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Warum wir sorgfältiger mit Kinderbildern im Internet umgehen müssen

Zeitgeist

Warum wir sorgfältiger mit Kinderbildern im Internet umgehen müssen

Ein Bild der eigenen Kinder auf Whatsapp oder Instagram zu teilen – so schlimm kann das doch nicht sein, oder? Regula Bernhard Hug vom Kinderschutz Schweiz rät zu mehr Achtsamkeit, was das Posten von Kinderbildern angeht, denn die Folgen können weitreichend sein.

Die meisten Eltern haben eine relativ klare Meinung, wenn es darum geht, Bilder der eigenen Kinder im Internet zu teilen. Während manche – zu dieser Gruppe zähle auch ich – überhaupt keine Bilder der eigenen Kinder posten, sharen andere Eltern zahlreiche Schnappschüsse ihrer Familie auf Instagram und Co. «Sharenting» nennt sich die Praxis von Eltern, Inhalte über ihre Kinder auf Internetplattformen zu veröffentlichen – ein Wortspiel aus «sharing» und «parenting». 

Ich persönlich erschrecke immer wieder bei Bildern von Influencer:innen mit ihren Kindern, anhand derer man den Alltag der ganzen Familie problemlos rekonstruieren kann. Ich störe mich auch daran, dass Personen, denen ich folge, ihre Kinder in vulnerablen Situationen zeigen – weinend, in der Windel oder friedlich schlafend. Und ich wundere mich, wenn Freund:innen ihre Kids im Internet zur Schau stellen.

Der Tagesablauf von Kleinkindern am anderen Ende der Welt

Gleichzeitig finde ich manche Bilder natürlich auch herzig und klicke abgestumpft durchs Social-Media-Familienglück wildfremder Menschen, meist ohne zu hinterfragen, wie absurd es ist, dass ich den Tagesablauf von Kleinkindern am anderen Ende der Welt mitverfolgen kann.

Und doch bewegt mich wohl genau diese Tatsache dazu, meine Kinder nicht bildlich mit der Welt teilen zu wollen: dass nicht einfach jede willkürliche Person über Bilder meiner Kinder verfügen kann. Und dass nicht Bilder von ihnen im Netz rumgeistern, mit denen sie nicht einverstanden sind.

Ich wähnte mich bisher also in Sicherheit, ja fühlte mich sogar leicht erhaben. Schliesslich poste ich keine Bilder meiner Kinder, versuche darauf zu achten, dass dies auch sonst niemand tut, und bin absolut dagegen, dass Bilder von ihnen online gestellt werden. Mit dieser Einstellung startete ich ins Gespräch mit Regula Bernhard Hug vom Kinderschutz Schweiz. Alles im Griff. Dachte ich zumindest.

Kleine gläserne Bürger:innen

Rasch merkte ich, dass ich um einiges wackeliger in meinem moralischen Elternsattel sitze, als ich gedacht hatte. Denn die Thematik ist vielschichtiger als angenommen.  

Da gibt es zuerst einmal ein relativ neues Phänomen: Zurzeit erreicht die erste Generation Jugendlicher das Lehrstellenalter, von denen bereits seit Geburt Bilder im Internet kursieren. Quasi kleine gläserne Bürger:innen, deren halbe Kindheit sich mit ein, zwei Suchanfragen rekonstruieren lässt. Dabei geht es nicht nur um Jugendsünden, sondern auch um Bilder, die junge Menschen selbst kaum von sich posten würden und auch nicht für alle sichtbar präsentieren wollen: breiverschmierte Münder etwa, das erste Mal auf dem Töpfchen, beim Tobsuchtsanfall, in Windeln oder sogar füdliblutt beim Bauen von Sandburgen.  

Gerade die Eltern von heutigen Jugendlichen gehören einer Generation an, die noch sehr unbewusst mit der Digitalisierung umging und meist unbedacht Bilder ihres Nachwuchses veröffentlichte. «So lässt sich der ganze Lebenslauf junger Menschen mit wenigen Klicks nachverfolgen», erklärt Bernhard Hug. Das kann harmlos unangenehm sein für die Betroffenen – aber auch richtiggehend gefährlich. 

Alltagsfotos in falschen Händen

Denn meist lässt sich nicht nur rückwirkend nachvollziehen, was ein junger Mensch bisher erlebt hat – sondern man kann oftmals anhand von Social Media Posts quasi in Echtzeit nachvollziehen, an welchen Orten sich Kinder und Jugendliche aufhalten, wo sie wohnen, mit wem sie ihre Zeit verbringen, welche Hobbys sie pflegen und welche Schulen sie besuchen. Und diese Alltagsfotos können auch in falsche Hände geraten. Pädokriminelle Netzwerke suchen aktiv nach Bildern in sozialen Netzwerken, auf denen Kinder abgebildet sind, wie Bernhard Hug aufzeigt. «Bilder von spielenden Kindern in harmlosen Situationen werden dann in den Kommentarspalten sexualisiert.»  

