Zeitgeist
«What’s your Body Count?»: Warum der TikTok-Trend sexistisch ist
- Text: Verena Bogner
- Bild: Stocksy
Frauen anhand der Anzahl ihrer Sexualpartner:innen zu beurteilen, ist ein Klassiker aus der Trickkiste des Slutshamings. Scrollt man durch TikTok, ist die Body-Count-Debatte präsenter denn je. Warum flammt ein solch problematisches Narrativ gerade jetzt wieder auf?
«Wie hoch ist eigentlich dein Body Count?»: Diese Frage flatterte kürzlich in mein WhatsApp-Postfach. Ich chattete gerade mit einem neuen, vermeintlich cuten Tinder-Match, wir stellten uns die üblichen Kennenlern-Fragen. Ich musste kurz schlucken, weil mir diese Frage bisher noch nie ein Typ gestellt hatte, den ich gar nicht kannte. Sollte ich ihm meinen Body Count, also die Anzahl meiner bisherigen Sexualpartner, verraten, um eine Diskussion zu vermeiden, auch wenn ich mich unwohl dabei fühlte?
Sollte ich etwas offensichtlich Falsches wie «Du bist mein Erster, Baby» oder «eine Million» antworten, um ihm zu zeigen, wie absurd ich diese Frage finde? Ich war stolz auf meine Antwort: «Warum willst du das wissen? Damit du mich entweder als ‹Slut› oder ‹Good Girl› abstempeln kannst?», schrieb ich ihm, woraufhin er beteuerte, dass es ihm in Wahrheit total egal sei, er habe doch einfach nur eine «normale» Frage gestellt.
Ist der Body Count hoch, gilt man als Schlampe
Ganz «normal». So scheinen immer mehr junge Menschen die Frage nach dem Body Count zu sehen. Dabei geht es hier nicht um die blosse Anzahl der vergangenen Sexualpartner:innen, sondern immer auch um eine Beurteilung auf Basis dieser Zahl. Frauen werden allzu gerne für ihren Body Count geshamed: Ist er niedrig, gilt man in den Augen eines Mannes schnell als verklemmtes Mauerblümchen. Ist er hoch, gilt man als Schlampe. Im Umkehrschluss bedeutet das: Männer werden für einen hohen Body Count tendenziell eher als potente, unzähmbare Playboys gefeiert.
Was wie ein völlig veraltetes Klischee klingt, ist auf TikTok gerade omnipräsent: Hier werden in Strasseninterviews wildfremde Frauen (und manchmal auch Männer) nach ihrem Body Count gefragt – und anschliessend wird in diesen Videos gerne darüber diskutiert, welche Anzahl denn für welches Alter «angemessen» sei. Dann gibt es da auch noch die TikToks, in denen man den Body Count einer Frau anhand ihres Aussehens erraten soll.
Frauen durch die Brille des heterosexuellen Mannes abwerten
Und spätestens hier sollten die Alarmglocken klingeln, denn ganz offensichtlich geht es dabei um nichts anderes, als Frauen durch die Brille des männlichen, heterosexuellen Mannes abzuwerten – und nach sexistischen, oberflächlichen und nichtssagenden Kriterien zu beurteilen. Besonders absurd ist übrigens auch, dass der Begriff Body Count ursprünglich die Anzahl der gefallenen Menschen in einem Krieg beschreibt.
Julia Schick ist Psychotherapeutin in Wien. Sie setzt sich in ihrer Arbeit unter anderem vermehrt mit Sexualität, Beziehungen, Selbstbewusstsein und frauenspezifischen Themen auseinander – all diese Aspekte spielen eine Rolle in der Debatte um den Body Count. Sie sieht den Hype kritisch: «Der Trend verbreitet ein sehr traditionelles Geschlechterbild. Hier ist der Mann der dominante, aktive Part und die Frau der passive, unterwürfige. Dass Frauen eher für einen hohen Body Count geshamed und Männer dafür gefeiert werden, ist auf die Geschlechterstereotype zurückzuführen, die einfach immer noch so stark in uns verankert sind. Laut diesen Stereotypen dürfen Männer ihre Lust leben, während die Lust der Frauen eher mit Scham assoziiert wird.»
