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We Were Here: Interview mit dem Popduo Boy

We Were Here: Interview mit dem Popduo Boy

  • Text: Jacqueline Krause-Blouin; Foto: Debora Mittelstaedt

Vor vier Jahren stürmte das Popduo Boy die Charts. Nun sind Sonja Glass und Valeska Steiner zurück. Mit einem neuen Album – und mit ein wenig Angst.

annabelle: Valeska Steiner, vor acht Jahren wagten Sie den Umzug nach Hamburg. Wie fühlt es sich an, mit dem neuen Album im Gepäck zurück in die Schweiz zu kommen?
Valeska Steiner: Das ist jedes Mal eine ganz explosive Mischung zwischen totaler Freude und fürchterlicher Angst. Die Schweiz ist für mich immer ein echter Nervenzirkus!

Ihr Debüt «Mutual Friends» erschien 2011. Üblicherweise lässt man sich in der Popmusik nicht so viel Zeit bis zum zweiten Album.
Wir sind ja bei Herbert Grönemeyers Label Grönland unter Vertrag, und dadurch, dass er selbst Musiker ist, hat er extrem viel Verständnis für die künstlerische Seite. Bevor wir angefangen haben zu schreiben, sagte er zu uns: «Schreibt so lange, bis ihr zufrieden seid. Erfolg ist zweitrangig.» Welche Band hat schon einen solchen Luxus?

Welche Bedeutung hatte die Musik von Herbert Grönemeyer früher für Sie?
Wir haben in der Mittagspause damals im Gymi immer MTV geschaut, und da lief oft «Mensch» – was für ein tolles Lied. Herbert ist auch in der Schweiz eine Kultfigur.

Sonja Glass, wie ist denn so die Arbeit mit ihm als Labelboss?
Sonja Glass: Na ja, er geht natürlich seiner eigenen Karriere nach, also haben wir nicht im Daily Business mit ihm zu tun. Herbert ruft uns jetzt nicht ständig an und sagt: «Hey Girls, um 18 Uhr geht euer Flieger!» (lacht) Aber er verfolgt schon genau, was seine Künstler machen.

«Mutual Friends» hielt sich 43 Wochen in den deutschen Charts und 31 Wochen in der Schweizer Hitparade. Hat man nach einem solch beachtlichen Erfolg Angst zu versagen?
Glass: Wir haben uns selber viel Druck gemacht, weil wir wieder Stücke schreiben wollten, die uns etwas bedeuten. Und man hat einfach immer Angst, dass man plötzlich keinen guten Song mehr zustande bringt.
Steiner: Die Vorstellung, etwas Unfertiges abzugeben, ist für mich schrecklich. Unser einziges Ziel war, Songs zu schreiben, mit denen wir selbst zufrieden sind. Und das allein ist eine Mammutaufgabe!

Also würden Sie sich als perfektionistisch bezeichnen.
Beide: Absolut.

Was haben Sie in den letzten vier Jahren über sich selbst lernen können?
Glass: Ich habe gelernt, dass es sich lohnt, auf sich selbst zu vertrauen. Wir mussten wieder auf unsere eigene Stimme hören und sehen, was aus uns selbst heraus entsteht. Was wollen wir eigentlich, und was macht uns glücklich?
Steiner: Ich habe gelernt, dass man die guten Momente feiern muss.

Ihr Album heisst «We Were Here» – ein Versuch, sich mit dem Erlebten auseinanderzusetzen?
Steiner: Ja, beispielsweise als wir einen Monat in Amerika unterwegs waren – auch wenn es stressig war und die Tage vorbeigerauscht sind –, ich habe mir selbst immer wieder gesagt: Wow, ich bin gerade hier, und das hier ist mein Traum. Einmal waren wir in Lincoln, Nebraska. Ich bin auf der staubigen Strasse herumgelaufen, auf der Suche nach einem Café, aber dort gibt es einfach gar nichts! Plötzlich schallte mir von weitem laute Elvis-Musik entgegen, und ich kam mir vor wie in einem Roadmovie. Da war ich so glücklich! Man darf nicht abstumpfen.

Der Song «New York» handelt von Fernweh. Treibt Sie die Sehnsucht?
Glass: Ja, absolut. Wir sind ständig sehnsüchtig. Wir wissen nur selten wonach.
Steiner: Sehnsucht ist eigentlich der Wunsch nach grossem Gefühl. Nach Leben. Nach Emotion. Das nährt uns, als Songschreiber sind wir auf grosse Gefühle angewiesen.

Sie haben schnell gemerkt, dass es eigentlich Schwachsinn ist, die Sehnsucht auf einen Ort zu projizieren.
Steiner: Genau. Im Zuge des Songwriting kam uns Hamburg auf einmal so langweilig vor. Da dachten wir: Natürlich! Wir müssen nach New York! Also haben wir angefangen Flüge herauszusuchen – bis Sonja plötzlich zu mir sagte: «Stopp, wir können überall so tun, als wären wir in New York.» Danach sind wir raus in die Nacht und haben plötzlich wieder sehen können. Es kommt total darauf an, wie man sich die Welt anschaut und vielleicht auch mit wem – dann ist plötzlich überall Inspiration.

Ihre Musik wird gern als lieblich bezeichnet.
Glass: Ich finde lieblich ein sehr harmloses Wort.

