Sie hatte Einblick in die dunkelsten Ecken des Internets: Franziska Schubiger (47), Leiterin der Abteilung für allgemeine Kriminalität bei der Kantonspolizei Zürich, erzählt über Ermittlungen im Darknet.
Am Anfang meiner Karriere, vor rund 26 Jahren, hat noch niemand von Ermittlungen im Internet, oder sogar im Darknet, gesprochen. Als ich in die Abteilung für Sexualdelikte und Kinderschutz gekommen bin, wurde es aber zunehmend ein Thema. Zu Beginn ermittelten wir dort im normal zugreifbaren Internet, weil dort Kinder, die sich auf Chatplattformen tummeln, von Tätern angesprochen werden können. Seit einigen Jahren ermitteln wir aber auch im Darknet wegen illegaler Pornografie.
Was viele bestimmt nicht wissen: Das Darknet an sich ist legal. Und die Anonymität, mit der man im Darknet surft, hat auch Vorteile für die Gesellschaft: Zum Beispiel für Menschen, die politisch verfolgt werden oder sich in ihrem Land nicht frei äussern können. Für sie ist es eine Möglichkeit, sich kritisch zu äussern. Dass solche Personen auch Kontakt haben können zu Usern ausserhalb ihres Landes und ihre Ansichten kundtun können – das erachte ich auf jeden Fall als positiv.
Aber man findet halt auch alles, was verboten ist: Betäubungsmittel kann man sicher bestellen, auch Waffen. Meine Berührungspunkte waren jedoch die pornografischen Erzeugnisse mit Kindern, aber auch Gewaltdarstellungen, wie zum Beispiel Videos, die einen Mord oder Folter zeigen. Diese Videos sind das Schlimmste, was ich gesehen habe. Ich wüsste nicht, was da noch Schlimmeres kommen könnte – aber da ist die eigene Vorstellungskraft auch limitiert. Ich fragte mich schon, was das für eine perverse Parallelwelt ist, die da existiert. Welcher Typus Mensch das sucht und braucht, um zufrieden zu sein. Inhaltlich habe ich das schon gekannt, von analogen Erzeugnissen – aber natürlich geht es einem nahe – gerade wenn Kinder oder Frauen Opfer werden. Das finde ich das verwerflichste Delikt, das man begehen kann – und gleichzeitig persönlich das sinnvollste für mich, sich dort zu engagieren.
Um ins Darknet zu kommen, braucht es eine spezielle Software. Alle Ermittler haben eine Grundausbildung für die digitale Ermittlung, aber bei komplizierten Fällen und für die technischen Belange haben wir Cybercrime-Spezialisten. Es ist nicht schwierig, ins Darknet reinzukommen. Genaueres kann ich aber aus taktischen Gründen nicht verraten.
Die Polizei ermittelt nicht einfach ins Blaue hinaus, das wäre wenig zielführend. Grundsätzlich arbeiten wir aufgrund von Hinweisen, Anzeigen oder von Ermittlungsansätzen, die sich aus Fällen ergeben. So weiss man, wo man hinschauen muss. Wenn wir beispielsweise einen Hinweis bekommen, dass auf einer bestimmten Site illegale Pornografie angeboten wird, dann wissen wir, auf welche Adressen oder Foren wir uns konzentrieren müssen. Dann interessiert uns: Besitzt jemand illegale Pornografie und bietet diese an? Welche Ware will er via Darknet erhältlich machen? Es ist für uns sehr wichtig zu sehen, was hinter einem Angebot steckt. Ist es einfach nur Wichtigtuerei oder steckt da wirklich etwas dahinter, das strafbar ist? Wenn einer Interesse an illegaler Pornografie zeigt und sagt, er besitze selbst auch welche, muss das noch lang nicht stimmen. Aber auch wenn wir auf seiner Festplatte nichts finden, schliesst das nicht aus, dass er eine strafbare Handlung begehen wollte. Eine weitere Frage ist: Will ein User in der realen Welt ein Kind treffen und missbrauchen? Dann ist es das Ziel der Ermittler, ihn aus der virtuellen hinein in die reale Welt zu locken und ein Treffen zu vereinbaren.
Das Darknet beschränkt sich ja nicht auf die Schweiz oder Europa: Im Darknet finden sich User aus der ganzen Welt. Das ist eine der grossen Schwierigkeiten. Wenn ein User in Honolulu lebt, wird es sofort sehr schwierig für die Polizei. Sobald es über Ländergrenzen hinausgeht, stellt sich die Frage der Zuständigkeit. Wir suchen Täter, bei denen wir dann im Idealfall an der Haustüre klingeln können und sagen: «Sie sind jetzt verhaftet.»
Ein weiterer Grund für die Abgründe des Darknet ist, dass man seine Identität verschleiern und sehr anonym agieren kann. Das setzt die Hemmschwelle sehr weit runter. Diese Anonymität verleitet sicher einige, Dinge auszuprobieren, die sie im richtigen Leben nicht machen würden. Drogen mit ein paar Mausklicks zu bestellen, ist einfacher, als sie auf der Strasse zu besorgen. Bei der Polizei müssen wir uns auf jeden Fall immer intensiver mit Internetkriminalität auseinandersetzen, nicht nur im Darknet, sondern auch ganz allgemein im Internet. Aber die Delikte selbst verändern sich dabei eigentlich nicht, und auch nicht die Strafbarkeit. Es gibt einfach eine Verschiebung vom realen Leben ins Netz. Es ist der Modus Operandi, das Tatvorgehen, das ändert. Der Computer ist bloss ein Hilfsmittel, um an gleiche oder ähnliche Ziele heranzukommen wie vor 20 Jahren auch. Und gewisse Delikte bleiben einfach analog, wie beispielsweise ein Mord.