Redaktorin Helene Aecherli will endlich weltweite Gleichstellung, denn die fördert nicht nur den Klimaschutz, sondern wirkt sich auch positiv aufs Wirtschaftswachstum aus.
Zu Beginn ein kleines Gedankenspiel: Frauen stellen mit 51 Prozent die Mehrheit der Weltbevölkerung und tätigen weltweit 80 Prozent der Konsumentscheide. Was also wäre, wenn sich diese Mehrheit dazu entschliessen würde, nichts mehr zu konsumieren? Nicht für immer natürlich, sondern bloss für eine Woche. Wetten, dass der Handelsstreit zwischen den USA und China dann zum Zwergengeplänkel verkommen würde? Eine Utopie, ich weiss, aber dieses Beispiel zeigt, mit welchem Giganten wir es hier zu tun hätten, könnten Frauen ihre potenzielle wirtschaftliche und politische Macht entfalten.
Doch 2019 ist dieser Gigant immer noch weit davon entfernt, sich zu seiner vollen Grösse zu erheben, die Gründe hierfür sind so bekannt wie ausdiskutiert: Allen voran sind es patriarchalische Strukturen, die sich in fast allen Ländern der Welt hartnäckig halten; in vielen Gesellschaften werden sie potenziert durch den Einfluss von Religionen, Stammesstrukturen, Kriegen und Konflikten. Eine toxische Mischung, die den Nährboden bereitet für sexualisierte Gewalt, mangelnde Investitionen ins Gesundheitswesen, mangelnde Bildung und damit auch einen mangelnden Zugang für Frauen zu Arbeitsplätzen und finanziellen Ressourcen. Ein Teufelskreis.
Welche konkreten individuellen Auswirkungen dieser haben kann, erfahre ich immer wieder bei meiner Arbeit in Ländern des Nahen Ostens. So bin ich etwa seit Jahren mit Familien in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa in Kontakt; Menschen, über deren Geschichten ich derzeit versuche, dem Krieg im Jemen ein Gesicht zu geben. Ich war über alle Massen entsetzt, als ich vernahm, dass einer meiner Bekannten seine 15-jährige Tochter aus der Schule genommen und verheiratet hat – ein Mädchen, mit dem ich herumgealbert hatte, als ich vor Ausbruch des Kriegs im Jemen war. Sie hatte eine verheissungsvolle Aufmüpfigkeit, wollte Astronautin werden, vielleicht auch Ärztin. «Welche Verschwendung!», tobte ich. Ich war ausser mir, fragte mich aber gleichzeitig, ob ich das Recht hatte, mich ins Leben anderer einzumischen. Es beruhigte mich jedoch zu hören, dass auch andere den Vater dafür rügten, seine Tochter so früh verheiratet und um ihre Schulbildung gebracht zu haben. Später erfuhr ich, dass das Mädchen bald schwanger geworden sei. «Alles ist gut», hiess es. «Sie ist nun glücklich.» Das machte mich noch wütender.
Seither werde ich nicht müde, Studien und Statistiken zu verschicken, die den Wert der Bildung von Mädchen und Frauen unterstreichen und ihn in einen grösseren Kontext setzen, einen Kontext, der in der Zeit des Wiederaufbaus des Landes matchentscheidend sein könnte. Und ich werde nicht müde herauszustreichen, was Gesellschaften gewinnen können, wenn sie Frauen mit Männern gleichstellen: Denn Bildung und Gleichstellung erhöhen nicht nur das Mass der Selbstbestimmung der Frau, sondern beeinflussen auch die Anzahl Kinder, die sie hat (und nehmen ihr den Druck, Söhne zu gebären). Je gebildeter die Frau, desto weniger Kinder, lautet die Losung – und die wiederum wirkt sich positiv aufs Wirtschaftswachstum aus. Bevölkerungsexplosion hingegen ist ein Garant für Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Stagnation. Neuste Studien zeigen nun gar eine Wechselbeziehung zwischen der Bildung von Frauen, ihrem potenziell verstärkten Zugang zu politischen und wirtschaftlichen Ämtern und Klimaschutz. So sollen schon zehn Prozent mehr Frauen im Parlament eines Landes seinen CO2-Ausstoss um jährlich eine viertel Tonne pro Kopf verringern. Grund: Frauen hätten eine grössere Wahrnehmung für den Zusammenhang zwischen dem Zustand der Umwelt und ihrer eigenen Verletzlichkeit. Höchste Zeit also, den Giganten aufstehen zu lassen.