Werbung
Warum schlechte Laune wichtig ist

Leben

Warum schlechte Laune wichtig ist

  • Interview: Claudia Senn; Illustration: Andrew Rae

Schlechte Laune ist viel besser als ihr Ruf. Und manchmal auch nötig als Schutzmechanismus. Buchautorin Andrea Gerk über eine unterschätzte Gemütslage, ohne die das Leben nur halb so lustig wäre.

annabelle: Andrea Gerk, Sie sehen ein bisschen bedrückt aus. In welcher Verfassung treffe ich Sie grad an?
Andrea Gerk: Leider in keiner sehr guten. Ich bin total erkältet – ein klassischer Schlechte-Laune- Auslöser. Ausserdem gehört eine Erkältung zu jenen Dingen, die man nicht ändern kann. Das macht es noch schlimmer.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, der schlechten Laune ein ganzes Buch zu widmen?
Ein Freund riet mir aus Spass: Schreib doch mal über schlechte Laune, davon verstehst du wenigstens was. Haha, sehr witzig, antwortete ich. Aber er ist ein guter Freund, deshalb darf er sich so was erlauben, und ich bin ja tatsächlich oft schlecht gelaunt. Als ich anfing, mich mit diesen Stimmungen zu beschäftigen, konnte ich auf einmal sehr viel Schönheit, kreatives Potenzial und Unterhaltungswert darin entdecken.

Das klingt, als ob Sie es geradezu geniessen würden, grantig zu sein.
Manchmal schon. Übellaunigkeit kann ein sehr befreiender Zustand sein, weil man sich endlich einmal schlecht benehmen darf. Das hat etwas Anarchisches. Normalerweise müssen wir immer funktionieren, effizient sein, uns an kulturelle und zivilisatorische Normen halten. Schlechte-Laune-Anfälle sind wie kleine Sprengsätze, die unser durchgetaktetes Leben hintertreiben. Darin steckt eine starke Energie, ganz anders als etwa bei der Depression oder der Melancholie. Wenn der Ärger blitzschnell die Zündschnur hinaufbrennt, sind wir für einen kurzen, wohltuenden Moment wieder da, wo wir alle herkommen: daheim im Neandertal.

Warum hat die schlechte Laune einen so miesen Ruf?
Das frage ich mich auch. Heute muss man sich leider für jede Stimmungsflaute rechtfertigen. Nicht einmal die Alten sind noch griesgrämig. Statt wie früher ihre Krückstöcke zu schwingen und aus zahnlosen Mündern unverständliche Schimpftiraden zu krächzen, wandern sie in bunten Klamotten fröhlich pfeifend ihrem Siechtum entgegen. Sogar wenn man Krebs kriegt, soll man darin eine Chance zur persönlichen Weiterentwicklung entdecken. Offenbar liegt es gar nicht mehr drin, einfach mal frustriert zu sein. Ähnlich wie Heimweh, Sehnsucht oder Langweile ist schlechte Laune zu einer altmodischen Angelegenheit für Ewiggestrige und Sturköpfe geworden.

Sie sprechen sogar von Gute-Laune-Terror.
Als in Österreich 2016 der neue Kanzler die Geschäfte übernommen hatte, versprach er als Erstes, im Land wieder für gute Laune zu sorgen. Dieser Zwangsopti- mismus ist doch furchtbar! Schlechte Laune kann eine Form von emotionalem Widerstand sein, gegen die Zumutungen der Familie, der Arbeit, der modernen Konsumwelt, der Politik. Der Journalist Tobias Haberl schrieb in der «Süddeutschen Zeitung» von einer «Diktatur der Positivität»: «Alles Dunkle soll hell, alles Gefährliche abgeschafft, alles Triebhafte reguliert, alles Melancholische heiter gemacht werden. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts muss alles sympathisch und sonnig und gut gelaunt sein, jede Wohnung, jeder Moderator, jede Zeitschrift …»

Wo liegt das Problem?
Wir tun so, als dürfe nur noch die eine, die positive Hälfte des Lebens stattfinden. Die schlecht gelaunte Hälfte passt nicht ins kollektive Wohlfühlprogramm und in einen auf ökonomische Effizienz und emotionale Reibungslosigkeit getrimmten Alltag. Die Kunst, ein gutes Leben zu führen, liegt jedoch darin, beiden Polen genug Platz einzuräumen. Wer sich die schlechte Laune verbietet, macht sich damit erst recht unglücklich. Eine Langzeitstudie aus dem Jahr 2010 hat sogar festgestellt, dass unterdrückter Ärger das Herzinfarktrisiko um das Dreifache erhöht.

