Wie bringt man Frauen in Führungspositionen?
- Interview: Denise Jeitziner; Foto: Caspar Martig
An die Spitze oder: Wie bringt man Frauen in Führungspositionen? Nur mithilfe der Männer, sagt Anne Küng Gugler, Kaderfrau im Seco.
ANNABELLE: Anne Küng Gugler, der Frauenanteil in Unternehmungsleitungen beträgt nur knapp vier Prozent. Wer hat eigentlich ein Problem mit Frauen in Führungspositionen: Die Männer, oder sind es die Frauen selbst?
ANNE KÜNG GUGLER: Ich finde es gefährlich, Frauen gegen Männer auszuspielen – auch im Hinblick darauf, Lösungen zu finden, denn ohne die Einbindung der Männer werden wir nicht weiterkommen. Tatsache ist: Die Probleme sind vielfältig. Es sind immer noch hauptsächlich die Frauen, die Familie und Beruf vereinen müssen. Für sie ist es ein tägliches Rennen, denn die Situation in Bezug auf Familienpolitik, flexible Arbeitsbedingungen oder Kinderbetreuung ist absolut ungenügend. Andererseits werden die meisten Leitungsfunktionen von Männern besetzt, deren Haltung direkt oder indirekt die Förderung von Frauen beeinflusst.
Bemühen sich die Frauen zu wenig, um an die Spitze zu kommen?
Ich finde, man kann nicht mehr grundsätzlich behaupten, dass sich die Frauen heutzutage nicht trauen oder ungenügend engagieren. Vor allem die jungen Frauen sind ziemlich selbstsicher
und fühlen sich gleichberechtigt. Aber ab einer bestimmten Karriere- und Altersstufe kommen gewisse Vorbehalte ins Spiel. Muss ein Vorgesetzter zwischen einer Frau und einem Mann um die dreissig mit demselben beruflichen Profil wählen, ist es wahrscheinlicher, dass der Mann den Job bekommt. Bei der Frau fällt das Alter für den ersten Karrieresprung meist genau in die Zeit, in der sich die Kinderfrage stellt. Das stellt manche Frauen vor ein grosses Problem.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) bemüht sich seit Jahren um mehr Frauen in Führungspositionen.
Getan hat sich wenig. Das Seco kann die Gesellschaft nicht von heute auf morgen verändern. Ein Sozialwandel benötigt Zeit. Strukturelle Rahmenbedingungen wie die Kinderbetreuungsangebote müssen verbessert werden. Es geht aber auch um kulturelle und persönliche Haltungen, etwa in Bezug auf die Rollenverteilung. Der Staat will den Leuten in privaten Angelegenheiten nicht vorschreiben, was sie zu tun haben. Aber leider stimmt es: Wenn man sich die Statistiken anschaut, hat sich der Anteil an Frauen von 1991 bis 2000 zwar erhöht. Seither stagnieren die Zahlen jedoch.
Wie erklären Sie sich das?
Von diesen ersten Frauen, die es zwischen 1991 und 2000 an die Spitze schafften, haben einige ganz bewusst auf Kinder verzichtet. Es steht uns jedoch ein Wandel bevor, der zeigen wird, ob der Frauenanteil nicht von allein, also getrieben durch die Marktkräfte, nach oben schnellen wird.
Welchen Wandel sprechen Sie an?
Die demografische Entwicklung sowie die Entwicklung in der Ausbildung. In ein paar Jahren werden wir einen grossen Mangel an Spezialisten und Fachkräften haben. Die Frage ist, ob dies die Vorgesetzten dazu bewegen wird, gut ausgebildete und talentierte Frauen zu fördern, statt Arbeitskräfte aus dem Ausland zu rekrutieren.
Was kann das Seco tun, dass die Entscheidung zugunsten der Frauen ausfällt?
Eine der wichtigsten Massnahmen ist es, die Kader auf allen Stufen zu informieren und zu sensibilisieren, um gewisse Vorurteile aus der Welt zu schaffen. Wir müssen aufzeigen, was Frauen dem Unternehmen bringen, dass flexible Arbeitsstrukturen nicht so viel kosten, wie häufig angenommen wird, und dass auch eine Leitungsposition teilbar ist. Das beste Beispiel ist das Arztwesen. Es hiess immer, bei Ärzten seien Teilzeit und Jobsharing unmöglich. Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Ärztinnen, der Beruf hat sich den Bedürfnissen anpassen müssen. Heute gibt es viele Praxen mit Teilzeitstellen, und sogar Chefarztposten sind im Jobsharing möglich. Und es läuft gut.
Muss nicht grundsätzlich das Bild eines Chefs neu definiert werden?
Ja. Man muss wegkommen von der kulturell bedingten männlichen Vorstellung, dass Macht etwas ist, das man allein innehat, dass Entscheide und Verantwortung nicht teilbar sind. Frauen sind eher daran gewöhnt, als Team zu führen. Teamfähigkeit ist eine der meistgeforderten Eigenschaften im Beruf. Ich habe Mühe zu verstehen, weshalb diese Eigenschaft auf den oberen Stufen plötzlich nicht mehr wesentlich sein soll.
