Leben
«Wer behauptet, dass Gleichberechtigung herrscht, ist schlecht informiert»
- Interview: Barbara Achermann
Bis 1971 durften die Frauen in der Schweiz weder abstimmen noch wählen. Der Spielfilm von Petra Volpe erzählt von einer Hausfrau, die in jener Zeit für ihre Rechte kämpfte.
annabelle: Es heisst, Ihr Film über die Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz sei eine Komödie. Doch nach der Premiere an den Solothurner Filmtagen hatten einige Zuschauer Tränen in den Augen.
Petra Volpe: Humor und Schmerz liegen oft sehr nah beieinander. Man weint vor Freude oder lacht aus Schmerz, das ist im Leben so und kann auch im Film so sein. Der Film berührt, weil eine Ungerechtigkeit gezeigt wird, die über Jahrhunderte aufrecht erhalten wurde und immer noch existiert. Das macht die Leute traurig und wütend.
Ihr Film heisst «Die göttliche Ordnung». Weshalb?
In der Schweiz hatte man bis in die Siebzigerjahre argumentiert, dass es gegen die göttliche Ordnung sei, wenn Frauen Politik betreiben. Die Stimmrechtsgegnerinnen und -gegner sagten, Gott habe jedem Geschlecht seine jeweilige Rolle zugeteilt. Die Frau sei für das Innere zuständig, für die Kinder, die Familie. Wenn sie nun rausgehe und Politik mache, dann breche diese göttliche Ordnung auseinander, und es herrsche Chaos. Es wurde ein geradezu apokalyptisches Szenarium heraufbeschworen.
Sie erzählen eine fiktive Geschichte, die sich stark an den historischen Fakten orientiert. Inwiefern war Ihre Recherche eine Inspiration für die Filmfiguren?
Es war mir lang nicht klar, aus welcher Perspektive ich die Geschichte über die Einführung des Frauenstimmrechts erzähle, bis ich im Archiv der Frauenrechtlerin Marthe Gosteli einen Einzahlungsschein der Stimmrechtsgegnerinnen fand. Die Anti-Soufragetten hatten stets versucht, Geld zu sammeln für ihre Kampagnen. Dort drauf war die Notiz einer wütenden Hausfrau gekritzelt. Sie sei ja noch nie politisch gewesen, schrieb diese junge Mutter, aber es rege sie wahnsinnig auf, dass selbst Frauen den Frauen das Stimmrecht verweigern wollen.
Nora ist eine zurückhaltende, bescheidene Frau. Trotzdem zettelt sie mit den anderen Frauen aus ihrem Dorf einen Streik an.
Auf diese Idee kam ich, weil es 1959 tatsächlich einen Frauenstreik gab. Nachdem das Frauenstimmrecht zum ersten Mal abgelehnt worden war, streikten an einem Basler Gymnasium die Lehrerinnen. Sogar die «New York Times» berichtete darüber. Was für eine grossartige Aktion! Ich finde, es wäre mal wieder Zeit für einen grossen Frauenstreik.
Die Schweiz war weltweit eines der letzten Länder, die das Frauenstimmrecht einführten. Weshalb?
Hier wird immer behauptet, es habe wegen der direkten Demokratie so lang gedauert. Aber das stimmt nicht ganz, man kann es nicht einfach aufs Volk schieben. Bereits 1920 gab es eine Motion fürs Frauenstimmrecht. Doch der Bundesrat hat sie buchstäblich in einer Schublade verschwinden lassen. Die politische Elite in der Schweiz hätte die Frauen unterstützen können, so wie in anderen europäischen Ländern. Sie tat aber das Gegenteil.
Damals waren auch viele Frauen gegen das Stimmrecht. In Ihrem Film ist es eine einflussreiche Unternehmerin, die im Dorf Gegenpropaganda macht.
Tatsächlich waren die Stimmrechtsgegnerinnen oft sehr gebildet: Apothekerinnen, Juristinnen, Ärztinnen. Es waren bürgerliche Schweizerinnen mit machtvollen Positionen und reichen Männern. Etwas vereinfacht ausgedrückt könnte man sagen, die wollten einfach nicht, dass ihre Köchinnen abstimmen können. Sie wollten ihre Macht nicht teilen.
Weshalb haben Sie gerade jetzt einen Film übers Frauenstimmrecht gemacht?
Die Frage ist vielleicht eher, weshalb erst jetzt. Ich muss zugeben, dass es die Idee meines Produzenten Reto Schaerli war. Ich habe mich aufgeregt, dass ich nicht selber drauf gekommen bin. Dass die Frauenbewegung im Zug der US-Wahlen wieder so stark werden würde, hatten wir natürlich vor einem Jahr noch nicht geahnt. Die meisten Frauen meiner Generation fanden Feminismus unsexy. Man dachte, man habe alles erreicht, weil auf Gesetzesebene tatsächlich Gleichberechtigung herrscht. Jetzt hat man aber gemerkt, dass es bei der Umsetzung harzt. Sexismus ist noch immer so tief verankert, dass die Gesetze teilweise gar nichts ausrichten können.
Da sind nicht alle Ihrer Meinung. Viele bürgerliche Politikerinnen und Politiker sagen, die Frauen in der Schweiz seien längst gleichberechtigt.
Auf solche Voten reagiere ich ganz nüchtern: Die sollen einfach mal ein paar Zahlen googeln. Wenn man heute behauptet, dass Gleichberechtigung herrscht, dann ist man einfach schlecht informiert.
Die Schweiz habe wichtigere Probleme als die Gleichstellung, auch das ist ein häufiges Argument.
Und ein uraltes. Ich finde im Gegenteil, die Gleichberechtigung gehört ganz zuoberst auf die politische Agenda. Michelle Obama hat gesagt: Jede Gesellschaft ist so gut, wie sie ihre Frauen behandelt.
Frauen geniessen bei uns auch Vorteile: Sie müssen nur bis 64 arbeiten, brauchen keinen Militärdienst zu leisten, oder sie kriegen 14 Wochen Urlaub, wenn sie ein Kind bekommen, die Männer aber nur einen Tag.
Das sind keine Vorteile, das sind Bevormundungen. Der Militärdienst sollte für Frauen und Männer freiwillig sein, Männer müssten gleich viel Urlaub kriegen, um Zeit mit ihren Kindern zu haben, und was das Rentenalter 65 angeht, bin ich sowieso der Meinung, dass man diesen Übergang für alle viel fliessender gestalten müsste.
Die Schweizer Filmindustrie ist nicht gerade ein Hort der Gleichberechtigung. 80 Prozent der Fördergelder gehen an Männer (annabelle.ch berichtete).
Bei meinem letzten Film «Traumland», in dem es um Prostitution ging, war die Finanzierung tatsächlich sehr schwierig. Ich erinnere mich, dass auch die Regisseurinnen Stina Werenfels und Sabine Boss im selben Jahr ihre Filme nicht finanzieren konnten. Natürlich sagt dir niemand direkt, du kriegst das Geld nicht, weil du eine Frau bist. Aber die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Man geht oft auch automatisch davon aus, dass Männer die fetten Kisten machen wollen und Frauen nicht.
Wollen Sie?
Ich möchte definitiv mit grösseren Budgets arbeiten, damit auch mein Team aus dem Vollen schöpfen kann.