Welche Funktion haben solche Stimmungen denn in unserem Leben?
Schlechte Laune ist ein Abstandsregler, ein Schutzmantel, ein Einigelungsmechanismus, der einem dabei hilft, die Ansprüche anderer an sich abprallen zu lassen und einfach mal seine Ruhe zu haben. Zudem zeigt sie uns effizient und schnell, dass etwas nicht stimmt, und bringt uns dazu, den Dingen auf den Grund zu gehen. Damit ist sie oft der erste Schritt zur Lösung eines Problems. Nur wer schlecht drauf ist, betreibt Ursachenforschung. Wer gut drauf ist, kauft sich ein Eis und legt sich in die Hängematte. Oder um es mit dem österreichischen Philosophen Konrad Paul Liessmann zu sagen: «Wer sich freut, denkt nicht.»

Sie haben viele Jahre in Wien gelebt. Welchen Einfluss hatte diese Welthauptstadt der schlechten Laune auf Ihr Gemüt?
Die ersten zwei Jahre habe ich jeden Tag geheult. Weil ich mit dem Wiener Grant überhaupt nicht zurechtkam. Egal wie sehr ich mich bemühte, alles richtig zu machen, ich wurde trotzdem angeranzt. Aber dann entdeckte ich, wie sprachverliebt und humorvoll die Österreicher sind. Schlechte Laune hat dort etwas unheimlich Verspieltes, während sie in Deutschland oft rüpelhaft-motzig daherkommt – was ja überhaupt keinen Spass macht. 80 Prozent der österreichischen Literatur würden gar nicht existieren, wenn das Granteln und die Mieselsucht dort nicht so tief im Wesen verankert wären.

Wann empfindet man die schlechte Laune anderer als Zumutung?
Wenn sie sich als unreflektiertes, selbstgefälliges oder rechthaberisches Genörgel und Gejammer zeigt, ohne einen Funken Humor und Selbstironie. Viele Übellaunige sind jedoch keineswegs Unsympathen. Sie scharen einen grossen Freundeskreis um sich, weil sie ihre Launen mit Witz oder besonderem Können ausgleichen.

Ihr liebster Schlechte-Laune-Held?
Dr. House finde ich grossartig. Nicht zufällig ist er eine der erfolgreichsten Serienfiguren der Welt, obwohl er seine Patienten hasst und die Arbeitskollegen in die Pfanne haut. Im Fernsehen, Kino, Theater oder in der Literatur schauen wir schlecht gelaunten Stinkstiefeln nämlich sehr gern dabei zu, wie sie ihre Mitmenschen drangsalieren. Mit dem gebührenden Sicherheitsabstand finden wir das amüsant – im Gegensatz zum zermürbenden Genörgel der eigenen Oma, deren muffige Stimmung sich während der Weihnachtsfeier wie ein lähmender Grauschleier auf die restliche Familie legt.

Dass «Tatort»-Kommissare schlecht drauf sind, scheint eine Art Naturgesetz zu sein. Warum?
Die Krimiautorin Simone Buchholz, mit der ich darüber gesprochen habe, meinte, diese Figuren blickten ja ständig in finsterste Abgründe, das liesse sich nur mit ganz viel Alkohol und Übellaunigkeit ertragen. Mich begeistert an dieser unverwüstlichen Krimireihe denn auch weniger die innovative Kameraführung oder die originellen Plots als das gemütliche Beisammensein mit Leuten, die noch schlechter gelaunt sind als ich selbst.

Im Fernsehen ist das ja in Ordnung. Doch was, wenn einen der Vorgesetzte mit seinen Launen quält?
Das ist leider weit verbreitet. Als schlimmster Chef des Planeten gilt wohl Amazon-Gründer Jeff Bezos, der seine Angestellten gern mit rhetorischen Fragen wie «Bist du faul oder nur inkompetent?» oder «Warum verschwendest du mein Leben?» beleidigt. Laune kommt von Luna, Mond. In dem Begriff steckt etwas Flüchtiges, Vorübergehendes. Wenn jemand gewohnheitsmässig seine Mitarbeiter drangsaliert, ist das keine schlechte Laune mehr, sondern pathologische Rüpelhaftigkeit. Die Medizin definiert es so: Hält schlechte Laune länger als zwei Wochen an, hat sie Krankheitswert.