Im Frühling haben Sie die Broschüre «Frauen in Führungspositionen: so gelingt’s» veröffentlicht. Darin findet sich ein KMU-Unternehmen, bei dem weder in der Geschäftsleitung noch im Verwaltungsrat eine Frau Einsitz hat.
Das stimmt, es hat jedoch einen ziemlich hohen Frauenanteil im mittleren und oberen Kader. Auf KMU-Ebene ist es nicht leicht, Vorzeigebeispiele zu finden.
Findet Frauenförderung in KMU nicht statt?
Durchaus, aber viele Unternehmen haben keine formellen Programme, sondern fördern Frauen implizit. Wir wollten eine gute Mischung haben zwischen grossen und kleinen KMU, verschiedenen Branchen und Regionen in der Schweiz. Deshalb haben wir auch dieses Beispiel mit null Prozent Frauenanteil gewählt. Aber allein einen bestimmten Frauenanteil im mittleren und oberen Kader zu haben, ist ein Erfolg. Nun muss man diese Frauen nur noch weiter aufsteigen lassen.
In der Broschüre wird eine Geschäftsführerin zitiert, die sagt, Frauen müssten oft zu Führungsaufgaben überredet werden.
Grundsätzlich sind Frauen einfach sehr pragmatisch. Sie wissen, dass die Familienarbeit hauptsächlich auf ihnen lasten wird und dass flexible Arbeitsbedingungen auf Führungsebene noch selten angeboten werden. Hier muss das Unternehmen seine Bereitschaft zeigen. Zudem sind Frauen oft perfektionistischer als Männer. Manche müssen noch lernen, dass man sich auch dann für eine Stelle bewirbt, wenn man nicht zu hundert Prozent dem idealen Profil entspricht. Die Männer tun das auch.
Stimmt es also, wenn die Unternehmen behaupten, sie fänden keine guten Frauen?
Nein, das stimmt nicht. Es gibt ein Schweizer Büro, Get Diversity, das eine lange Liste mit möglichen Kandidatinnen für oberste Führungspositionen und Verwaltungsräte hat.
Wären wirklich mehr Frauen an der Spitze, wenn die strukturellen Probleme wie flexible Arbeitszeiten, verbesserte Kinderbetreuung oder Weiterbildungsmöglichkeiten für Teilzeitangestellte gelöst wären?
Ich bin überzeugt, dass viel mehr Frauen dazu bereit wären. Aber man muss sie auch lassen, ihnen die gleichen Chancen geben wie den Männern. Damit die Frauen vorwärtskommen, müssen die Vorgesetzten an ihre Fähigkeiten glauben. Und wir müssen sie überzeugen, dass Frauen in Führungspositionen für ein Unternehmen gewinnbringend sind, und das sowohl in der eigentlichen wie der übertragenen Bedeutung des Wortes. Diese Überzeugung muss nicht nur in den Unternehmungsleitungen herrschen, sondern auch bei allen Linienverantwortlichen, damit den Frauen der Weg nach oben auf allen Stufen offensteht.
Wie gehen Sie bei dieser Überzeugungsarbeit vor?
Wir haben begonnen, die Diskussion wegzubringen von der Frage der Gleichstellung, der sozialen Verantwortung sowie vom Vorwurf des Paternalismus. Wir versuchen stattdessen, den Verantwortlichen mit volks- und betriebswirtschaftlichen Argumenten klarzumachen, dass es dem Unternehmen nützt, wenn der Geschlechteranteil ausgeglichener wird.
Wie erklären Sie sich, dass es in den vergangenen Jahren vor allem Frauen waren, Eva Herman etwa oder aktuell Bascha Mika, die mit den Frauen hart ins Gericht gehen?
Das zeigt lediglich, dass auch unter Frauen die unterschiedlichsten Meinungen existieren, wenn es um die Rolle der Frau geht, vom traditionellen Bild bis zur völligen Gleichberechtigung. Aber auch die Medien tragen eine Mitschuld, weil sie in der Auseinandersetzung mit diesem Thema ständig die Stereotype wiederholen – hier die Vollbluthausfrau, dort die Karrierefrau. Als ob das der Normalfall wäre.
Warum klappt es mit dem Frauenanteil in der Politik eigentlich besser als in der Wirtschaft?
Weil die Parteien sich teilweise selbst Frauenquoten auferlegt haben.
Wäre demnach auch in der Wirtschaft eine Quote sinnvoll?
Momentan gibt es in der Schweiz für die Einführung einer Quote keine politische Mehrheit.
Wie viele Frauen werden in zehn Jahren Führungspositionen innehaben?
Hier eine konkrete Prognose abzugeben, wäre letztlich unseriös, weil so viele verschiedene Faktoren mitspielen. In der gesamten Diskussion habe ich jedoch festgestellt, dass die Männer sowohl im privaten wie im beruflichen Bereich vermehrt Bereitschaft signalisieren, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu ermöglichen. Sowohl für Männer wie für Frauen. Jetzt müssen sie den Worten nur noch Taten folgen lassen.