Ruedi Minger (50), Medienmanager aus Zürich erzählt, warum er immer wieder solche Strapazen auf sich nimmt und was er braucht, um bei einem Triathlon ins Ziel zu kommen.
Wenn ich starte, explodiert das Adrenalin in meinem Körper – ich fliege. Die 17 Stunden, die vor mir liegen, scheinen schön, aufregend, leicht. Ich crawle mit all den andern los, das ist für mich wie ein Warm-up. Lange Zeit war Schwimmen mein Lieblingssport. Bis ich mich vor 15 Jahren in New York entschloss, am NYC-Marathon teilzunehmen. Damals war ich 35 Jahre alt und konnte kaum zwei Kilometer am Stück rennen. Als ich nach strukturiertem Training den Marathon schaffte, war das ein Erweckungserlebnis. Zurück in der Schweiz, lief ich mehrere Marathons. Ich wurde besser, schneller. Ich stieg um auf Triathlon, wurde Mitglied eines Trainingclubs und begann mit Ironmans.
Diesen Sommer trat ich erstmals beim Swissman Xtreme Triathlon an. Ein Ironman mit grossen Höhenunterschieden, der härteste Wettkampf meiner bisherigen Laufbahn. 3.8 Kilometer schwimmen im Lago Maggiore. 180 Kilometer Velo fahren mit 3500 Höhenmetern über drei Pässe: Gotthard, Furka, Grimsel. Und am Ende ein Marathon von 42 Kilometer über 1600 Höhenmeter, von Brienz auf die Kleine Scheidegg.
Gesund sind diese extremen Wettkämpfe nicht, sagt mein Arzt. Das regelmässige Ausdauertraining, das ich dafür betreibe, hingegen schon. Warum ich mir das antue? Das fragen mich viele. Natürlich finde ich die Bergwelt enorm schön, die ich da während Stunden durchquere. Aber die tief greifende Antwort ist die: Diese Strecken zu schaffen, gibt mir eine unheimliche Befriedigung. Es ist eine Selbstbestätigung. Vielleicht auch ein Weg, dem Alter ein Schnippchen zu schlagen. Wichtig ist für mich, dass ich mich von Wettkampf zu Wettkampf verbessere. Mich haben schon 70-Jährige überholt. Ich denke also, dass ich noch Luft nach oben habe. Aber keine Ahnung, was mit mir passiert, wenn ich meine Zeit mal nicht mehr übertreffen kann. Dem schaue ich nicht so gelassen entgegen, ehrlich gesagt.
In der Euphorie, die mich in den ersten Stunden des Swissman durchströmt, fühle ich keinen Schmerz, keinen Hunger, keinen Durst. Doch ich musste lernen, trotzdem zu essen: Pro Stunde brauche ich 80 bis 100 Gramm Kohlehydrate, das entspricht einem Teller Pasta. Im Wettkampf nehme ich anfangs vor allem Gels zu mir, dazu kommen Salztabletten gegen Krämpfe und Wasser mit Elektrolyten. Später esse ich Mars, Chäschüechli, Apfelwähe, Chips, Biberli, Marzipan – ich hab einen halben Kiosk dabei, respektive meine Betreuer, die mir an den Verpflegungsposten stündlich meine Vorräte auffüllen. Insgesamt verbrauche ich während eines Wettkampfs 12 Liter Flüssigkeit und 7000 Kalorien. Der Flow nach dem Start hält 4 bis 5 Stunden an. Danach weckt mich der Körper mit Muskelverspannungen, Müdigkeit, Konzentrationsschwäche.
Ab 12 Stunden meldet sich dann der Kopf. Was machst du da eigentlich? Warum tust du dir das an? Der innere Schweinehund wird immer lauter und stärker. Ich sage mir mantra-mässig: Kopf runter – dafür hast du hart trainiert, es hat ein Ende, irgendwann. Und ich führe mir vor Augen, wie ich mich im Ziel fühlen werde: ein Zustand, der schwierig zu beschreiben ist. Die hohe Ausschüttung an Endorphinen übertrifft die Strapazen bei weitem. Es ist ein Gefühl von Schwerelosigkeit. Man fühlt sich wie neu geboren und ist unheimlich gerührt, den Tränen sehr nah.
Im Ziel des Swissman Xtreme war das leider anders. Als ich auf der Kleinen Scheidegg ankam, fühlte ich – nichts. Ich war zu erschöpft, mein Kopf hämmerte von den vielen Eindrücken und mentalen Kämpfen. Erst am nächsten Morgen beim Frühstück kam es dann, leicht abgeschwächt, aber immer noch sehr stark: ein intensives, warmes Gefühl der Freude, dass ich es geschafft hatte.
Sooft ich mir während des Schlussaufstiegs auch sagte, dass ich das nie wieder tun werde: Die Erinnerungen an die Strapazen verblassen schnell. Nach zwei Tagen meldete ich mich bereits für den nächsten Wettkampf an; ein ebenfalls von Höhenmetern dominierter Ironman in Nordeuropa.