Und man will ja nicht harmlos sein, oder?
Glass: Ich versuche mich mit solchen Dingen nicht zu beschäftigen. Ich lese auch möglichst keine Artikel über uns, denn das macht ja doch etwas mit einem. Ich finde nicht, dass unsere Musik oder unsere Texte harmlos sind. Aber man kann nicht steuern, was Leute empfinden, wenn sie sie hören.
Steiner: Das sagen oft Männer über unsere Musik. Ein typisches Klischee – nur weil es sich um zwei Frauen handelt, müssen sie entweder lieblich sein oder extra radikal. Schade, dass man Frauen in der Musik nicht mehr Facetten zutraut. Ich wäre froh, wenn wir darüber mal hinwegkommen würden. Die Stempel müssen weg. Auch mit Klischees behaftet ist die Beziehung zwischen Deutschland und der Schweiz.
Steiner: Meiner Meinung nach haben nur die Schweizer Vorurteile gegenüber den Deutschen. Die Deutschen haben mit uns Schweizern eigentlich gar kein Problem.
Glass: Wir sind auf jeden Fall ein Zeichen dafür, dass es enge Freundschaften zwischen beiden Ländern geben kann. Ich fühle mich immer super wohl, wenn ich in die Schweiz komme, aber ich komme auch als Musikerin her, und da freuen sich die Leute – obwohl ich Deutsche bin (lacht).
Steiner: Es gibt schon grössere Unterschiede zwischen den beiden Kulturen, als man vielleicht zunächst, aufgrund der geografischen Nähe, annimmt. Ich dachte vor meinem Umzug nach Hamburg immer, dass ich Deutschland total gut kenne, schliesslich bin ich mit deutschem Fernsehen aufgewachsen (lacht). Aber dann musste ich feststellen, dass es doch eine ganz andere Kultur ist. Toll wäre eine Symbiose von beiden Ländern, denn beide Länder haben ihre Qualitäten. Man sollte diese Klischees endlich überwinden.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann in die Schweiz zurückzukehren?
Steiner: Ja, auf jeden Fall. Das war für mich immer klar.
Glass: Darüber bin ich sehr traurig.
Steiner: Es tut total gut, herauszukommen aus seiner kleinen Welt. Die Schweiz ist ein wunderschönes, aber sehr behütetes Nest. Manchen Schweizern ist leider gar nicht bewusst, wie gut es ihnen geht und auf was für einem hohen Niveau sie leben. Wie wenige Probleme man hier hat! Die Sauberkeit! Ich bin dankbar, dass ich das Land nun mit anderen Augen sehe und meine Heimat viel mehr zu schätzen weiss. Für alle Schweizer in Deutschland, die ich kenne, ist klar, dass sie irgendwann wieder zurückgehen.
Glass: Ich kenne aber auch Schweizer, die sagen: «Auf gar keinen Fall will ich dahin zurück.»
Steiner: Echt?

Der Song «Hit My Heart» könnte als Kritik an unserem überschnellen, wertenden Zeitalter verstanden werden, richtig? Sie singen darin: «Like me, like me, please!»
Steiner: Ja. Als wir unser Album geschrieben haben, gab es produktives Arbeiten, aber auch Aufschieben. Da ist mir aufgefallen, wie viel Zeit ich im Internet verbringe. Man hat unglaublich viele Möglichkeiten, sein Leben darzustellen, und es geht enorm viel Zeit dafür drauf. Alle präsentieren sich so schön, und man weiss oft gar nicht genau, wie es hinter den Profilfotos so aussieht. Alle kreisen zu viel um sich selbst.

Kennen Sie als Künstlerinnen den Druck, in den Social Media präsent sein zu müssen – damit man nicht vergessen wird?
Glass: Das ist bei uns Thema gewesen, und wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, über ein Jahr lang nichts mehr von uns hören zu lassen. Zum einen, weil wir unsere Site nicht mit unwichtigen Informationen überfluten wollten, und zum anderen, um uns wirklich auf die Arbeit zu konzentrieren. Sonst kommt man auch unter Druck und muss immer lustig und aufregend sein.
Steiner: Trotzdem hatten wir teilweise ein mulmiges Gefühl, weil wir nicht wussten, ob die Leute uns vergessen würden. Umso erfreulicher, dass eine Welle des Zuspruchs über unsere Site ging, als wir unser neues Album angekündigt hatten. Es sind noch alle da.

Ist der Songtitel «Hit My Heart» eine Anspielung auf das berüchtigte Instagram-Herz?
Glass: Oh nein, das habe ich überhaupt nicht gecheckt!
Steiner: Oh mein Gott, das ist ja mega schlecht! Da tun sich Abgründe auf! Das sollte überhaupt keine Anspielung auf das digitale Zeitalter sein – sondern genau das Gegenteil! Was ich sagen wollte, war: Gib mir wahre Liebe, nicht diese digitale vermeintliche Zuneigung. Oh nein, jetzt verstehen das bestimmt alle falsch! (schlägt die Hände über dem Kopf zusammen).

Aber vielleicht ist die Doppeldeutigkeit gar nicht schlecht.
Steiner: Ja, vielleicht ist es sogar ganz gut.
Glass: Vielleicht ist es sogar perfekt.

— CD: BOY – We Were Here (Limmat/Grönland)

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