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«Viele gehen davon aus, dass ihre persönlichen Bilder in der ganzen Bilderflut untergehen»

Regula Bernhard Hug, Kinderschutz Schweiz

«Daraus kann sogenanntes Cybergrooming resultieren», sagt Bernhard Hug. Dossiers begehrenswerter Kinder werden erstellt. Sprich Informationen werden gesammelt, mithilfe derer dann eine Überleitung ins reale Leben geschaffen werden kann. Hinweise, dank derer man das Kind beim Fussballclub, nach der Schule, auf dem Spielplatz oder anderswo abfangen kann. «Pädokriminelle versuchen dann mit dem Kind im Fokus eine Beziehung aufzubauen, die in Missbrauch im realen Leben resultieren kann.»  

Gibt man ein Bild ab, gibt man die Kontrolle ab

Die Fülle an Informationen, die über unsere Kinder online auffindbar ist, die wir auch selbst aktiv preisgeben, ist heikel. Denn die schiere Menge an online verfügbaren Bildern bietet eine trügerische Sicherheit, hinter der sich viele Eltern sicher wägen. «Viele gehen davon aus, dass ihre persönlichen Bilder in der ganzen Bilderflut untergehen. Aber wenn man ein Bild veröffentlicht, gibt man damit auch die Kontrolle ab. Die Folgen lassen sich schwer einschätzen.» 

Viele Eltern rechtfertigen das Posten zahlreicher Kinderbilder damit, dass andere dasselbe ja auch tun. «Das hat eine gewisse Gruppendynamik, man wähnt sich auch hier in falscher Sicherheit. Wir als Eltern sind selbst nicht mit sozialen Netzwerken und ganz allgemein dem Internet aufgewachsen», sagt Bernhard Hug. Ganz anders sieht es bei den heutigen Jugendlichen aus. «Wir können uns gar nicht vorstellen, wie es sein muss, wenn sämtliche Informationen über einen online auffindbar sind.» Die Konsequenzen, welche die Veröffentlichung eines Bildes hat, sind vielen noch kaum bewusst.

Das Recht am Bild hat das Kind

«Das Recht am Bild hat das Kind», so Bernhard Hug. Das ist zwar für Kinder kaum greifbar. Und doch plädiert sie dafür, Kinder möglichst früh schon zu fragen, ob man sie fotografieren darf. Und nachfragen, ob sie mit einem Bild von sich einverstanden sind, bevor man dies veröffentlicht. «Es ist schnell einmal peinlich für ein Kind, wenn die Eltern etwas posten. Denn schon früh haben sie eine eigene Meinung über ihre Fotos.»   

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«Oft werden Bilder gepostet, um anderen einen Gefallen zu tun»

Eltern können ihre Kinder auch schon früh für die Thematik sensibilisieren. Aber nur reden reicht nicht, Eltern haben auch eine Vorbildfunktion und werden von ihren Kindern ganz genau beobachtet. Bernhard Hug plädiert für eine aktive Auseinandersetzung: «Eltern sollen selbst sorgfältig mit Kinderfotos umgehen und Kinder – auch fremde – fragen, ob man sie fotografieren und ihr Bild verschicken darf, beim Kindergeburtstag beispielsweise.» Und sie begleiten, sobald Kinder selbst im Internet unterwegs sind. 

Warum man ein Foto postet, ist ausschlaggebend

Die Frage, warum man ein Foto postet, ist für Bernhard Hug ausschlaggebend. Das hat ganz unterschiedliche Gründe. Oft werden Bilder gepostet, um anderen einen Gefallen zu tun, den Grosseltern, Göttis, Gottis, Freund:innen – und nicht dem Kind. Oder damit, dass man seine eigenen Bedürfnisse befriedigt, seinen Elternstolz.  

