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Was darf die Polizei – und wann ist es okay, Nein zu sagen?

Politik

Was darf die Polizei – und wann ist es okay, Nein zu sagen?

Der Fall Sarah Everard rüttelt am Vertrauen in die polizeiliche Instanz. Wie überwindet man blinden Grundgehorsam? Welche Rechte hat die Polizei, welche nicht? Und wann ist es okay, Nein zu sagen – zum Beispiel bei einer Polizeikontrolle? Wir geben Tipps.

Alte Nachrichten durchforstend, gehe ich einige Jahre zurück und stolpere hie und da über sonnige Ferienbilder. Kurz darauf werde ich fündig. Ich höre die gefundene Sprachaufnahme ab und stelle fest: Da blieb so einiges unausgesprochen. Erinnerungen kommen hoch: Meine Freundin und ich in Kroatien, der Abend im Klub, die laute Musik, die Drinks, der Entschluss am frühen Morgen, die Nacht mit einem Spaziergang nachhause zu beenden. Wir sind gut gelaunt, fühlen uns sicher.

Dann dieser Streifenwagen, den ich vorerst für ein Taxi halte. Ein Mann steigt aus, kommt auf uns zu, möchte unsere Ausweise sehen, fragt, wie viel und was wir getrunken haben, will, dass wir mitkommen. Wohin, ins Gefängnis? Weil wir, zwei volljährig Frauen ein paar Bier getrunken haben und nun auf dem Gehweg laufen? Die Farbe seiner Uniform lässt mich bis heute nicht los. War es ein Polizist, war es keiner?

Was wäre passiert, wenn ich folgsam gewesen wäre?

Um meinen Freund daheim nicht zu verunsichern, entschied ich mich damals, auf Details zu verzichten. Ich will nicht wissen, will mir nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn ich folgsam und allein gewesen wäre, einige Drinks mehr intus gehabt hätte. Zu meinem Glück muss ich das auch nicht. Doch dass es ausgerechnet ein (vermeintlicher) Polizist war, vor dem wir uns auf dem Nachhauseweg am meisten fürchten mussten, bringt mich, besonders jetzt, wo Sarah Everard tot und ein Polizeibeamter deswegen in Untersuchungshaft sitzt, zum Nachdenken.

Der Fall Sarah Everard beschäftigt, weckt Erinnerungen und rüttelt am Vertrauen in unsere Freunde und Helfer. Gewalttaten und Übergriffe können selbstverständlich jede und jeden treffen, so, wie sie potenziell auch von jeder Person ausgehen können. Doch die Tatsache, dass es sich bei Sarahs mutmasslichem Mörder um einen Polizisten, einen Autoritätsträger handelt, weckt Unbehagen. Heisst das nun, dass wir auf der Suche nach Hilfe, dem Übel möglicherweise direkt in die Arme fallen?

Eine gesunde Skepsis ist hilfreich – auch gegenüber der Polizei

Mit diesem Leitgedanken durch den Tag zu marschieren, wäre ein falscher und kontraproduktiver Ansatz. Nichtsdestotrotz ist eine gesunde Skepsis hilfreich – auch gegenüber der Polizei. Unser fundamentales Vertrauen in das Gesetz und die blanke Ehrfurcht davor, die uns schon von Kindesbeinen an eingetrichtert werden, führen unweigerlich zu einem erlernten Grundgehorsam. Man tut, ohne die Umstände zu hinterfragen, was verlangt wird, und stellt sich gegenüber Polizisten, Beamten und Lehrpersonen prinzipiell nicht quer.

Zusätzlich wird aus Respekt und Angst vor möglichen Konsequenzen und nicht zuletzt, weil man sich des Handlungsspielraums unserer Würdenträger nicht bewusst ist, die Kommunikation eines klaren Neins zur regelrechten Mutprobe. Dabei kann man durch eine grobe Kenntnis der eigenen Rechtslage schon grosse Barrieren überwinden. So fragt man sich: Was dürfen Polizeibeamte eigentlich und was darf ich? Was ist angemessen, was geht zu weit? Es geht nicht darum, sich gängigen Verkehrskontrollen oder ähnlichen Massnahmen zu widersetzen.

Die eigenen Rechte kennen

Aber auch im Umgang mit der Polizei ist es wichtig, die eigenen Rechte zu kennen. Zu wissen, was man darf und was nicht, wann es okay ist, Nein zu sagen, und welche Massnahmen nicht der Norm entsprechen. Am wichtigsten ist es aber, so banal es auch klingen mag, auf sein Bauchgefühl zu hören und sich nicht durch zwielichtige Momente zu zwängen, nur weil alles andere «unangenehm» oder «peinlich» wäre. In diesem Sinne basiert Sicherheit auf mehr als nur rechtlichen Grundlagen. Sie basiert zu einem grossen Teil auf den Pfeilern der Vernunft.

Auf diese Nacht rückblickend, bin ich erstaunt und zugleich froh darüber, wie vernünftig unsere Reflexion in dieser absurden Situation ausfiel. Dass wir uns ganz individuell, ohne Absprache, fragten «Haben wir uns gesetzeswidrig verhalten?», «Ist diese Kontrolle begründet?», «Was will er damit?» und dadurch den Mut aufbringen konnten, Nein zu sagen. Nichtsdestotrotz dürfen rechtliche Aspekte nicht ausser Acht gelassen werden.

 

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Hier ein paar wichtige Infos:

1.

Wer in eine Personenkontrolle gerät, muss sich ausweisen, sofern das möglich ist. Eine Pflicht, ständig einen Ausweis auf sich zu tragen, besteht hingegen nicht. Wer sich weder mit GA, Bankkarte oder Adresse ausweisen kann, riskiert einen Besuch auf dem Polizeiposten. Weiter gehende Fragen müssen und sollten nicht beantwortet werden.

2.

Auf Anfragen müssen Beamte den Grund für die Personenkontrolle stets bekanntgeben. Scheint die Begründung nicht plausibel, gar unlogisch, so ist Vorsicht geboten.

3.

Atem-Alkoholtests werden nur bei Verkehrskontrollen durchgeführt. Auf der Strasse, bei Fussgängern, sollte das nicht vorkommen.

4.

Abtastungen, die mit Körperkontakt verbunden sind, dürfen, mit Ausnahme der Situationen, in denen Gefahr für Leib und Leben besteht, nur von Beamten gleichen Geschlechts durchgeführt werden. Darauf darf und muss bestanden werden.

5.

Untersuchungen des Intimbereichs erfolgen ausschliesslich durch medizinisches Fachpersonal.

6.

Eine Uniform gilt in der Regel als Ausweis, doch im Zweifelsfall besteht immer das Recht, Einsicht in den Dienstausweis zu verlangen.

7.

Besteht kein Tatverdacht oder Fluchtgefahr, so darf niemand ohne plausible Begründung festgehalten oder mitgenommen werden.

8.

Im Ausland wendet man sich in brenzligen Momenten am besten an die Nummer 112, die einen europaweit mit einer Notrufzentrale verbindet. Sinnvoll ist es auch, die Nummer der EDA Helpline direkt ins Handy einzuspeichern: +41 80 024 73 65 oder +41 58 465 33 33

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Benny

Es wäre eine super Unterstützung, die genannte EDA Helpline auch anzugeben im Artikel.