Können wir Gutes tun, ohne das Narrativ von weissen Retter:innen zu fördern? Ja, das können wir. Und wir müssen auch, schreibt Autorin und Rassismusexpertin Anja Glover.
Ende Jahr ist die Spendenbereitschaft besonders gross. Es ist die Jahreszeit des Gebens und des Teilens – aber auch die des sich Auseinandersetzens mit den Steuern. Wer spendet, erledigt gleich alles in einem: Gutes tun und sich um die eigenen Finanzen kümmern, denn viele Spenden können von den Steuern abgezogen werden. Aber gut gemeint ist nicht automatisch gut gemacht.
Oft wird Organisationen gespendet, die laut Definition humanitäre Hilfe leisten. Viele dieser Organisationen sehen sich auch in der sogenannten «Entwicklungszusammenarbeit». Der Begriff und der Gedanke der Entwicklung sind jedoch problematisch und Teil eines kolonialen Projekts. Die sogenannte «Entwicklung» basiert nämlich auf der Ausbeutung derer, die nach diesem kolonialistischen Projekt in «weniger entwickelten Gebieten» leben.
Wohin hat uns diese «Entwicklung» gebracht?
Und betrachtet man den Entwicklungsgedanken etwas genauer, so drängt sich doch die Frage auf, wohin uns diese «Entwicklung» gebracht hat. Mit entwickelten Ländern sind nämlich die ökologisch katastrophalen Vorbilder westlicher Industriegesellschaften gemeint. Diejenigen, die auch für die Naturkatastrophen verantwortlich sind – unter denen wiederum die Menschen am meisten leiden, denen mit den Spenden geholfen werden soll.
Schätzungen zufolge verlieren auch heute noch jedes Jahr Millionen von Menschen ihre Lebensgrundlage als Konsequenz von Projekten im Namen der Entwicklung. Der Entwicklungshilfesektor ist – auch wenn er es gut meint – selbst ein rassistisches Instrument, das in koloniale Strukturen und Machtungleichheiten eingebettet ist. Was Spenden also hauptsächlich bewirken, sind allenfalls kurzfristige Lösungen und vor allem aber: ein gutes Gefühl bei den Spender:innen.
Weisse Retter:innen
White Saviorism bezeichnet das Phänomen, dass Menschen glauben – bewusst oder unbewusst –, dass ihre Erziehung, ihre Herkunft und ihre (Aus-)Bildung ihnen das Wissen, das Recht und die Legitimation verleihe, andere Menschen zu «retten» oder «aufzuklären». Diese anmassende Überschätzung der eigenen Rolle fusst auf rassistischen und vom Kolonialismus geprägten Weltbildern, die bis heute auf der Vorstellung einer Vormachtstellung und «Weiterentwicklung» europäischer Gesellschaften im Vergleich zum Rest der Welt basieren.
Weisse Retter:innen glauben dabei, von Rassismus betroffene Menschen aus ihren «unglücklichen Situationen» zu retten, oft auf eigennützige Weise. Dabei gehen sie oft davon aus zu wissen, was Betroffene brauchen, ohne wirklich mit diesen zu sprechen. Weisse Retter:innen fühlen sich dazu berufen, in ehemals kolonisierten Gebieten Aufklärungs-, Entwicklungs-, oder Hilfsarbeit zu leisten. Vielen ist die historisch verankerte und komplexe Problematik von weisser Dominanz und Vorherrschaft dabei nicht bewusst.
«In den Medien werden die weisse rettende Person und ihre Grosszügigkeit ins Zentrum gestellt»
Die grosse Verantwortung und Fähigkeit, die sie sich damit zusprechen, wird gesellschaftlich und medial stark unterstützt, ist aber nicht unbedingt an die Realität geknüpft. Meist werden von Rassismus geprägte Bilder der passiven und hilfsbedürftigen «Anderen» (re-)produziert, komplexe Themen werden stark vereinfacht dargestellt – und: Die weisse rettende Person und ihre Grosszügigkeit werden ins Zentrum gestellt.
Einen Eindruck dieser Kommunikationsstrategie erhält man aktuell in allen Bahnhöfen: Die Spendenaufrufe produzieren ein Weltbild, in dem rassifizierte Menschen entweder in Not zu sehen sind oder sich dankbar für die Grosszügigkeit von weissen Spender:innen zeigen. Oder es werden direkt weisse Menschen abgebildet, die dankbar dafür sind, helfen zu können.
Eine Folge kapitalistischer Ausbeutung
Bestehende Knappheiten an Ressourcen und soziale Probleme sind aber häufig eine direkte Folge von Kolonialismus und kapitalistischer Ausbeutung. All das wird in dem Weltbild, das die Organisationen durch ihre Werbungen kreieren, nicht miterzählt. Eine weisse Verantwortung für die Missstände besteht also durchaus, wird aber falsch eingeordnet und inszeniert.
«Wie so oft für gesellschaftliche Probleme gibt es keinen linearen Ausweg»
Es ist ein Dilemma. Und wie so oft für gesellschaftliche Probleme gibt es keinen linearen Ausweg. Menschen wünschen sich aber klare Handlungsvorschläge – und zu spenden ist eine davon. Was sollen wir denn sonst tun? Gar nicht mehr spenden? Das wäre wohl nicht die Lösung. Und dieser Text hat auch keinen Lösungvorschlag – im Glauben daran, dass die kritische Auseinandersetzung mit Selbstverständlichkeiten der Anfang für eine Lösung sein kann.
Es ist nichts falsch daran, etwas vom eigenen Reichtum abzugeben. Aber um etwas zu bewirken, reicht der Geldfluss nicht. Wir müssen das Narrativ ändern, wir brauchen einen Mindset-Wandel. Wir müssen lernen, uns mit unseren Privilegien auseinanderzusetzen.
Wenn wir von Spenden reden, dann fokussieren wir auf die Grosszügigkeit und das gute Gefühl, das damit einhergeht. Stattdessen sollten wir neue Begriffe finden – beispielsweise von Verteilungsgerechtigkeit oder Entschädigungsleistung sprechen. Wir müssen tatsächlich Verantwortung übernehmen – und zwar das ganze Jahr – und den Gerechtigkeitssinn stärken. Nicht in erster Linie unser Wohlbefinden.
Einige mögliche Tipps für die Saison der Grosszügigkeit:
- Kaufe deine Weihnachtsgeschenke oder dein Weihnachtsessen bewusst bei nachhaltigen Produzent:innen ein, die auf fairen Handel achten.
- Unterstütze Arbeiten von Personen oder Organisationen in deinem Land, die sich für Antirassismus einsetzen, beispielsweise Medien, die andere Perspektiven darstellen.
- Unterstütze Schwarze Unternehmer:innen und Autor:innen, indem du bei ihnen einkaufst.
- Kaufe dir ein Buch, um über die Thematik zu lernen.
- Wenn du Geld an bestimmte Länder spenden möchtest, setze dich bewusst mit der Organisation auseinander und stelle kritische Fragen. Oder: Leiste einen direkten Beitrag an ein kleineres Unternehmen im besagten Land.
Stelle dir in jedem Fall aber die Fragen: Was mache ich, um langfristig dazuzulernen? Und: Wie kann ich zum Mindset-Wandel beitragen – zum Beispiel, indem ich politisch aktiv werde? Einmal mehr: Es ist nicht unsere Schuld, dass wir in einem ungleichen und von Rassismus geprägten System aufgewachsen sind. Aber es liegt in unserer Verantwortung, etwas dagegen zu tun.