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Welche Risiken birgt die Pille?

Welche Risiken birgt die Pille?

  • Interview: Miriam Suter; Foto: iStock

Migräne, Depression, Thrombosen und schwindende Libido: Die Antibabypille kann unangenehme Nebenwirkungen haben. Wie wird in Arztpraxen darüber aufgeklärt? Gabriele Merki, Oberärztin und Leiterin Schwangerschaftsverhütung am Universitätsspital Zürich, erklärt.

Der Ruf der Antibabypille hat in den letzten Jahren ziemlich gelitten: Vermehrte Berichte über Frauen, die vermutlich wegen der Pille Lungenembolien erlitten, machen Angst. Dennoch: In der Schweiz ist die Antibabypille das beliebteste Verhütungsmittel bei Frauen. Mit 65 Prozent liegt sie klar vor dem Kondom – darauf vertrauen nur 22.5 Prozent der Schweizer Frauen.

Eine Statistik vom Schweizerischen Apotherverband pharmaSuisse zeigt aber auch: Die Anzahl der Frauen, welche mit der Pille verhüten, geht zurück. Zeit, Klartext zu reden: Wie hoch sind die Risiken einer Thrombose bei Einnahme der Pille wirklich? Und welche anderen Nebenwirkungen können auftreten? Prof. Dr. med. Gabriele Merki ist Oberärztin und Leiterin Schwangerschaftsverhütung, Jugendgynäkologie und Migräne bei Frauen am Universitätsspital Zürich und hat mit annabelle.ch genau darüber gesprochen. 

annabelle.ch: Gabriele Merki, welche sind die schlimmsten Folgen, die bei der Einnahme der Pille auftreten können?
GABRIELE MERKI: Thrombose, Lungenembolie, Herzinfarkt und Hirninfarkt. Man muss dazu aber sagen: Diese Folgen sind extrem selten. Von 100’000 Frauen erleiden vielleicht drei einen Infarkt, 8 von 10’000 bekommen eine Thrombose. 

Was tun Ärztinnen und Ärzte, um diese Fälle zu vermeiden?
Bei jeder Patientin, die sich die Pille verschreiben lassen will, machen wir eine Vorabklärung der Risiken. Hat eine Frau ein höheres Risiko für Thrombosen – etwa, weil es in ihrer Familie schon Fälle von Thrombosen gab, oder bei hohem Übergewicht – sehen wir von einer kombinierten Pille ab.

Wie stark erhöht Rauchen das Thromboserisiko bei Frauen, die die Pille nehmen?
Das kann man kategorisch so nicht sagen. Bei jungen Frauen, die die Pille nehmen, wird das Risiko für Thrombosen durch das Rauchen nicht erhöht. Rauchen schädigt und verengt die Blutgefässe erst über Jahre hinweg. Junge Frauen, die rauchen, haben aber noch sehr intakte Blutgefässe. Erst bei Frauen über 30 wird das Rauchen in Kombination mit der Einnahme der Pille ein zusätzlicher Risikofaktor für Thrombosen.

Inwiefern unterscheiden sich die verschiedenen Zusammensetzungen der Pille in Bezug auf das Thromboserisiko?
Diese Unterschiede sind extrem gering. Während bei einer Pille bei 10’000 Frauen vier Thrombosen auftreten sind es bei der Pille mit einer anderen Kombination von Hormonen vielleicht acht Thrombosen. Aber natürlich gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen Pillen. In der Schweiz gelten deshalb für Ärztinnen und Ärzte die Richtlinien der Schweizerischen Gesellschaft der Gynäkologie und der Zulassungsbehörde Swissmedic, der Patientin wenn möglich immer die Pille mit dem niedrigsten Risiko zu verschreiben.

Also ist das Thromboserisiko der Pille gar nicht so hoch, wie man immer wieder hört?
Das Problem ist, dass bei diesen Meldungen oft die Relation fehlt. Das Risiko, dass durch die Pille eine Thrombose entsteht, liegt im Promillebereich. Im obigen Beispiel der Hochrechnung sind 99’992 von 10’000 Frauen nicht von einer Thrombose betroffen – und trotzdem spricht man von einer Verdoppelung des Risikos, das klingt wie eine Katastrophe. Es ist wichtig, dass die entsprechenden Zahlen dazu genannt werden, sonst fehlt die Relation.  Das kann dazu führen, dass junge Frauen die Pille dann einfach absetzen, nachdem sie eine solche Meldung gelesen haben, weil sie Angst haben. Ohne sich mit ihrem Gynäkologen zu besprechen und sich beraten zu lassen. Und das kann gefährlich sein.

Warum werden überhaupt Pillen mit erhöhtem Risiko verschrieben?
Heute fangen Frauen sehr früh an, die Pille zu nehmen. Viele starten mit 13 oder 14 Jahren und nehmen sie, bis sie über 30 sind. Und nicht alle Frauen vertragen nicht die gleiche Pille. Wenn eine Frau die Pille dann wechseln möchte, ist es ihre eigene Entscheidung, ob sie das leicht erhöhte Risiko in Kauf nehmen möchte oder nicht. Viele Frauen sagen: «Das ist es mir wert, damit ich mich die nächsten 16 Jahre wohlfühle und gleichzeitig sicher verhüten kann». Wir klären unsere Patientinnen mittlerweile auch über die Symptome einer Thrombose, Lungenembolie oder eines Schlaganfalls auf. Den Azrt sollte man sofort informieren bei Schwellungen in den Beinen, ungewöhnliche Atemnot und ungewohnten Kopfschmerzen. Von der Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe Schweiz gibt es auch Informationsbroschüren, die sich jeder Arzt und jede Ärztin für die Praxis herunterladen und den Frauen mitgeben kann.

