka. Verstossen sie gegen Verbote, müssen sie drakonische Strafen fürchten

Halten sich Frauen etwa nicht an Kleidervorschriften, werden sie belästigt und bedroht und manchmal verhaftet. Frauen berichteten, dass sie im Gefängnis geschlagen worden seien. Eine afghanische Zeitung schreibt, wie Frauen in Gefängnissen gefoltert und sexuell missbraucht werden.

Zahlreiche Proteste

Die Entscheidung der UNO, angesichts dieser krassen Menschenrechtsverletzungen keine Frauen, aber dafür die Taliban einzuladen, sorgte denn auch bereits im Vorfeld des Doha-Treffens international für Kritik. Organisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch zeigten sich empört. 

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«Afghanische Frauen waren erbost darüber, ihren Platz am Verhandlungstisch ihren Peinigern überlassen zu müssen»

Afghanische Frauen waren erbost darüber, ihren Platz am Verhandlungstisch ihren Peinigern überlassen zu müssen. Afghanische Aktivistinnen weltweit meldeten sich über verschiedene Medien zu Wort.

In einem Video, das der in London basierte TV-Sender Afghanistan International über X teilte, sind Frauen in Burkas in der afghanischen Stadt Herat zu sehen. Sie halten Schilder und sagen in die Kamera, dass man die Taliban-Führer nicht legitimieren, sondern sanktionieren solle. 

In einem anderen Video fordern hundert unkenntlich gemachte Frauen aus verschiedenen afghanischen Provinzen: «No women on the agenda – No women at the table – #BoycottDoha3».

Einige der Frauen, die von der UN für das Nebentreffen nach der grossen Konferenz eingeladen wurden, sagten ihre Teilnahme aus Protest ab. 

UNO torpediert eigene Prinzipien

Dabei hatte die UNO vor gerade einmal einem Jahr eine Resolution zu Afghanistan verabschiedet, die garantieren soll, dass Frauen nicht nur am Leben im eigenen Land generell, sondern spezifisch auch an Friedensprozessen beteiligt werden – gleichberechtigt, vollumfänglich und so, dass sie sich sicher fühlen können.  

Die UNO verstösst damit auch gegen die Resolution 1325 aus dem Jahr 2000. Mit dieser anerkannte der Sicherheitsrat erstmals, dass es notwendig ist, Frauen zu beteiligen, möchte man Frieden schaffen und erhalten. Sie gilt bis heute als Grundlage für die UNO-Agenda «Frauen, Frieden, Sicherheit».

Zudem zeigt die Forschung: Sind Frauen an offiziellen Friedensprozessen und -verhandlungen beteiligt, wird eher eine Vereinbarung erreicht und der ausgehandelte Frieden hält länger. Unter anderem, weil mehr Interessen vertreten und berücksichtigt werden. Weitere Studien zeigen, dass Gesellschaften, die gleichberechtigter sind, in sich und gegen aussen friedlicher sind.

«Jene globale Institution, die Menschenrechte schützen soll, beugt sich vor radikalen Islamisten»

Die UN verteidigte die Konferenz mit den Taliban unter Ausschluss der Frauen unter anderem damit, dass es sich um einen Prozess handle, in dem das jüngste Treffen nicht das einzige sei. Dass man sich engagiere, bedeute nicht, dass man legitimiere. 

Dennoch ist die Symbolik dieser Konferenz verheerend. Die Vereinten Nationen torpedieren damit ihre eigenen Prinzipien, für die Tausende Aktivist:innen jahrelang gekämpft haben. Jene globale Institution, die Menschenrechte schützen soll, beugt sich vor radikalen Islamisten, die ihre eigenen Bedingungen diktieren können.

Dass die Taliban ihren Kurs ändern werden, ist unwahrscheinlich. Ihr Chefsprecher sagte im Rahmen des UN-Treffens, dass der Westen über die Massnahmen gegen afghanische Frauen und Mädchen hinwegsehen solle, um bilaterale Beziehungen zu ermöglichen. 

Es bleibt der unvorstellbar mutige Protest in ihrem Land, den die afghanischen Frauen trotz der ihnen drohenden Gewalt fortsetzen.

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