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Wenn man nackt Modell steht

Wenn man nackt Modell steht

  • Redaktion: Jessica Prinz; Foto: Unsplash / freestocks

Nackt Modell zu stehen kam für B.S. (50) lang nicht infrage – bis nach der Schwangerschaft. Mittlerweile steht sie seit fast 20 Jahren Modell und erzählt, wie es ist, wenn alle Augen auf sie gerichtet sind. 

Früher hätte ich mir nie vorstellen können, mich nackt von fremden Menschen malen zu lassen. Damals, als junge Frau in Zürich, wurde ich nämlich schon mal fürs Modellstehen angefragt. Die Hemmschwelle war aber viel zu hoch, und die Angst, von jemandem erkannt zu werden, zu gross. Dann wurde ich irgendwann Mutter – ein Ereignis, das für mich wie eine Entjungferung von innen heraus war. Durch die Schwangerschaft, die Geburt und das Stillen veränderte sich das Verhältnis zu meinem Körper fundamental: Ich begann, ihn als Gebrauchsgegenstand zu sehen. Meine Hemmschwelle sank, und als mich ein bekannter Künstler erneut anfragte, wagte ich den Schritt. Mittlerweile bin ich seit fast zwanzig Jahren nebenberuflich immer wieder als Modell im Einsatz – manchmal angezogen und manchmal nackt.

Beim Aktmalen geht es weniger um die Nacktheit an sich als um die Proportionen des Körpers, seine Dreidimensionalität und um die Schatten, die sich bilden. Grundsätzlich nimmt man dabei Positionen ein, die angenehm sind und einen gewissen Schutz bieten. Ich werde also nie breitbeinig dasitzen, das Geschlecht ist eher verdeckt. Dennoch bin ich in gewisser Weise ausgeliefert, mein nackter Körper wird stundenlang angestarrt. Unwohl habe ich mich dabei aber selten gefühlt, im Gegenteil: Ich bin das Kostbarste in so einem Kurs. Alle sind auf mich angewiesen.

Ob stehend, sitzend oder liegend: Maximal fünfzig Minuten kann ich in einer Position verharren. Dann schlafen irgendwann die Glieder ein, die Muskeln beginnen zu zittern, und ich brauche eine Pause. Versuchen Sie mal, eine Grimasse zu schneiden und diese für fünf Minuten zu halten. Sie werden schnell merken, wie anstrengend das ist! Vor einer Pause wird meine Position akribisch festgehalten, damit das Bild danach das gleiche bleibt. Das Wiedereinsteigen in eine Pose bedarf oft grosser mentaler Überwindung – der Körper vergisst den Schmerz nicht. Ein wenig Erleichterung finde ich, indem ich minimale Verlagerungen des Körpers vornehme, also das Gewicht vielleicht mal mehr auf die linke Pobacke verlagere oder den Rücken ein klein wenig strecke.

Reich und berühmt werde ich damit nicht. Normalerweise verdiene ich zwischen 30 und 40 Franken pro Stunde, in seltenen Fällen gibt es auch mal 70 Franken. Das Schöne am Modellstehen ist, dass es nicht gebunden ist an Status, Kultur, Alter oder Geschlecht. Jeder und jede kann Modell sein, egal, ob er oder sie als klassisch schön empfunden wird oder nicht. Meiner Meinung nach ist es sogar eher ein Vorteil, wenn man sich – so wie ich – nicht als besonders schön empfindet und sich selbst gegenüber eine gewisse Neutralität bewahrt hat. Es kann nämlich durchaus passieren, dass man sich auf den Bildern nicht wiedererkennt. Manche verschönern meinen Körper, andere werten ihn ein wenig ab. Ich darf es nicht persönlich nehmen, wenn ich höre, wie der Kursleiter einem Teilnehmer erklärt: «Aber schau, die Nase ist doch relativ gross» oder «Die Brust ist aber viel flacher als auf deiner Zeichnung». Ich muss mich darauf einlassen, auch mal unvorteilhaft auszusehen. Falten sind ja auch aufregend – und Fleisch, das sich drückt und dehnt, genauso.

Im Moment des Modellstehens gibt man einen grossen Teil seiner Persönlichkeit ab. Die Künstler nehmen sich von dir, was sie wollen. Mein Körper geht im Moment des Zeichnens in die Welt der Künstler über. Diese erweiterte Wahrnehmung meines Äusseren, diese ausgelagerte Reflexion, finde ich etwas sehr Tolles.

Einer der schönsten Momente ist es aber, wenn ich nach dem Modellstehen meine Kleider wieder anziehen kann. Ich freue mich dann richtig, dass sie mir Wärme und Schutz, Form und Ausdruck geben. Und mich wieder gleichmachen wie alle anderen.