Eine Figur, die Frauen ganz offen für ihren Body Count beschämt und massgeblich dazu beigetragen hat, dass die Thematik in der jüngsten Vergangenheit Fahrt aufgenommen hat, ist Andrew Tate. Der frauenfeindliche «Influencer», der unter anderem schon wegen Menschenhandel und Vergewaltigung angeklagt wurde, vertritt zu diesem Thema die Meinung, dass der Body Count ein «einfacher Weg» sei, «den Wert einer Frau zu beurteilen».
«Andere zu beschämen, ist emotionale Gewalt»
Er geht noch weiter und findet, dass sich «99 Prozent der Probleme unserer Welt lösen würden, wenn Frauen die Anzahl ihrer Sexualpartner:innen auf der Stirn tragen würden» – «weil das den moralischen Verfall aufhalten» würde. Für ihn seien Frauen dann «wertlos», wenn sie mit mehr als drei Personen Sex hatten.
Psychotherapeutin Schick findet: Beschämen Männer Frauen für ihre sexuellen Erfahrungen, sagt das mehr über sie aus, als über die Frauen. «Andere zu beschämen, ist emotionale Gewalt. Und: Wenn ich jemand anderen shame, ist das immer auch eine Schamabwehr. Dann fühle ich mich grösser und spüre meine eigene Scham nicht. Personen, die einen guten Umgang mit Scham gelernt haben, werden andere auch nicht beschämen. Wenn man andere ständig bewerten muss, spricht das für das ein starkes Bedürfnis, den eigenen Selbstwert zu regulieren», so Schick.
TikTok-Trends normalisieren frauenfeindliche Narrative
Der Impact von Andrew Tate ist riesig: Auf X (ehemals Twitter) zählt er aktuell 8,7 Millionen Follower:innen, sein «kontroverser» Content wurde lange Zeit von den Social-Media-Algorithmen belohnt und gepusht. Dass er extrem frauenfeindliche Narrative ins Gespräch bringt und diese durch seine Posts als erfolgbringend verkauft, indem er neben misogynen Botschaften auch immer wieder seinen luxuriösen Lifestyle präsentiert, hat Auswirkungen: Eine aktuelle britische Umfrage zeigt, dass ein Fünftel der Männer zwischen 19 und 29, die von Tates frauenfeindlichen Aussagen gehört haben, dem Influencer positiv gegenüber stehen.
Auch in Australien findet ein Drittel aller Jungen im Teenie-Alter, dass Tate «relatable» sei. Das erklären die Macher:innen letzterer Umfrage damit, dass Jungs «verzweifelt» auf der Suche nach «positiven» männlichen, selbstbewussten Vorbildern seien.
Tate vermittelt seinen Fans nicht nur extrem frauenfeindliche Botschaften wie zum Beispiel, dass «Frauen das Eigentum von Männern» seien, sondern gilt auch als Türöffner für noch extremere gesellschaftspolitische Positionen – und auch rechte Ansichten. Diese Positionen werden in den letzten Jahren wieder salonfähiger, egal, ob man in die USA, nach Österreich oder Deutschland blickt – und laut neuen Zahlen werden solch konservative Werte global gesehen eher von jungen Männern als von jungen Frauen unterstützt.
«Die Scham hält uns klein»
Solche Positionen, Werte und Narrative, die in Form von vermeintlich witzigen TikTok-Trends die Feeds von Millionen von Menschen fluten, sind auch immer verbunden mit der Ungleichheit der Geschlechter. Laut der oben genannten britischen Umfrage sind Gen-Z-Jungs sogar eher als Boomer der Meinung, Feminismus sei «schädlich».
Diese Entwicklung mag auf den ersten Blick vielleicht paradox wirken. Sind junge Generationen doch eigentlich dafür bekannt, mehr mit alten Mustern zu brechen als die Generationen zuvor. Egal, ob es um die Klimakrise, toxische Hustle Culture am Arbeitsplatz oder romantische Beziehungen geht. Spricht hier die Verunsicherung in einer immer diffuser werdenden Welt aus denjenigen, die sich an konservativen Narrativen wie der Beurteilung einer Frau durch den Body Count bedienen?
