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Warum gibt es in der Schweiz so wenige Start-up-Gründerinnen?

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Warum gibt es in der Schweiz so wenige Start-up-Gründerinnen?

Nur neun Prozent aller Start-ups werden hierzulande von Frauen gegründet. Anja Maurer und Alexandra Beckstein – ehemalige Arbeitskolleginnen und Freundinnen – sprachen für ihr Buch «Gründerinnen: Den Mutigen gehört die Zukunft» mit verschiedenen Frauen, die den Schritt ins Ungewisse gewagt haben.

annabelle: Anja Maurer, Alexandra Beckstein, warum haben Sie in Ihrem Buch nur Gründerinnen porträtiert – und nicht auch Gründer?

Anja Mauer: Vor ein paar Jahren habe ich einen Artikel gelesen, in dem stand, dass nur neun Prozent aller Personen, die in der Schweiz ein Start-up gründen, Frauen sind. Mit unserem Buch wollen wir innovativen Gründerinnen ein Gesicht geben – und weibliche Vorbilder schaffen. Deshalb haben wir auch darauf geachtet, dass im Buch die Themenbandbreite von Medizin über Mode bis hin zu IT und Finanzen sehr gross ist.

Alexandra Beckstein: Wenn nur eine Frau nach dem Lesen des Buchs darin bestärkt ist, selbst zu gründen, haben wir unser Ziel erreicht.


Die Autorinnen: Anja Maurer (links) und Alexandra Beckstein.

Müssen Frauen denn eher bestärkt werden als Männer?

Alexandra Beckstein: Einige Gründerinnen haben uns erzählt, dass ihrer Erfahrung nach Männer einfach mal loslegen – und Frauen oftmals viel vorsichtiger sind, auch perfektionistischer. Eine Frau hat uns zum Beispiel gesagt, dass sie nie gegründet hätte, wenn ihr Mentor an der Uni nicht heimlich einen Investor eingeladen hätte. Sie dachte: Meine Idee ist längst noch nicht ausgereift genug.

Anja Maurer: Es ist auch verbreitet, dass sich Frauen nicht wirklich als Gründerinnen bezeichnen, sondern eher sagen, sie machen nebenbei so ein bisschen was. Deshalb wird vermutet, dass die Dunkelziffer an Gründerinnen recht hoch ist (lacht).

Alexandra Beckstein: Diese Zurückhaltung hat sicherlich viel mit unserer Erziehung zu tun. Kürzlich war es in meinem privaten Umfeld zum Beispiel ein Riesenthema, dass sich zwei jugendliche Frauen geprügelt hatten. Klar: Prügeln ist nie gut, aber es ist doch interessant, sich bewusst zu machen, dass es, wenn sich zwei jugendliche Männer mächtig in die Haare kriegen, meist als «normal» abgewunken wird.

Worauf wollen Sie hinaus?

Alexandra Beckstein: Mädchen wird viel eher beigebracht, sich zurückzuhalten und unauffällig zu bleiben.

Anja Maurer: Von Frauen wird immer noch mehrheitlich erwartet, dass wir uns anpassen und für Harmonie sorgen. Eine solche Sozialisierung kann das Gründen einer eigenen Firma erschweren, wo es ja sehr viel Durchsetzungsvermögen braucht. Auch haben uns einige Gründerinnen erzählt, dass das Verantwortungsgefühl für ihre Mitarbeitenden ihr allergrösser Stressfaktor sei. Einen Familienvater einzustellen und nicht zu wissen, ob das Start-up auch wirklich durchstarten wird – das macht viel Druck.

Sind Frauen also die verantwortungsvolleren Chefs?

Anja Maurer: Das würde ich so nicht sagen. Aber Frauen gestehen sich vielleicht eher ein, wenn sie keine Führungsperson sind – anstatt einfach völlig selbstverständlich den nächsten Karriereschritt zu gehen, so wie es Männer in ihrer Sozialisierung eingebläut bekommen.

Alexandra Beckstein: Ich kenne tatsächlich viele Männer in Chefpositionen, bei denen ich keine Führungsqualitäten erkennen kann. Da frage ich mich dann schon hin und wieder, wie die Person in dieser Position gelandet ist.

Welche Rolle spielt die Vereinbarkeitsfrage dabei, dass es verhältnismässig wenige Gründerinnen gibt?

Alexandra Beckstein: Die Mehrheit der Gründerinnen, mit denen wir gesprochen haben, haben tatsächlich keine Kinder. Oder – im Falle der jüngeren Frauen – zumindest noch keine. Das kann Zufall sein – oder aufzeigen, dass sich Frauen heute eben immer noch oft zwischen Kind und Karriere entscheiden müssen.

Anja Maurer: Für Frauen, die Kinder haben, kann es aber auch sehr verlockend sein, zu gründen, weil sie in ihrem Alltag mehr Gestaltungsmöglichkeiten und Freiheiten haben. Wir haben allerdings oft zu hören bekommen, dass es in so einem Fall sehr wichtig ist, einen Partner zu haben, der das Ganze mitträgt – und seinen Teil im Haushalt und der Kinderbetreuung übernimmt.

Was nehmen Sie persönlich aus den Gesprächen mit?

Anja Maurer: Meinen inneren Impulsen zu folgen, ihnen nachzugehen und sie nicht alle sofort als Hirngespinste abzutun. Was mir auch geblieben ist: Eine der Frauen hat gesagt, man sei gewissermassen der Durchschnitt aus den Leuten, von denen man sich umgibt. Ich will künftig noch mehr darauf achten, immer mal wieder neue Leute ausserhalb meines Kuchens kennenzulernen. Das kann der eigenen Weiterentwicklung nur guttun.

Alexandra Beckstein: Mir bleibt vor allem, dass man sich nicht so viele Gedanken darüber machen sollte, ob etwas richtig oder falsch ist – oder auch was die anderen denken beziehungsweise von einem erwarten könnten. Es zählt, was man selbst mit seinem Leben vorhat.

Anja Maurer: Eine deutsche Start-up-Gründerin hat uns erzählt, wie erschrocken sie in der Schweiz über das enorme Sicherheitsbedürfnis war. Man will hierzulande immer auf Nummer sicher gehen. Ich habe kürzlich selbst erlebt, wie gut es tun kann, das eben auch mal nicht zu tun: Ich habe meinen Job gekündigt und arbeite seit einem halben Jahr bei einem Start-up. Ja, ich verdiene weniger, und ja, die Zukunft ist ein bisschen ungewisser. Aber ich bin jetzt deutlich erfüllter.