Doch es hört nicht beim Posten von Bildern auf. Fotos, die über Messenger-Apps geteilt werden, fallen in die gleiche Kategorie. Pädokriminelle saugen immer mehr auch Bilder ab, die verschickt werden. «Früher gingen wir davon aus, dass Cyberkriminelle hauptsächlich Fotos von Bilderplattformen absaugen. Doch auch bei verschlüsselten Messengerdiensten gibt man das Recht am Bild ab, sobald man dieses verschickt.» Auch nur temporär verfügbare Bilder können erstens via Screenshot gespeichert werden und zweitens wird kaum kontrolliert, ob diese Bilder tatsächlich von den entsprechenden Servern wieder verschwinden oder ob dies leere Versprechungen sind. Bei den enormen Datenmengen lassen sich einzelne Bilder kaum mehr verfolgen. Und wir laden oft Bilder unserer Kinder ins Internet hoch, ohne diese bewusst zu teilen. Bestellen Fotos online, gestalten Fotoalben, versenden selbstgestaltete Postkarten. 

Bilder erhalten ein Eigenleben

Sind Bilder einmal online, erhalten sie ein Eigenleben und lassen sich nicht mehr entfernen. Viele Eltern bedauern ihren früheren Umgang mit Kinderbildern und wünschten sich, sie hätten sich früher mit der Thematik auseinandergesetzt, wären früher auf mögliche Konsequenzen aufmerksam gemacht worden, so Bernhard Hug. Beginne ich mal durchzuspielen, wie unbedacht ich trotz vermeintlicher Vorsicht überall schon Bilder hochgeladen habe, wird mir kurz schlecht. Natürlich habe ich Fotos online bestellt für Adventskalender, habe Geburtskärtchen drucken lassen und habe virtuelle Sicherungen. Sende Bilder an meine Lieben von besonders lustigen oder herzigen Situationen.  

Den eigenen Umgang mit Kinderbildern zu hinterfragen ist ein erster Schritt, reicht aber noch nicht aus, so Bernhard Hug. Es gehe auch darum, Lehrer:innen, Sportleiter:innen, Kinderbetreuer:innen und ganz allgemein Institutionen, die mit Kindern in Kontakt sind, auf einen bewussteren und vorsichtigeren Umgang mit Kinderbildern hinzuweisen.  

Sensibilisieren, dass Kinder ein Recht auf Privatsphäre haben

Sensibilisieren soll auch die neue Kampagne des Kindeschutz «Privacy Playground». Dafür wurden Sticker mit QR-Codes gestaltet, die beim Aufnehmen eines Bildes auf die potenziellen Folgen und Gefahren einer Online-Publikation hinweisen. Ursprünglich waren die Sticker eine Aktion zum Tag der Kinderrechte. «Wir wollten darauf aufmerksam machen, dass Kinder ein Recht auf Privatsphäre und ein Recht am eigenen Bild haben», so Bernhard Hug. «Daraus wurde eine Grassroots-Bewegung. Spielplatzbetreibende, Eltern, Schulen haben uns kontaktiert, weil sie ihre Spielplätze auch ausrüsten wollten mit diesen Klebern.» Die Sticker können nun beim Kinderschutz Schweiz online bestellt werden.  

Lädt man ein Bild ins Internet hoch, verschwindet es aus dem eigenen Einflussbereich. Darüber muss man sich bewusst sein. Zeit, dass ich aktiv infrage stelle, wann und wie ich meine Kinder fotografiere. Bilder bewusster teile. Was bereits online ist, lässt sich nicht rückgängig machen. Aber ich kann mein Verhalten ab jetzt ändern.

Und wenn doch einmal ein Bild im Internet veröffentlichen werden soll, rät Bernhard Hug zwingend dazu, folgende Checkliste durchzugehen: 

  • Sieht man das Kind auf dem Bild von vorne?
    «Wir raten möglichst dazu, keine Frontalaufnahme von Kindern zu posten, denn da spielen Gesichtserkennungs-Apps eine ausschlaggebende Rolle. Das gilt auch für mit Emojis verdeckte Gesichter, denn diese lassen sich einfach zurückbearbeiten.» 
  • Ist das Kind angezogen?
    «Ein halbangezogenes oder sogar nacktes Kind im Internet zu veröffentlichen ist wahnsinnig heikel und verletzt die Schutzpflicht gegenüber von Kindern.» 
  • Zeigt das Bild das Kind in einer vulnerablen Situation (weinend, schlafend, auf der Toilette, bei einem Tobsuchtsanfall oder Ähnliches)?
    «Bilder, auf denen Kinder in verletzlichen, privaten Situationen zu sehen sind, können für Kinder sehr beschämend sein.» 
  • Gibt man sensible Informationen preis im Zusammenhang mit einem Bild?
    «Ist ein Name, eine Adresse, ein Geburtsdatum oder Ähnliches verknüpft mit dem Bild?» 
  • Nützt es dem Kind etwas, wenn ich dieses Bild poste?
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