Wer ist sonst noch für seine legendäre Übellaunigkeit berüchtigt?
Unvergleichlich waren wohl die Wutausbrüche des Schauspielers Klaus Kinski. Als er mit Werner Herzog im peruanischen Hochland den Film «Aguirre, der Zorn Gottes» drehte, waren die am Set anwesenden Indianer von Kinskis Benehmen so genervt, dass sie Herzog anboten, Kinski für ihn zu töten. Auch der Jazzmusiker Keith Jarrett ist auf eine schwer erträgliche Art exzentrisch: Er hat schon Konzerte abgebrochen, bloss weil einer im Publikum hüstelte. Trotzdem wird er weltweit verehrt – weil er etwas kann, was die meisten von uns nicht können. Der verstorbene Popmusiker Lou Reed wiederum galt als regelrechter Journalistenschreck. Wer ein Interview mit diesem griesgrämigen alten Mann überstand, den konnte wahrscheinlich gar nichts mehr erschüttern.

Reeds Kollege Iggy Pop, mittlerweile 70, hat wegen seiner Zertrümmerungsorgien in unzähligen Hotels Hausverbot. Warum lassen seine Fans ihm das durchgehen?
Popstars sind wie Hofnarren. Sie dürfen sich all das herausnehmen, was wir uns immer versagen. Hat nicht jeder von uns manchmal Lust, sich auch als Erwachsener wie ein tobendes Kind aufzuführen, das für einen kurzen Moment alles Anerzogene und scheinbar Zivilisierte vergisst?

Ihr liebstes Schimpfwort?
Himbeer-Toni finde ich toll, das ist ein beschränkter Mensch, ein Depp vom Dienst. Ich habe das Wort bei der Künstlerin Ingke Günther entdeckt, die über 2000 Kraftausdrücke auf feinstes Büttenpapier gestickt hat. Schimpfwörter zu kreieren, ist eine Kulturleistung. Es gibt innerhalb der Linguistik sogar einen eigenen Zweig, der sie erforscht: die Malediktologie. Manche Flüche können sehr lustig sein wie etwa die persische Schmähung «Ich furze in deines Vaters Bart!». Eine Quelle unterhaltsamer Schimpfwörter war früher auch der Deutsche Bundestag. Wie diese Grossmäuler damals ausgeteilt haben: «Nadelstreifenrocker!» – «Petersilienguru!» – «Möchtegern-Schimanski!» – «Berufsrandalierer!»

Geht es in der heutigen Politik zahmer zu?
Leider sind diese herrlichen Tiraden von der politischen Korrektheit glatt geschliffen worden. Heute bricht ja schon die Hölle los, wenn einer bloss den Mittelfinger zeigt. Aus gut unterrichteter Quelle weiss ich, dass Angela Merkel in Wirklichkeit wahnsinnig witzig und trinkfest sein muss. Doch weil ihr die Gegner auf Augenhöhe fehlen, kann sie das nicht öffentlich ausleben. Schade eigentlich.

Wir sind am Ende des Gesprächs angelangt, und Sie scheinen gar nicht mehr schlecht gelaunt zu sein. Oder täusche ich mich da?
Nein, ich fühle mich tatsächlich besser. Auf einer Skala von eins bis zehn würde ich mich jetzt bei sieben einstufen, obwohl ich immer noch verschnupft bin. So ist das eben mit der schlechten Laune: Sobald man sich mit ihr beschäftigt, löst sie sich ganz von selbst auf. Und gerade weil sie so flüchtig ist, sollte man sie ruhig geniessen.

  

Andrea Gerk (50) ist freischaffende Radiojournalistin und lebt mit ihrer Familie in Berlin. Eben ist ihr Buch «Lob der schlechten Laune» erschienen, in dem sie unterhaltsam und gut gelaunt die schillernden Seiten dieser unterschätzten Gemütslage erkundet.
Lob der schlechten Laune, Verlag Kein & Aber, 250 Seiten, ca. 30 Franken

Next Read