Wenn die Liftfahrt zum Horrorerlebnis wird
- Aufgezeichnet von Esther Grosjean; Foto: iStockPhoto
Kathrin G. (32) ist medizinische Laborantin und hat panische Angst davor, im Lift stecken zu bleiben. Neben vermasselten Dates und stressigen Urlaubserfahrungen hat die Angst aber auch eine gute Seite.
Das SMS lautete: Komm um 20 Uhr nach Oerlikon, mit Badehose! Mehr wollte mein Date nicht verraten – schliesslich liebte ich Überraschungen. Es sei denn, sie beinhalten eine Fahrt im Lift: 32 Stockwerke in einer engen Kiste senkrecht nach oben, um den Pool mit Panoramablick zu erreichen? Unmöglich! Das Sicherheitspersonal führte mein Date (murrend) und mich (errötet) schliesslich die Notfalltreppe hinauf. Das wars dann mit der romantischen Stimmung. Und sie kam auch später im Wasser nicht auf. Er stehe auf unkomplizierte Frauen – damit hatte mein Date die Aussichten für uns beide unmissverständlich klargestellt.
Das ist zehn Jahre her. Seither hat die urbane Verdichtung immer mehr zugenommen. Dass in die Vertikale gebaut wird, kommt zwar meinem ästhetischen Geschmack, aber meiner Disposition leider gar nicht entgegen. Und je ausgeklügelter die heutigen Lifte mit ihren Touchscreen-Knöpfen sind, desto grösser ist meine Angst, darin stecken zu bleiben. Mich zu fragen, mit wem ich lieber nicht im Lift stecken bleiben möchte, macht auch deshalb wenig Sinn, weil ich schon bei «stecken bleiben» erstarre.
Im Sommer 2010 passierte es dann doch, dass ich in einem Lift landete, in New York, für eine Dachterrassenparty. Vergeblich hatte ich zuvor die Fassade nach einer dieser typischen Feuerwehrtreppen abgesucht. Wie gern wäre ich dort hinaufgekraxelt, statt in diesen teuflischen Fahrstuhl zu steigen. Der Blick auf den Wolkenkratzerwald war zwar herrlich. Dennoch sass ich den ganzen Abend lang gequält inmitten all der fröhlichen Gäste – und dachte immerzu an die bevorstehende Höllenfahrt nach unten.
Klar habe ich schon versucht, meine Klaustrophobie anzugehen. Bei der Konfrontationstherapie zum Beispiel fährt man während mehrerer Sitzungen Lift, zuerst nur gedanklich, dann real. Schwitzend rapportierte ich der Psychologin, dass mein Herz raste und ich keine Luft mehr bekam – bis sich die Schiebetür wieder öffnete und ich benommen hinaustaumelte.
Evolutionsbiologisch ist mein Verhalten durchaus logisch erklärbar. Droht Gefahr – egal ob real oder nur eingebildet –, heisst es: auf zur Flucht! In der Prärie ist das unproblematisch und vermutlich sogar sinnvoll, im geschlossenen Raum ist das nur noch jahrtausendealter unnötiger Ballast. Sehe ich keine Möglichkeit, meinen Aufenthaltsort im Notfall augenblicklich zu verlassen, bekomme ich Panik.
Bangkok war mir in diesem Sinn auch nicht die idealste Umgebung. Dreissig Etagen bezwang ich während dreier Tage mehrere Male zu Fuss und lächelte verkrampft, wenn das hilfsbereite Hotelpersonal mir mal wieder den Weg zum Lift weisen wollte. Auch wenn es nicht danach aussah: I am okay.
Rational betrachtet finde ich meine Panik lächerlich. So kann man mich immer wieder dabei beobachten, wie ich Koffer und Bagage im Lift verstaue. Aber aller guten Vorsätze zum Trotz mich dann doch jedes Mal kurz vor Türschliessung wieder absetze, die Treppe hinauf- oder hinuntersprinte und den fahrenden Kubus samt Inhalt zu mir bestelle.
Was gruselige Liftgeschichten angeht, habe ich ein Elefantengedächtnis. Eine stammt aus dem Youtube-Fundus, wo ein Mann 41 Stunden im Lift ausharren musste, bis man ihn endlich befreite. Die Sicherheitskamera hatte ihn zwar gefilmt, nur hat sich niemand dafür interessiert. Schauderhaft.
Ob es etwas gibt, wofür ich den Lift nehmen würde? Die abzuholende Million im vierzigsten Stock, den Schlüssel für die Parterre-Traumwohnung? Da müsste es, ganz ehrlich, schon richtig viel zu holen geben. Den perfekten Mann vielleicht?
Dass auf das Date in Oerlikon kein zweites gefolgt ist, macht nichts. Meine Liftangst gehört zu mir, das muss der Mann an meiner Seite akzeptieren. Zudem macht Treppensteigen einen knackigen Po. Und sonst bin ich ja eigentlich tatsächlich recht unkompliziert – solange man mich nicht mit einer Einladung in einen Dachterrassenpool überrumpelt.