Wenn man unter Zeitdruck einen Impfstoff herstellen muss?
- Text: Helene Aecherli; Bild: Pexels
Meine Kollegen in China haben angefangen, an einem Impfstoff zu forschen, als hier in der Schweiz noch kaum jemand vom Corona-Virus geredet hat. Ich ahnte zwar, dass auch ich bald würde in die Eisen steigen müssen, denn ich hatte zu Beginn des Jahres von einer Mitarbeiterin meines Labors in Peking gehört, dass sie ein Video aus einem Spital in Wuhan gesehen hatte, in dem die Leichen in den Gängen lagen. Aber hier in Europa dachte wohl jeder, das Virus würde verebben, sobald es China verlässt – das war ja auch bei Sars der Fall. Wie haben wir uns da verschätzt! Wir realisierten erst, als sich das Virus in Italien auszubreiten begann, dass das, was aus der Ferne wie ein Horrorfilm ausgesehen hat, jetzt auch bei uns angekommen war. Als ich an jenem Tag Mitte Februar ins Labor kam, sagte ich bloss: «Habt ihr die Sterberate bei den alten Menschen gesehen?» Das genügte. Im Normalfall dauert es sechs Jahre, um einen Impfstoff zu entwickeln. Doch das Einzige, das wir jetzt nicht haben, ist Zeit. Innerhalb von sechs bis acht Monaten muss einfach ein Impfstoff her, darüber sind sich alle einig.
Als Erstes bestellten wir die DNA des Virus. Wir benötigen nur eine Sequenz davon, denn seit Sars und Mers, deren Erreger eng mit dem CoronaVirus verwandt sind, wissen wir, was wir brauchen, um einen Antikörper herzustellen. Nun arbeiten wir mit einem «Gurkenmosaik-Virus», das Gurken befällt und virusähnliche Partikel verursacht. Auf die Oberfläche dieser Partikel kleben wir mit biochemischen Methoden die sogenannte rezeptorenbindende Domäne, das ist die Stelle, wo das Virus an menschliche Zellen anbindet, sozusagen sein wunder Punkt. Wird dieses Design in einen lebenden Organismus gespritzt, derzeit noch in Mäuse, entsteht eine Immunreaktion. Unsere Arbeit im Labor ist keine Wildwestgeschichte, sondern reine Routine – nur, dass wir diese Routinearbeiten jetzt schneller machen als sonst. Zudem haben wir zur Unterstützung ein Institut in der lettischen Hauptstadt Riga angeheuert, das auf die Herstellung dieser virusähnlichen Partikel spezialisiert ist. Zehn bis zwanzig verschiedene Varianten testen wir täglich, nicht hintereinander, sondern gleichzeitig, um zu schauen, wo es schneller klappt, in Riga, Peking oder in Bern. Derzeit läuft alles überlappend, denn wir wissen ja nie, wann wir krank werden. Um das Risiko einer Ansteckung zu verringern, kommt unser 15-köpfiges Team in zwei Schichten: die erste am Morgen, die zweite am frühen Nachmittag. Ich selbst bin von 7 bis 21 Uhr vor allem am Telefon – meine Frau gibt mir schon fast Hausverbot, wenn ich mit dem Telefon am Ohr auftauche. Ich bin am Koordinieren und versuche, mit der Stiftung des Unispitals Zürich und dem Inselspital Bern hundert Millionen Franken für die Produktion des Impfstoffs aufzutreiben. Pausen machen wir kaum, und reden tun wir auch nicht gross, da jeder von uns eine Maske trägt, wäre der Spassfaktor ohnehin gering.
Weltweit arbeiten etwa fünfzig Forscherteams an einem Impfstoff, die Konkurrenz ist gross, klar. Aber vor Konkurrenz habe ich nie Angst gehabt, denn ich bin überzeugt, dass wir auf einem guten Weg sind, und bis jetzt sieht es so aus, als würde alles nach Plan funktionieren. Wir sind dabei, unser Impfstoffdesign so zu modifizieren, dass wir eine Version erlangen, die man in einem grossen Massstab herstellen kann.
Das Adrenalin ist derzeit natürlich im Dauerhoch, ich nehme jedes Blutdruckmittel, das es gibt auf der Welt, und sehne mich danach, wieder einmal richtig schlafen zu können. Aber das Tempo – das werden wir so lang durchhalten, wie es sein muss.