«White Noise» auf Netflix: Ein Treffen mit Jodie Turner-Smith
- Text: Mariam Schaghaghi
- Bild: Alamy
Zum Start von Noah Baumbachs Film «White Noise» haben wir Schauspielerin Jodie Turner-Smith getroffen. Sie ist Rock'n' Roll, Glam & Glitz, Feuer und Eis: eine Frau wie ein Ausnahmezustand.
Sie ist so erfrischend wie eine eiskalte Dusche. Jodie Turner-Smith ist direkt, laut, temperamentvoll, dennoch sensibel und voller Empathie. Eine elektrisierende Schauspielerin, deren Darstellungen in TV-Serien wie «True Blood» oder «Nightflyers» unter die Haut gehen, und dazu noch eine umwerfende Erscheinung. Auf dem Filmfestival Venedig erscheint das 1.85 Meter grosse Ex-Model mit jamaikanischen Wurzeln auf der Pressekonferenz zu Noah Baumbachs Film «White Noise» in einem crèmefarbenen Maxi-Dress mit sexy Cutouts.
Am nächsten Tag sind wir im ehrwürdigen Excelsior zum Interview verabredet. Die 36-jährige Schönheit mit dem raspelkurzen Josephine-Baker-Cut kommt mit einem breiten Lächeln hereingeschwebt und wirkt in einer knallroten, bodenlangen Chiffon-Robe und grünen Ohrringen geradezu majestätisch.
annabelle: Jodie Turner-Smith , Sie sehen einfach atemberaubend aus!
Jodie Turner-Smith: Oh, danke sehr! Dabei schwitze ich total, ich habe bestimmt peinliche Schweissflecken auf dem Kleid. Haben Sie auch meine grasgrünen Sneakers gesehen? Wahnsinn. Schon gestern bei der Pressekonferenz waren Sie der Hingucker.
Stehen Sie auch ohne roten Teppich auf Glitz und Glam und stylen sich gern?
Nachdem, was Sie bis jetzt gesehen haben, was würden Sie tippen?
Dass Sie verrückt sind nach Aufrüschen, Schmücken und Posen.
Bingo. Vielen Leuten liegt das gar nicht, sie haben keinen Spass, auf dem roten Teppich zu stehen. Aber ich kann gar nicht genug davon bekommen, in so irren Kleidern und Roben umherzustolzieren. Ausserdem: Ich werde nicht ewig so aussehen wie heute. Also reite ich diese Welle, Baby!
Sie sehen auch keinen Widerspruch darin, in komplexen Autor:innenfilmen zu spielen und gleichzeitig Freude zu haben am vermeintlich Flüchtigen, Oberflächlichen; an Mode?
Gar nicht. Denn wir Schauspieler:innen arbeiten wirklich hart. Ich zumindest. Wenn man bei einem Festival wie diesem landet, war man definitiv Teil einer Sache, die für sehr viele Leute sehr viel Arbeit war. Gerade, wenn es sich um einen komplizierten Film handelt, hast du dafür ein Stück aus deinem Herzen herausgerissen. Es ist wirklich wie ein Baby, das du mit jemandem machst: Du steckst all deine Liebe, Energie und Zeit hinein. Dann darfst du es auch verdammt noch mal so richtig feiern!
Wir sehen ja nur die Filmpremieren, rote Teppiche, Coverstorys – in welchen Momenten empfinden Sie Ihren Job als richtig tough?
Ha! Ich gebe mal ein paar Beispiele: Ich fing wieder an zu drehen, als meine Tochter fünf Monate alt war, für die Mini-Serie «Anne Boleyn» in Grossbritannien. Ich stillte meine Tochter noch – ich stille sie immer noch, aber damals war sie ja noch winzig. Ich musste alle drei Stunden Milch abpumpen, zwischen den Takes, in einem eiskalten Schloss, und drehte 12 bis 14 Stunden am Tag. Wenn ich vom Set nachhause kam, fütterte ich meine Tochter, brachte sie ins Bett, schlief drei, vier Stunden, stand zwischen zwei und vier Uhr morgens wieder auf, um noch eine Probe mit meinem Schauspielcoach abzuhalten. Ich wollte ja perfekt vorbereitet sein. Dann gings wieder ans Set und ich drehte den ganzen Tag. Meine Mutter, die bei mir war, um aufs Baby aufzupassen, war fassungslos und meinte mal: «Ich hatte keine Ahnung, dass du so schuftest!»
Selbst Ihre Mutter dachte also, Ihr Job wäre weniger stressig.
