Andrea Colli* erzählt, wie es ist, wenn man nach 16 Jahren Beziehung plötzlich verlassen wird.
Es war, als würde mich jemand über einem tiefen Abgrund baumeln lassen. Er sagte: Vielleicht sollten wir uns trennen. Aber vielleicht auch nicht. Wir waren seit sechzehn Jahren ein Paar. Es lagen ein paar Tausend Kilometer zwischen uns, am Telefon schob er nach: Geniess du erst mal deine Ferien.
Eigentlich hätte er nachreisen sollen. Wegen eines Geschäftstermins hatte er den gemeinsamen Abflug sausen lassen müssen. Er hatte mich zum Flughafen gebracht, mich mit Küssen und meinem Kosenamen verabschiedet. Am Abend zuvor hatte er für uns noch ein romantisches Dinner organisiert. Keine Sekunde dachte ich, dass etwas nicht stimmt. Ich wusste von seiner Krise. Midlife. Ich hatte ihm gesagt, wir würden das gemeinsam meistern. Nun plötzlich dieser Zweifel an uns: Ich hatte nie an physischen Herzschmerz dieses Ausmasses geglaubt. Aber jetzt hatte ich tagelang das Gefühl, mir würde jemand des Herz herausreissen.
Kurz vor dem besagten Telefongespräch hatte er ein Bild auf Facebook gepostet, das ihn neben zwei Pärchen zeigte, so dachte ich. Ich hatte ihn darauf angesprochen. Geschäftsfreunde. In Wahrheit führte er da die eine Frau auf dem Foto längst in unser Stammrestaurant aus und reiste mit ihr in unser romantisches Hotel. Ich fand später heraus, dass er sie seit Monaten traf.
Wir haben zusammen den Tsunami überlebt. Vor zwei Jahren, als er sehr krank war, sass ich über Weihnachten Tag und Nacht an seiner Seite im Spital. Er war der erste Mensch, den ich anrief, wenn etwas Schönes passierte oder wenn ich mich ärgerte. Normalerweise telefonierten wir täglich drei, vier Mal. Jetzt herrschte Funkstille. Nach ein paar Tagen trennte er sich schriftlich von mir. Das E-Mail war nüchtern, wie von einem Anwalt geschrieben, versehen mit einer Deadline, bis wann ich aus dem gemeinsamen Heim, seinem Haus, auszuziehen hatte. Das Mail endete mit: Danke und bis bald. Bis heute, drei Monate später, spiele ich tausend Mal im Kopf die Zeit vor meiner Abreise durch und frage mich, was ich übersehen habe, vielleicht nicht sehen wollte. Ich zweifle an meiner Menschenkenntnis. Noch in den Ferien fing ich an, Wohnungen zu suchen. Nach meiner Rückkehr zog ich innerhalb von zwei Wochen um. Miteinander gesprochen haben wir erst wieder, als ich ihm den Schlüssel zu dem Haus, das jahrelang unser Zuhause gewesen war, überreichte. Selbst an diesem Tag leugnete er, dass es eine neue Frau in seinem Leben gäbe. Er tat dies auch unseren Freunden gegenüber, obwohl ihn schon einige mit ihr gesehen hatten. Ich fühlte mich gleich nochmals verraten.
Glaube ich noch an die Liebe? Ganz klar ja! Ich bin fassungslos über die Art und Weise, wie er sich von mir getrennt hat. Die Ignoranz, die Arroganz, die Lügen, die machen mich immer noch ohnmächtig. Aber sonst empfinde ich nichts mehr für ihn. Selbst, wenn ich es versuche. Er ist wie ein Fremder. Dass das möglich ist, schockiert mich manchmal selber. Wahrscheinlich habe ich in der Wut gesagt, dass ich ihn hasse. Aber in Wahrheit empfinde ich nicht einmal mehr dafür genug.
Vielleicht versuchte er, der zu sein, den ich in ihm sah. Auf lange Sicht konnte er das nicht. Trotzdem: Wäre meine Menschenkenntnis so schlecht, hätte ich nicht so gute Freunde. Sie haben mich in der schlimmsten Zeit praktisch Tag und Nacht aufgefangen. Würde ich an der Liebe zweifeln, müsste ich ja auch an ihnen zweifeln. Ich glaube immer noch, dass da draussen irgendwo ein Mann ist, der zu mir passt und den ich hoffentlich irgendwann treffen werde.
Wie konnte ich einen Menschen so falsch einschätzen? Ich weiss nicht, ob ich die Antwort darauf jemals finden werde – oder überhaupt wissen will. Eigentlich sollte ich ihm fast dankbar sein. Denn das Ganze hat mich anderen Menschen viel näher gebracht. Ich weiss gar nicht, was ich damals, Tausende von Kilometern weit entfernt, gemacht hätte, wenn es kein Whatsapp gäbe. Ohne Freunde und Familie hätte ich diese Geschichte nicht überlebt.
(*Namen von der Redaktion geändert. Aufgezeichnet von Silvia Binggeli)