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Warum schliessen sich junge Frauen dem IS an?

Leben

Warum schliessen sich junge Frauen dem IS an?

  • Interview: Miriam Suter

Die französische Schauspielerin Noémie Merlant spielt im Film «Le ciel attendra» eine junge Frau, die sich dem Islamischen Staat anschliessen will. Wir haben mit der 28-Jährigen darüber gesprochen, warum eine Terrororganisation eine so starke Anziehungskraft auf junge Frauen hat, und wie der Anschlag in Paris ihre Arbeit am Film beeinflusst hat.

annabelle.ch: Noémie Merlant, wie haben Sie sich auf Ihre Rolle vorbereitet?
Noémie Merlant: Ich habe mich mit Musliminnen und Muslimen getroffen, habe mit einem Imam gesprochen und konnte so in diese Lebenswelt eintauchen. Ausserdem hat die Regisseurin Marie-Castille Mention-Schaar viel verdeckt recherchiert. Sie hat uns beispielsweise Zugang verschafft zu einer Selbsthilfegruppe für Eltern, deren Töchter sich dem Islamischen Staat angeschlossen haben oder das vorhatten. Ich habe also Eltern und Mädchen getroffen, die diese Thematik ganz direkt betrifft. Mit einem Mädchen habe ich mich dann über Monate hinweg immer wieder verabredet. Sie befand sich in der gleichen Situation wie Sonia, die Protagonistin und meine Rolle im Film: Sie wollte nach Syrien reisen, um sich dem IS anzuschliessen, wurde aber vorher verhaftet. 

Was bringt junge Frauen dazu, einen IS-Kämpfer heiraten zu wollen?
Viele von ihnen suchen nach einem Sinn im Leben. Das ist in dem Alter ja auch normal, bei Jungs genauso wie Mädchen. Was aber junge Frauen stärker betrifft, ist das Frauenbild unserer Gesellschaft: Man ist zwar frei und emanzipiert, es lastet jetzt aber der Druck auf uns, gleichzeitig schön und erfolgreich zu sein – weil wir nun vermeintlich alle Möglichkeiten haben und von uns erwartet wird, dass wir sie auch nutzen. Diese neue, vermeintliche Freiheit ist etwas, was gerade junge Frauen überfordern kann. Und genau dort setzen die Anwerber des IS an.

Wie genau passiert das?
Im Film kann man diese Entwicklung bei der 16-jährigen Mélanie beobachten: Sie wird auf Facebook von einem solchen Rekrutierer angeschrieben und verliebt sich mit der Zeit in ihn. Je länger die beiden Kontakt miteinander haben, umso mehr Kontrolle gibt sie an ihn ab. Er gibt ihr vor, wie sie sich anzuziehen hat, mit wem sie sprechen darf, wann sie beten muss und sogar was sie essen darf und was nicht. Und sie hält sich daran. Weil sie unterbewusst jemanden gesucht hat, der ihr sagt, was sie zu tun hat.

Können Sie das nachvollziehen?
Ich muss ehrlich gestehen: ja. Als ich mich auf die Rolle vorbereitet habe, habe ich mir die Videos angesehen, die der IS zum Rekrutieren benutzt. Die kommen daher wie Musikclips, nicht wie eine Einladung in einen blutigen Krieg. So funktioniert diese Taktik ja: Es wird ein Paradies versprochen, ein besserer Ort, wenn man sich nur an ihre Regeln hält. Dazu kommt, dass der IS ja auch psychischen Druck ausübt: Wenn du dich nicht gegen die böse westliche Welt stellst, werden alle deine Lieben auf grausame Weise sterben, und ihr werdet euch nie mehr wiedersehen. Wenn ich mir vorstelle, wie stark beeinflussbar man in diesem Alter ist, dann verstehe ich, warum diese Taktik gerade bei jungen Menschen funktioniert. 

Was können wir als Gesellschaft dagegen tun?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich denke, es hängt viel mit unserem Frauenbild zusammen. Junge Frauen versuchen heute, sich einen neuen Halt zu suchen. Daran müssen wir sicherlich arbeiten. Aber dass das allein die Lösung ist, bezweifle ich.

Kurz bevor Sie mit dem Filmdreh anfingen, wurden bei einem Terroranschlag im Pariser Club Bataclan über hundert Menschen getötet. Hat das Ihre Arbeit beeinflusst?
Wir haben drei Tage nach dem Anschlag angefangen zu drehen. Die Regisseurin war sich nicht sicher, ob wir alle stark genug sind, um weiterzumachen. Aber wir kamen zum Entschluss, dass es genau jetzt wichtig ist, einen solchen Film auf die Leinwand zu bringen. Das Kino ist auch eine Waffe, die Angst bekämpfen kann. Für mich ist das auch die wichtigste Botschaft des Films: Nur wenn wir zusammenstehen, können wir diesem Horror entgegentreten. 

Was erhoffen Sie sich sonst noch vom Film?
Ich habe bisher vor allem mit jungen Leuten gesprochen, die den Film schon gesehen haben. Die Rückmeldungen waren fast immer die gleichen: Sie sind nun sensibilisierter dafür, was in ihrer Umgebung abläuft. Wenn sich Freundinnen oder Freunde anfangen seltsam zu verhalten, wollen sie einschreiten und sie ansprechen. Eine Mutter kam nach der Premierevorstellung in Paris zu mir und sagte, wenn sie den Film früher gesehen hätte, hätte sie ihr Mädchen vielleicht aufhalten können – ihre Tochter hat sich dem IS angeschlossen und ist nach Syrien gereist. Sie ist seither verschwunden. Ich hoffe, wer den Film sieht, bekommt neue Ansätze, wie man mit solchen Situationen umgehen kann.

Redaktorin Helene Aecherli hat sich bereits vor zwei Jahren damit befasst, was junge Frauen in den Jihad treibt. Lest hierzu die Hintergrundreportage aus dem Heft.

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