Guido Schilling untersucht die Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte der rund hundert grössten Schweizer Arbeitgeber. Sein jährlicher Schillingreport zeigt: 2017 sank der Frauenanteil in Geschäftsleitungen auf sieben Prozent. Wir haben mit dem Headhunter über die Gründe gesprochen. Und darüber, warum er trotzdem zuversichtlich ist.
annabelle: Guido Schilling, betrachtet man die hundert grössten Schweizer Unternehmen im Privatsektor fällt auf: Nur acht Prozent der im Jahr 2017 neu eingestellten Geschäftsleitungsmitglieder waren Frauen. Der Frauenanteil in Geschäftsleitungen sinkt damit von acht auf sieben Prozent. Weshalb werden nicht mehr Frauen für Toppositionen engagiert?
Guido Schilling: Es gibt in der Schweiz viele Firmen, die das Potenzial und den Mehrwert von Frauen fürs eigene Unternehmen erkannt haben. Deswegen haben sie Programme entwickelt, mit denen sie ambitionierte junge Frauen fördern, die dann in der sogenannten Gender-Diversity-Pipeline zur Verfügung stehen. Diese Pipeline bildet die Geschlechterdurchmischung unterhalb der Geschäftsleitung ab. Sie zeigt somit auf, welches Potenzial an Frauen vorhanden ist, die künftig in Geschäftsleitungspositionen aufrücken können. Die Programme tragen erste Früchte – jedoch erst im unteren und mittleren Management. Fürs Topmanagement stehen die Frauen erst in fünf bis acht Jahren zur Verfügung.
In den Verwaltungsräten sieht es etwas besser aus. Da steigt der Frauenanteil seit Jahren kontinuierlich und befindet sich zurzeit bei 19 Prozent. Woher die Unterschiede?
Der Verwaltungsrat ist ein Expertengremium, in dem es unterschiedlichste Qualifikationen braucht: Treuhänderinnen, Juristinnen et cetera. Anders als für die meisten Geschäftsleitungsposten muss man sich nicht erst viele Jahre die Hierarchiestufen hocharbeiten. Ausserdem kommt den meisten Frauen ein Verwaltungsratsmandat viel gelegener, es ist mit einem Pensum von rund zehn Prozent einfacher mit dem Familienleben zu vereinbaren.
Trotzdem hat noch immer fast jedes fünfte Unternehmen keine einzige Frau im Verwaltungsrat.
Ein Verwaltungsratssitz wird nur ungefähr alle acht bis elf Jahre vakant. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis Frauen auch in diesen Unternehmen nachrücken.
Geduld braucht es also in jedem Fall. Zumindest für die Geschäftsleitungen könnte man aber weibliche Kadermitglieder von aussen ins Unternehmen holen, bis das Pipeline-System in einigen Jahren greift.
Genau das geschieht im Moment – und das ist problematisch. Letztes Jahr kamen 78 Prozent der weiblichen Neuzugänge in der Geschäftsleitung von ausserhalb ins Unternehmen. Diese Frauen haben es aber doppelt schwer, sie müssen die Firma und das Team kennen lernen, sich in den Beruf einarbeiten, etablieren. Darum bleiben sie auch oft weniger lang in hohen Positionen, verlassen das Unternehmen schneller wieder als solche, die schon vor ihrer Kaderstelle im Unternehmen gearbeitet haben. Es ist also sehr wichtig, Frauen intern zu fördern. Bei den Männern klappt das bereits: 2017 sind zwei Drittel der neuen Männer in Geschäftsleitungen intern aufgestiegen.
Wie also kann ein Unternehmen seine Frauen fördern?
Neben beruflicher Förderung müssen sie Programme und ein Arbeitsumfeld entwickeln, mit denen Frauen Familie und Karriere unter einen Hut bringen können. Teilzeitarbeit muss möglich sein, Reisetätigkeit muss planbar sein, es darf keine Sitzungen zu Randzeiten geben. Der öffentliche Sektor macht gut vor, wie das geht. Dort war 2017 fast ein Drittel der Neuzugänge in der Geschäftsleitung weiblich, total liegt der Frauenanteil bei 16 Prozent.
Muss ein solches Arbeitsumfeld nicht auch für Männer geschaffen werden, um die Gesamtsituation zu verbessern?
Doch, natürlich. Die fortschrittlichen jungen Männer wollen bei Unternehmen arbeiten, bei denen ein Achtzig-Prozent-Pensum möglich ist, damit sie sich an der Familienarbeit beteiligen können. Firmen mit guten Konditionen und Anstellungsbedingungen werden in Zukunft die grossen Gewinner sein. Men-Only-Clubs werden ihre Firma an die Wand fahren.
Oft fällt ja das Argument, Frauen wollten gar nicht in Kaderpositionen arbeiten.
