Sie arbeiten da, wo andere Ferien machen. Reisen um die Welt und verdienen dabei Geld. Zwei Schweizer Digitalnomadinnen erzählen.
Unter Palmen einen Caipirinha schlürfen, den Wellen dabei zuschauen, wie sie schäumende Gischt an den Strand spülen, und ab und zu ein paar E-Mails an die Kunden in der Ferne senden. Ungefähr so stellt sich der durchschnittliche Angestellte das Leben eines Digitalnomaden vor. Dass es nicht ganz so einfach ist, weiss Lorenz Ramseyer. Der 44-jährige Freiburger war lange selber als Digitalnomade unterwegs. Heute organisiert er mit seinem Verein Digitale Nomaden Schweiz Veranstaltungen und Meet-ups für Interessierte. Und obwohl es von denen immer mehr gebe, sei es nur ein kleiner Teil, der den Schritt ins digitale Nomadentum wage: «Mit der Digitalisierung ist es immer einfacher geworden, Digitalnomade zu werden. Vielen fehlt am Schluss aber der Mut, sich für ein solches Leben zu entscheiden – vielleicht auch, weil das Nomadentum in der Schweiz noch nicht so verbreitet ist wie zum Beispiel in Amerika.» Dass diese Lebensform mehr Arbeit bedeutet, als am Morgen einen Liegestuhl aufzuklappen, das wissen auch Birgit Pestalozzi und Katrin Gygax. Beide bezeichnen sich als digitale Nomadinnen, leben aber zwei völlig unterschiedliche Leben.
Birgit Pestalozzis Leben als Digitalnomadin begann mit einem tragischen Unfall vor drei Jahren. Bei einem Ausritt mit ihrem Pferd stürzte die ehemalige Marketingleiterin von Ernst & Young Schweiz schwer, zog sich einen siebenfachen Bruch im Gesicht zu. Trotz des Unfalls sei Birgit Pestalozzi im Spital «euphorisch» gewesen: «Ich habe realisiert, dass ich gerade eine zweite Chance bekommen hatte – ich hätte schliesslich im Rollstuhl oder tot sein können. Ich wusste immer, dass es noch etwas anderes geben muss als meinen Job in der Corporate-Welt. Der Unfall gab mir die Gewissheit: Jetzt folge ich meiner wahren Bestimmung.» Heute ist Birgit Pestalozzi selbstständige Beziehungscoach und rund neun Monate im Jahr unterwegs – irgendwo zwischen Amerika und Ägypten, Barcelona und Brasilien. Im Interview verrät die 42-Jährige, wie man Digitalnomade wird und welche Anfängerfehler man dabei auf keinen Fall machen darf.
Katrin Gygax wohnt in Zürich und arbeitet seit 1996 als selbstständige Übersetzerin und Texterin. Sie tat dies zunächst von zuhause aus, merkte aber bald, dass das nichts für sie ist: «Mein Arbeitsweg betrug 13 Meter, vom Bett ins Büro. Das wollte ich nicht mehr. Ich wollte rauskommen. Und weil mir ein externes Büro zu teuer war, habe ich angefangen, mir immer neue Arbeitsplätze zu suchen.» Restaurants, Hotellobbies, Bibliotheken, Zugwagons – Katrin Gygax macht sich die ganze Schweiz zum Büro. Zunächst nur für ein paar Stunden pro Tag, denn Internet gab es auf den Handys von 1996 nicht, E-Mails und Faxnachrichten konnte sie nur zuhause empfangen. Seit der Erfindung der Smartphones sei sie aber vollkommen frei. Katrin Gygax ist heute mal zweimal, mal fünfmal die Woche in der Schweiz unterwegs, ab und zu auch mehrere Tage am Stück. In den sozialen Netzwerken veröffentlicht die 57-Jährige Fotos ihrer täglich wechselnden Büros unter dem Hashtag #TodaysOfficeLooksLikeThis, sie hat ausserdem ein gleichnamiges Buch geschrieben. Uns verrät Katrin Gygax die unkonventionellsten Arbeitsplätze der Schweiz und gibt praktische Tipps zum Nomadentum.