Nicht jeder Dreh ist so anstrengend, aber bei «Anne Boleyn» gab es eine zusätzliche Herausforderung: Ich musste spielen, wie meine Figur eine Totgeburt erleidet. Ich hatte aber gerade erst ein gesundes Kind zur Welt gebracht, weder meine Gebärmutter noch mein Gehirn hatten die Geburt verarbeitet. Daher wurde diese Szene eine richtig heftige Angelegenheit und kostete mich viel Energie.
Gab es auch vor der Geburt Ihrer Tochter solche extremen Situationen und Arbeitsbedingungen?
In jedem Actionfilm, wenn man Stunts oder körperliche Leistung bringen muss. Einmal musste ich für einen TV-Dreh in Florida eine Szene spielen, in der ich bei einem Hurrikan aus einem Boot fiel. Ich schwamm in stürmischer See, wurde von den Wellen hin- und hergeworfen … Dazu musste es regnen. Und wenn man es künstlich regnen lässt, kommt das Wasser von Pumpen und aus dicken Schläuchen, heftig! Dazu werden riesige Windmaschinen angeworfen. Die blasen irrsinnig, man kann kaum mehr atmen, das Wasser läuft an einem runter … Und das macht man den ganzen Tag. Nein, nur den halben Tag, dann starb meine Filmfigur. Die zweite Tageshälfte lag ich also in einem Becken mit dem Gesicht nach unten, hatte Wasser in den Augen, im Mund, im Unterleib – ja, man braucht echt Durchhaltevermögen.
Und Geduld, oder? Die Drehpausen sind ja auch unerträglich lang.
Ja, es braucht auch Geduld, richtig, und du musst vieles lernen, auch wie du deine Stimme schützen kannst. Sie wissen schon, Zwerchfellatmung und so. Darin bin ich eine echte Niete, wie man hört.
Tatsächlich klingt Ihre Stimme mit jedem Satz heiserer …
Es gibt so viel zu beherrschen. Schauspielerei bedeutet, das Leben zu imitieren. Aber dein Körper weiss nicht, dass du gerade nur so tust als ob. Wenn man etwas – auch nur künstlich – durchmacht, ist das für den Körper die Realität. Deshalb müssen Schauspieler: innen manchmal zur Therapie gehen. Wie oft müssen sie x Kilos Gewicht zunehmen und dann wieder verlieren? Auch das ist harte Arbeit. Aber ich habe keine Angst vor harter Arbeit. Ich arbeite gern hart. Deshalb liebe ich diesen Job auch so sehr.
Haben Sie solche Strapazen bisher immer gut verdaut?
Wenn mein Körper drei Monate lang denkt, dass ich traumatisiert worden bin, fühlt es sich danach wirklich so an, als ob ich ein bisschen PTSD hätte, eine posttraumatische Belastungsstörung. Der Körper weiss nicht, dass nur das Gehirn das ganze Drama ausgelöst hat, das man gerade durchspielt, für ihn ist es real.
Warum leisten Sie sich dann nicht mal eine Auszeit?
Nach «Queen and Slim», den ich letztes Jahr gedreht habe … – Moment: letztes Jahr?! Welches Jahr haben wir gerade? Na toll, ich vergesse die Jahre! (lacht schallend) Jedenfalls habe ich danach Ferien gemacht. Dann aber kam ein SOS-Anruf, die Rolle von Colin Farrells Frau im Film «After Yang» musste neu besetzt werden, weil die Schauspielerin kein Visum für die USA bekommen konnte – schreckliche Sache. Ich flog am Donnerstag nach New York, am Freitag wurde mir der Job angeboten und ich drehte ab Montag.
«Auch Freund:innen, Verwandte und Bekannte verstehen nicht, was in meinem Leben vor sich geht»
Sie fordern von sich maximale Flexibilität und maximales Engagement. Ist es ein Fluch oder ein Segen, dass Sie mit jemandem wie Joshua Jackson verheiratet sind, der ebenfalls Schauspieler ist?
Es ist ein Segen. Ich bin so dankbar, dass mein Mann und ich auch auf dieser Ebene total connecten können. Wir haben ein besseres, tiefer gehendes Verständnis füreinander. Es wäre sonst schwer, mit jemandem zusammenzusein, der so viel arbeitet, so viel reisen muss und so oft weg von zuhause ist.
Nun, am Donnerstag spontan nach New York zu fliegen und ab Montag irgendwo auf der Welt zu drehen, das ist für viele unvorstellbar, oder?