Frauen wollen viel eher im Topkader arbeiten als noch vor zehn Jahren. Sie sagen sich: «Ich studiere doch nicht so lange, um dann im Kindergarten den Verkehrsdienst zu übernehmen – nur, um mal wieder aus dem Haus zu kommen.» Sie haben eine viel grössere Selbstverständlichkeit, Beruf und Familie zu vereinen, als das noch ihre Mütter hatten. Das allein übt schon Druck auf die Unternehmen aus.
Inwiefern?
Viele Unternehmen haben erkannt, dass ihnen der Nachwuchs an Führungskräften ausgeht. Die geburtenstarken Jahrgänge werden langsam pensioniert, es verlassen mehr Führungskräfte das Unternehmen, als Nachwuchs nachkommt. Bisher konnten die Firmen bei Engpässen immer auf Ausländer zurückgreifen. Die kommen heute aber nicht mehr so zahlreich in die Schweiz, das stelle ich bei meiner täglichen Arbeit fest. Die Unternehmen merken: Wenn wir jetzt nicht in potenzielle Kaderfrauen investieren, dann haben wir in Zukunft ein Problem. Sie sind also auf die jungen Frauen angewiesen. Und die sind natürlich nicht dumm: Sie gehen lieber zu Unternehmen, in denen es tolle Förderprogramme gibt, die attraktiv sind. Da müssen sich die Unternehmen entsprechend anpassen.
Spüren sie bei Ihrer täglichen Arbeit als Headhunter für Spitzenpositionen ein entsprechendes Umdenken bei den Unternehmen?
Ja. Wir erhalten immer mehr Anfragen explizit für weibliche Führungskräfte. Früher hätten wir solche Aufträge nicht angenommen, es wäre schlicht hoffnungslos gewesen, das Potenzial war nicht da. Heute existiert ein viel grösserer Pool an qualifizierten Frauen. Für jede Verwaltungsrats- oder Geschäftsleitungstätigkeit gibt es eine qualifizierte Frau – wer Frauen sucht, der findet sie! Vor kurzem kam eine mittelgrosse Bank auf uns zu, die einen Verwaltungsratssitz weiblich besetzen wollte. Die Verantwortlichen dachten, dass das schwierig sein würde. Wir haben ihnen dann eine Liste mit zwanzig topqualifizierten Frauen vorgelegt. Sie haben nicht schlecht gestaunt.
Müssen Frauen höher qualifiziert sein als Männer, um Chancen auf die gleiche Position zu haben?
Nein. Frauen haben einen Bonus. Sie bringen dank ihrem Geschlecht ein Zusatzkriterium mit, sind sozusagen genderdivers – weil sie das Team, zu dem sie stossen, genderdiverser machen. Heute wird es keine Firma mehr geben, die bei gleicher Qualifikation nicht auf die Frau setzt – jedenfalls keine von denen, die ich betreue. Natürlich gibt es noch patriarchalische, militärisch geführte Unternehmen, bei denen das anders ist.
Wäre nicht genau für solche Unternehmen eine Frauenquote wichtig? In Deutschland hat diese dazu geführt, dass mittlerweile 32 Prozent der Verwaltungsräte weiblich sind.
Eine Quote ist Zwängerei, es geht auch ohne. Schweden zum Beispiel hat 36 Prozent Verwaltungsrätinnen – ganz ohne Quote. Anstatt eine Quote einzuführen, sollte der Staat Frauen begünstigen, wenn sie externe Auslagen haben, um Familie und Beruf zusammenzubringen. Kinderbetreuung muss zu hundert Prozent vom steuerbaren Einkommen abziehbar sein. Es kann doch nicht sein, dass der Staat in den Universitäten zur Hälfte Frauen ausbildet und dann nicht alles daran setzt, deren Potenzial auszuschöpfen.
Wird es je gleich viele Frauen wie Männer in Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten geben?
Es wäre sehr ambitioniert, hier eine Prognose zu wagen. Die Zukunft wird aber auf jeden Fall um ein Vielfaches weiblicher. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in zehn Jahren noch immer über dieses Thema diskutieren – es wird sich bis dann gelöst haben.
In zehn Jahren rechnen Sie laut Ihrem Report aber erst mit zwanzig Prozent Frauen in den Geschäftsleitungen. Da kann man doch noch nicht von einem gelösten Problem sprechen?
Sie dürfen nicht vergessen, dass vor nicht allzu langer Zeit ihre Grossmutter in der Schule noch nachhause geschickt worden wäre, wenn sie Hosen getragen hätte. Da hat sich also in sehr kurzer Zeit sehr viel getan – mehr kann man manchmal leider einfach nicht erzwingen. Und langfristig gesehen ist es nun mal so: Frauen mit Familie bleiben in Bezug aufs Sich-uneingeschränkt-zur-Verfügung-Stellen benachteiligt, ganz einfach weil sie diejenigen sind, die die Kinder bekommen. Die Digitalisierung begünstigt ihre Position zwar – es wird möglich, von überall zu arbeiten, es gibt flexible Arbeitszeitmodelle. Dennoch: Wenn wir in zehn Jahren zwanzig Prozent Frauen in den Geschäftsleitungen haben, wäre das ein grosser Erfolg.