Kurz vor den US-Wahlen steigt die Spannung und die Diskussionen über die beiden Spitzenkandidaten überschlagen sich. Was wäre, wenn wir alle die Wahl beeinflussen könnten?
Die US-Wahlen dominieren Zeitungen, Onlinekanäle, TV-Programme und selbst Diskussionen am Mittagstisch – nicht nur in den USA, sondern auf der ganzen Welt. Die Wahl erhitzt die Gemüter, kaum je haben Anwärter auf das höchste Amt der Vereinigten Staaten so polarisiert wie eben Donald Trump und Hillary Clinton. Klar, der Unterhaltungswert ist hoch, doch ebenso das Gefühl der Machtlosigkeit, denn wir müssen als Aussenstehende tatenlos zusehen, wie ein Land seine Zukunft, und bis zu einem gewissen Punkt auch die unsrige, prägt. Wir leben in einer vernetzten Welt, können quasi in Echtzeit bei allen Entscheidungen der Welt live dabei sein; doch was nützt uns diese Auseinandersetzung, wenn wir letztlich kein Mitspracherecht haben?
Das Bedürfnis nach Mitsprache hatte auch der Londoner Politberater Simon Anholt (55), der 15 Jahre lang Staats- und Regierungschefs aus unterschiedlichen Ländern zur Seite stand. Um diesem Bedürfnis Ausdruck zu verleihen hat er die Online-Plattform Global Vote gegründet, quasi ein Ventil für alle, die gerne ihre Stimme zu allen wichtigen Abstimmungen und Wahlen der Welt abgeben wollen.
Global Vote wurde eine Woche vor dem Brexit, am 23. Juni 2016, aufgeschaltet. Seither konnten die Userinnen und User ihre Stimmen unter anderem zu den Präsidentschaftswahlen in Island und auf den Seychellen abgeben sowie zur Wahl des neuen UNO-Generalsekretärs. Bei jeder Wahl werden auf der Plattform die offiziellen Kandidaten präsentiert – diese können sich sogar selbst zu Wort melden, denn sie werden dazu aufgefordert, folgende zwei Fragen zu beantworten :
1. Wenn Sie gewählt werden, was werden Sie für den Rest der Welt tun?
2. Was ist Ihre Vision für die Rolle Ihres Landes in der Welt?
Bisher hätten die meisten Kandidaten geantwortet, sagt Simon Anholt – ausser, wen wunderts, Donald Trump und Hillary Clinton. Gewählt wird direkt auf der Website, einige Sicherheitsmassnahmen verhindern, dass dieselbe Person mehrfach teilnimmt. Die Resultate oder Trends von Global Vote werden nicht vor der jeweiligen Wahl bekannt gegeben, um die eigentlichen Wähler nicht zu beeinflussen. Denn die Ergebnisse der Plattform haben bisher noch nie mit den tatsächlichen Wahlsiegern oder Abstimmungsresultaten übereingestimmt. Den Brexit, zum Beispiel, lehnten 86% der Global Vote-Wähler ab. Und wäre es nach der Global Vote-Community gegangen, wäre nicht der einstige portugiesische Ministerpräsident und Chef des Uno-Flüchtlingshilfswerks António Guterres zum Nachfolger Ban Ki-moons ernannt worden, sondern die ehemalige neuseeländische Premierministerin Helen Clark.
Claude Longchamp: «Global Vote hält den Ländern einen Spiegel vor»
Während bei der Brexit-Abstimmung erst einige wenige zehntausend Personen aus 39 Ländern mitgemacht haben, werden es bei der aktuellen US-Wahl bereits über hunderttausend aus 134 Ländern sein, prophezeit Simon Anholt. Dennoch bleibt trotz steigender Teilnehmerzahlen fraglich, welchen konkreten Einfluss eine Plattform wie Global Vote auf die weltweiten politischen Entwicklungen haben kann. So schätzt etwa Claude Longchamp, Politikwissenschaftler und Geschäftsführer des Forschungsinstitutes gfs Bern, den Einfluss von Global Vote als eher gering ein. Er findet jedoch den Gedanken spannend, «dass mithilfe der Plattform eine Weltöffentlichkeit entstehen kann, die den wählenden Ländern einen Spiegel vorhält». Zudem ist er überzeugt, dass Plattformen wie Global Vote im Trend liegen, denn «sie sind Ausdruck der politischen Kommunikation und knüpfen an die Diskussionen in den Massenmedien und auf Social Media an. Sie ermöglichen es, eine Bilanz zu ziehen».
Fazit: Global Vote wird wohl insofern eine Social Media-Spielerei bleiben – wie so viele andere Plattformen auch. Doch besteht durchaus die Chance, dass sich die Plattform zu einer Art Pulsmesser für Meinungen und Stimmungen einer global vernetzten Community mausert, die die Aufmerksamkeit von globalen Unternehmen gewinnen könnte. Mitzumachen ist auf jeden Fall ein interessantes Erlebnis: die Wählerin fühlt sich als Teil eines grossen Ganzen, zudem fordert Global Vote dazu heraus, sich ernsthaft Gedanken darüber zu machen, wem sie ihre Stimme geben will. Ganz im Sinn des Global Vote-Gründers Simon Anholt, der mit seinem Hashtag #maketheworldwork dazu aufruft, die Welt zumindest ein bisschen zum Besseren zu verändern.
– Weitere Informationen: goodcountry.org