Väter müssen keine Männer sein. Das weiss ich seit ungefähr zehn Jahren – seit dem Coming-out von Papa*. Als ich Anfang zwanzig war, hat sich mein Vater ein Treffen mit meiner Schwester und mir gewünscht. Sie sei transgender, erklärte sie. Das heisst, ihr wurde bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen, sie fühlt sich aber schon ihr ganzes Leben als Frau.
Meine Schwester hat angefangen zu weinen, ich habe laut gelacht. Zwei unterschiedliche Reaktionen von zwei gleichermassen überforderten Töchtern. Wir wussten nicht, was das bedeuten soll – und wie es nun weitergeht. Erst einmal haben wir unseren Vater neu kennengelernt, angefangen beim Namen.
In der Öffentlichkeit spreche ich sie mit ihrem selbst gewählten weiblichen Vornamen an. Im kleinen, familiären Rahmen und in SMS ist sie immer noch Papa*. Sie selber schlug vor, Papa mit einem Sternchen dahinter zu schreiben. Das soll sichtbar machen, dass alle Geschlechtsidentitäten mit eingeschlossen sind. Ausserdem verwende ich – egal, ob ich rede oder schreibe – immer die weibliche Anrede. Das ist nicht immer ganz einfach, weil es die üblichen Regeln durchbricht. Aber ich habe mich schnell daran gewöhnt.
Papa* hat mich zu Beginn gebeten, niemandem aus meinem Freundeskreis von ihrer Geschlechtsidentität zu erzählen. Das hat mich sehr belastet. Meine Freundinnen wussten zwar, dass irgendetwas los ist, aber nicht was genau. Schliesslich habe ich meinen besten Freund eingeweiht. Er hat fast keine Verbindung zu meiner Familie und wohnt in einer anderen Stadt. Mit einer aussenstehenden Person darüber reden zu können, hat mir enorm geholfen. Es war für mich aber klar, dass ich die Bitte von Papa* um Zurückhaltung einhalte, bis heute. Das ist auch der Grund, weshalb ich an dieser Stelle anonym schreibe. Ein Coming-out ist eine persönliche Angelegenheit, die von der betreffenden Person selbstbestimmt zum für sie passenden Zeitpunkt gewählt werden soll.
Besonders geblieben ist mir unsere erste Verabredung in einem Restaurant nach dem Outing gegenüber mir und meiner Schwester. Ich wusste, dass sie dort nun auch von anderen als Frau gesehen werden konnte. Ich stand minutenlang vor dem Lokal und hatte Angst reinzugehen. Was, wenn ich Papa* nicht erkenne? Ich fühlte mich wie vor einer Prüfung: bin hin und her gelaufen, habe tief durchgeatmet und meine Arme ausgeschüttelt. Als ich reinging, war ich unendlich erleichtert, als ich sie natürlich sofort sah und erkannte.
Erst da fiel der Groschen: Papa* hat sich nicht in einen anderen Menschen verwandelt. Sie machte dadurch lediglich für andere sichtbar, wie sie sich selber schon lang fühlte. Mir wurde klar: Gender entsteht und lebt zwischen unseren Ohren und ist nicht an unseren Körpern erkennbar.
Nichtsdestotrotz haben sich die Rollen zwischen mir und Papa* verändert. Das ist mir eines Abends im Ausgang bewusst geworden. Ein Typ hat Papa* aufgrund ihres Äusseren blöd angemacht. Ich habe mich so gross und breit wie möglich gemacht und den Mann konfrontiert. Im Nachhinein war ich über mich selber überrascht. Dass ich als Tochter einen Elternteil beschützen kann, war neu für mich.
Ich mache mich heute, wo und wann immer ich kann, für Transrechte stark. Was das bedeutet? Dass ich zum Beispiel den Mund aufmache, wenn Transmenschen diskriminiert werden. Dass ich sie mit den richtigen Pronomen, dem gewählten Namen anspreche und übergriffige Fragen zu Geschlechtsteilen, Operationen und Äusserlichkeiten bleiben lasse. Ich finde es wichtig, dass Angehörige von Transmenschen mithelfen, über das Thema aufzuklären. Das Outing von Papa* hat uns am Ende näher zusammengebracht. Wir sind heute nicht mehr nur Vater und Tochter. Sondern Verbündete.
* Name der Redaktion bekannt