2015 erschien in Deutschland der Pillenreport der Techniker-Krankenkasse mit neuen Erkenntnissen und Statistiken zu den Risiken der Pillen der neuen Generation. Ist Ihnen dieser Report ein Begriff?
Nein. Wir haben unsere eigenen Daten und ein anderes System.

Mittlerweile gibt es ja bereits Pillen der 5. Generation.
Das sind Pillen mit natürlichen Östrogenen. Aktuell gibt es zwei davon auf dem Markt: Qlaira und Zoely. Die natürlichen Östrogene wirken weniger stark auf die Blutgerinnung ein. Ob diese beiden Pillen aber in Bezug auf die Thrombosegefahr wirklich besser sind als Pillen mit synthetischem Östrogen, werden erst Studien über die nächsten fünf bis zehn Jahre zeigen können. 

Neben Thrombosen gehören auch Migräne und  Depressionen zu den negativen Nebenwirkungen, die die Pille haben kann.
Das kommt immer auf die Inhaltsstoffe der Pillen an. Und dass die Pille Migräne verstärken kann, ist ja bekannt. Aber Depressionen kommen als Nebenwirkungen nicht so häufig vor. Ich würde sagen, der Anteil an Frauen, die durch die Pille Depressionen bekommen, liegt bei unter 5 Prozent.

Also noch ein Risiko, das die Frau bereit sein muss, auf sich zu nehmen.
Frauen, die unter der Pille an Migräne leiden, sollten diese absetzen. Durch die Migräne erhöht sich ja bereits das Risiko für Hirninfarkte, da sollte man nicht zusätzlich noch die Pille nehmen. Für Nebenwirkungen wie Migräne und Depressionen gilt: Meistens bringt die Frau schon eine genetische Veranlagung dafür mit, die durch die Pille verstärkt werden kann. Wir weisen deshalb auch nicht alle unsere Patientinnen darauf hin, wenn das nicht der Fall ist. Beim Beratungsgespräch machen wir auf die schlimmsten möglichen Nebenwirkungen der Pille aufmerksam, also Thrombosen und Infarkte. Auf sehr seltene Nebenwirkungen unter 5 Prozent gehen wir nicht ein, um keine unnötigen Ängste zu schüren. Haben wir aber von der Krankengeschicht her Hinweise auf eine Veranlagung, oder hatte eine Patientin bereits früher eine Depsression, sollte man besprechen, dass die Frau sich meldet, falls es zu Stimmungsänderungen kommt. Hier kann der Wechsel des Pillentyps helfen, bei der Migräne nicht. Und wir sehen ja alle unsere Patientinnen nach den ersten drei Monaten, in denen sie die Pille nehmen, wieder zur Kontrolluntersuchung. Bei uns in der Praxis müssen wir bei den wenigsten Frauen nach drei Monaten die Pille wechseln.

Manche Frauen klagen auch über den Verlust der Libido aufgrund der Pille.
Ich erlebe nur selten, dass die kombinierte Pille zu Libidostörungen führt. Ob sich die Libido verändert, ist abhängig vom Typ des Gelbkörperhormons in der Pille. Gelbkörperhormomone, die bei der Frau den Spiegel an männlichen Hormonen senken, stören die Libido eher, haben aber einen besonders guten Effekt auf die Haut. Meistens bekommt man die Schwankungen der Libido aber mit einem Präparatewechsel problemlos hin.

Welche anderen Medikamente können die Wirkung der Pille beeinflussen?
An erster Stelle Antibiotika und bestimmte Untergruppen von HIV-Medikamenten. Ausserdem Antiepileptika und Medikamente gegen Tuberkulose. Letztere kommen in der Schweiz aber sehr selten zum Einsatz. Die Wirkung der Pille kann auch durch Medikamente, die zur Migräneprophylaxe eingesetzt werden, beeinträchtigt werden. Das sind häufig gleichzeitig Antiepileptika, der Patientin ist das aber meistens nicht bewusst.

Wie sieht es mit pflanzlichen Medikamenten aus?
Was häufig nicht bedacht wird, ist, dass Johanniskraut einen sehr starken Effekt auf die Wirkung der Pille hat. Auch Grapefruitsaft oder das Rauchen von Hanf können die Wirkung beeinflussen. Generell gilt: Nimmt eine Frau die Pille, sollte sie das angeben, wenn sie ein neues Medikament verschrieben bekommt. Auch bei homöopathischen Mixturen.

Fragen junge Frauen aktiv nach den Risiken, die eine Pille mit sich bringen kann?
Nein, das fragen sie nicht. Das ist auch die Aufgabe von uns Ärzten und Ärztinnen, über die Risiken aufzuklären und abzuklären, ob der Patientin die Pille bedenkenlos verschrieben werden kann. Ein Problem dabei ist aber, dass die Krankenkassen die Zeit für Gespräche mit den Patientinnen und Patienten in Arztpraxen nicht bezahlen. Für eine gute Beratung brauche ich aber 30 bis 40 Minuten. Wir stehen da also auch unter einem gewissen Kostendruck, das ist nicht immer einfach. Aber da müssen die Ärztinnen und Ärzte weiter dafür kämpfen. Eine gute Beratung muss im Fokus stehen, denn sie verhindert viele Komplikationen für die Patientin.