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Warum mich der Selfie-Wahn als Mutter beunruhigt 

Warum mich der Selfie-Wahn als Mutter beunruhigt 

  • Text: Vanessa Nikisch; Bild: Unsplash

Instagram & Co. sind jetzt auch in der Klasse meiner zehnjährigen Tochter angekommen. Ich gestehe, das beunruhigt mich. Auch wenn mir nicht ganz klar ist, warum. Habe ich doch in jungen Jahren auch schon Selfies gemacht und zwar mit Verve. Regnerische Mittwochnachmittage verbrachte ich mit Sonnenbrille im Fotoautomaten und gab alles. Die Freundinnen meiner Tochter haben heute ihren eigenen multifunktionalen Fotoautomaten in der Tasche und ziehen im Kinderzimmer Schnütchen – für unbedarfte Selfie-Novizinnen noch immer die Einstiegspose. Herzig-schnuckelig, gewiss, es ist aber womöglich erst der Anfang. Als ich meinen Dokumentarfilm «Generation Selfie» drehte, habe ich gesehen, was aus Schnütchen werden kann: gepolsterte Lippen. Junge Frauen lassen sich einen Schmollmund spritzen oder trainieren ihr Hinterteil obsessiv im Fitnessstudio – für das perfekte Bild im knappen Höschen.

Zwar finde ich diese halbnackig-öffentliche Zurschaustellung in Zeiten des modernen Frauenbilds befremdlich oldschool, sonst aber nicht grossartig schlimm. Beim Füdli meiner Tochter dürfte es jedoch kompliziert werden. Im Grunde genommen geht es auch dieser Generation darum, sich selbst und das Erwachsensein auszuprobieren. Genau wie mir in den 80ern. Zu blond gefärbt, zu grell geschminkt: «Weniger ist mehr» war vor der Kamera nicht mein Motto. Die meisten dieser Aufnahmen sind subito im Abfall gelandet, zum Glück. Doch was wird mit den Fotos meiner Tochter passieren? Klick und raus damit in die Welt. So handhabt es die Peergroup. Teenager produzieren Unmengen von Bildern und kennen nur ein einziges Sujet: Ich! Ich! Ich! Narzisstisch ist die «Generation Selfie» deshalb noch lang nicht. Der für Pubertierende übliche Selbstfindungsprozess beginnt nun mal meist an der Oberfläche. Wobei heutzutage Körper und Gesicht eifrig und wie selbstverständlich mittels Beauty-App und Filter aufgehübscht und verändert werden. Echt ist das, was inszeniert ist. Auch punkto Glückseligkeit. Je mehr wir uns vergleichen, desto unglücklicher werden wir, habe ich einmal gelesen.

Auf einem Teenager-Handy finden sich Millionen solch unechter Vergleichsmöglichkeiten. Wisch! Wisch! Wisch! Die Bilderflut strömt in die Teenie-Seele und löst dort etwas aus. Im allerbesten Fall gute Laune. Im schlechten mindert sie das Selbstwertgefühl. Gegenmittel? Herzen gegen Schmerzen! Eigentlich geht es nur um die Reaktion, die Likes und Däumchen. Auch beim jungen Mann, den ich für meinen Film interviewte. Sensibel, irgendwie verloren in der realen Welt, ein Checker in der virtuellen. Pausenlos postet er Bilder, ansonsten droht der Absturz zurück in die Bedeutungslosigkeit. Unsere Kinder sehnen sich nach Liebe und Anerkennung. Geben wir sie ihnen – im realen Leben. Das imprägniert auch gegen Negativ-Feedback und Hasskommentare. Vielleicht sollte ich ausserdem eines dieser hochnotpeinlichen Selfies aus meiner Jugendzeit auftreiben und es meiner Tochter aufs Kopfkissen legen – zur Abschreckung.

Die Journalistin Vanessa Nikisch (48) hat fürs Schweizer Fernsehen einen Dokfilm über die «Generation Selfie» gemacht. Sie selbst ist nicht einmal bei Facebook und versucht, ihre Tochter so lang wie möglich von Social Media fernzuhalten.