Es ist von aussen sehr schwer nachzuvollziehen. Auch Freund:innen, Verwandte, Bekannte, die seit Jahrzehnten eng mit mir verbunden sind, verstehen nicht, was in meinem Leben vor sich geht. Es ist schwierig, unter diesen Voraussetzungen Freundschaften zu pflegen. Selbst meine Mutter entwickelte ja erst ein echtes Verständnis, als sie wegen meiner Tochter überall mit hinkam. Wie oft höre ich: Warum erreicht man dich nicht? Warum meldest du dich nicht? Weil ich arbeite, weil ich dann konzentriert sein und nicht am Telefon hängen will. Manche Drehs sind unbeschwerter, aber manchmal braucht man intensivste Konzentration.
Machen Sie doch mal das Nähkästchen auf: Wie läuft es am Set von Noah Baumbach ab, in dessen Film «White Noise» Sie gerade zu sehen sind?
Noah betreibt eine strenge «no phone policy». Er erlaubt gar keine Handys an seinen Sets. Er will, dass alle zu hundert Prozent bei der Sache sind. Ich fand das grossartig. Wir wollen doch so etwas wie Zauber und Magie erschaffen, da kann man doch nicht abgelenkt sein! Mein Mann kennt all das. Ich mag es sehr, dass wir uns über berufliche Themen austauschen können. Was ausserdem interessant ist: Joshua ist ein weisser Mann.
Warum ist es so interessant, dass er weiss ist?
Ein weisser Mann macht andere Erfahrungen in der Welt als eine schwarze Frau. Darum ist es faszinierend, zu sehen, wie er die Dinge sieht, wie er agiert, wie er sich bewegt. In kritischen Situationen denke ich nun oft: «Stopp – ich werde für mich genauso eintreten, wie ich es tun würde, wenn ich ein weisser Mann wäre.» Ich habe das Gefühl, dass uns Frauen viel zu oft im Leben beigebracht wurde, nicht für uns selbst einzustehen, uns lieber kleinzumachen und keinen Platz zu beanspruchen. Jesse inspiriert mich wirklich dazu, ganz selbstbewusst für mich Raum einzunehmen.
Daraus entsteht eine Eigendynamik, die Sie wachsen lässt?
Genau. Es ist faszinierend. Und für ihn genauso, weil er mal auf der anderen Seite der Dinge steht. Er erkennt, wie Menschen auf mich reagieren und wie sie mich manchmal behandeln. Und das öffnet ihm die Augen.
Sie sprechen von gelebtem Rassismus?
Auch. Gerade wenn du als Frau – selbst als Schwangere – sagst: Das und das brauche ich, heisst es schnell: Oh, die ist schwierig. Oder Schlimmeres.
Sie meinen, dass man nicht mal als schwangere Frau Ansprüche erheben darf?
Ja. Man muss nur mal googeln, was anderen Frauen in der Schwangerschaft an Diskriminierungen widerfährt. Serena Williams wäre fast gestorben, als sie als Schwangere im Spital war. Sie merkte, dass etwas nicht stimmte, und versuchte immer wieder, es den Ärzt:innen zu vermitteln, aber niemand hörte ihr zu, sie wurde nur abgewiesen. Als ich schwanger war, kam mein Mann oft mit ans Set. Manchmal war er buchstäblich mein Beschützer, fragte bei Diskussionen: «Was ist hier los?» Das war interessant für mich, dadurch lernte ich, wie ich selbst für mich einstehen muss.
Interessant. Ihr Mann bringt Ihnen also quasi Selbstverteidigung bei.
Als Frau hat man immer das Gefühl, wenn uns jemand ungerecht behandelt oder blöd kommt: «Da muss ich nun irgendwie durch und das hinter mich bringen.» Aber Jesse sagt in so einem Fall: «Nein, das ist inakzeptabel.» Er ist schon so lang dabei, dass man ihm in der Branche nichts vormachen kann. Eine junge Schauspielerin, die noch nicht so lang dabei ist, wird da eher über den Tisch gezogen.
Hat der Erfolg Ihre Selbstwahrnehmung verändert?
Es ist unmöglich, sich und seine Weltsicht dadurch nicht ein wenig zu verändern. Aber mein Fundament, meine grundlegenden Überzeugungen, mein Geist, meine Eigenschaften, die mich als Person ausmachen, all das hat sich nicht geändert. Ich fühle mich überglücklich, weil ich meine Energie und meine Essenz in etwas einbringen kann, das ich so liebe. Die einzige Gemeinsamkeit, die wir Menschen alle teilen, ist: Du bist einmalig. Es gibt kein anderes Du. Es gibt kein anderes Ich. Also kann ich diese Einzigartigkeit in alles einbringen, was ich tue.
«White Noise», die Familienkömodie von Noah Baumbach mit Greta Gerwig, Adam Driver und Jodie Turner-Smith, läuft jetzt auf Netflix.