Julia Schick erklärt zu dieser Theorie: «Wenn man nicht weiss, wie man offen an das Thema Sexualität herangehen soll, kann einem das erstmal Angst machen und man sucht nach Normen, die einem Halt geben. Diese Normen werden in einer Gesellschaft immer von denen definiert, die Macht haben, also in diesem Fall von Männern. Diese Normen führen dann in Form von Trends wie dem Body Count dazu, dass Frauen eingeengt werden. Die Scham hält uns klein.»
Qualität statt Quantität
Die Frage nach dem Body Count wird meistens zu genau diesem Zweck gestellt: um Frauen zu beschämen und klein zu halten. Wird man für ein lustiges TikTok oder von einem quasi unbekannten Tinder-Match auf den Body Count angesprochen und fühlt sich damit unwohl, dann sei es jedenfalls wichtig, auf die eigenen Grenzen zu hören und zu erklären, dass man diese unangebrachte Frage nicht beantworten möchte, rät Julia Schick.
Es kann aber auch Situationen geben, in denen man die sexuellen Erfahrungen des Gegenübers durchaus erfragen könne, zum Beispiel in Beziehungen oder anderen Vertrauenssituationen. Julia Schick findet es aber wichtig, den Fokus weg von einer bestimmten Zahl zu lenken: «Wenn man sich so sehr auf eine Zahl konzentriert, lädt das immer zu Vergleichen ein.
Natürlich darf man in passenden Situationen neugierig sein und fragen, welche Erfahrungen der Partner oder die Partnerin gemacht hat. Wie man mit dieser Frage umgeht und ob man das teilen möchte, ist allen selbst überlassen. Ich würde ein Gespräch zu diesem Thema viel offener gestalten und mehr in die Qualität der Erfahrungen gehen, statt in die Quantität. Das geht in der ganzen Diskussion verloren.»
Rückschrittliche Narrative
Egal, in welcher Situation: Fest steht, dass Slutshaming durch Trends wie den Body Count in Form von TikTok-Memes normalisiert wird – und dass rückschrittliche Narrative wie dieses verstärkt Anklang finden, vor allem unter jungen Männern. Und das ist eine Entwicklung, die wir nicht einfach so weglächeln dürfen, wie wir es mit so vielen anderen TikToks in unseren Feeds machen.
Denn es ist die ganz eigene Sache, mit wie vielen Menschen man schläft und wie man seine Sexualität selbstbestimmt auslebt. Denn niemals dürfen wir unseren Wert von einer Zahl, verunsicherten Männern, Andrew-Tate-Fans und sexistischen Narrativen bestimmen lassen, die längst eingemottet gehören.
Ein interessanter Artikel allerdings wird die Männliche Seite nur kurz gestreift mit “es werden positive Männliche Vorbilder gesucht” und es wird auf einige Kernargumente zum Thema “BodyCount” nicht eingegangen.
Hauptargument ist, dass es für Hetersexuelle Frauen deutlich einfacher ist Sexualpartner zu finden als für Männer. Für Beziehungen gilt das für junge Frauen auch und dreht sich mit ende 30 zu Gunsten der Männer.
Es wird auf Studien hingewiesen, dass die Warscheinlichkeit für Trennungen signifikant niedriger ist, je weniger Partner sie hatte. Dies wird aus wissenschaftlichen Untersuchungen (meist aus dem Amerikanischen Raum) gestützt.
Daher ergibt aus männlicher Sicht diese Frage Sinn.
Es wäre gut, wenn Du diese wissenschaftlichen Untersuchungen auch nennen könntest. Alles andere ist Bla-bla… oder Propaganda.
Es wäre gut, wenn du deine Meinung einfach sagen würdest. dir geht es nicht um Quellen, sondern um die Bestätigung deiner eigenen Sichtweise.