Zeitgeist
Warum Frauen stutenbissig sind – und was wir ändern können
- Text: Marie Hettich
- Bild: Stocksy
Völlig nachvollziehbar, dass die Lage unter Frauen oft etwas angespannt ist, schreibt Co-Leiterin Digital Marie Hettich in ihrem Kommentar. Trotzdem sollten wir uns zügeln.
Kürzlich bei Kaffee und Kuchen mit meinen Grosseltern: Ich erzählte, dass ich bei annabelle zur Co-Leiterin Digital befördert wurde – zusammen mit meiner Kollegin Vanja Kadic. Ich war kaum fertig mit meinem Satz – da zog mein 86-jähriger Opa die Augenbrauen hoch und fragte: «Aber klappt das? Ihr Frauen kommt doch meistens nicht so gut miteinander aus, oder?!»
Seit ich bei annabelle mit fast dreissig Frauen (und aktuell einem Mann) zusammenarbeite, wird mir immer wieder diese Frage gestellt: Wie es denn sei, mit so vielen Frauen auf einem Haufen? Frauen seien untereinander doch oft so stutenbissig?
Ich finde, dass wir bei annabelle respektvoll und wohlwollend miteinander umgehen. Ich arbeite extrem gern hier – und das erzähle ich dann auch immer lang und breit. Aber ja: Vermutlich schwirrt auch bei uns manchmal Missgunst durch die Luft.
Eigentlich kann es gar nicht anders sein. Am Phänomen der Stutenbissigkeit – der Begriff bezieht sich auf den Kampf von Stuten um die Rolle der Leitstute – ist nämlich leider etwas dran. Auch wenn ich es zu gern leugnen würde.
«Es ist ein logisches Verhalten, den strengen Blick der Gesellschaft auf sich selbst zu übernehmen – und damit auch auf andere Frauen»
«Also ihr Outfit geht ja gar nicht, viel zu nackt!» «Sie hat ein Baby und arbeitet hundert Prozent!?» «Sie ist selbst schuld, wenn sie ihren Mund nicht aufkriegt»: Frauen sprechen oft sehr abfällig über andere Frauen. Manche reden sich richtig in Rage. Dabei müssen sie die andere Frau nicht einmal persönlich kennen, nein, Instagram reicht aus, um sich das Maul zu zerreissen.
In unserer grossen Frauen-Studie «annajetzt» im Jahr 2021 haben auf die Frage «Was denken Sie, womit haben Sie in Ihrem Leben bisher zu viel Zeit verbracht?» elf Prozent der Befragten «Urteilen über andere Frauen» angekreuzt. Es scheint also auch ein Bewusstsein dafür zu geben: So wirklich cool ist das nicht.
Man muss die weibliche Lästerei in einen gesellschaftlichen Kontext setzen. Frauen verhalten sich so, weil sie in einer patriarchalen Welt aufgewachsen sind, in der Frauen abgewertet werden. Es ist erst mal ein logisches Verhalten, den strengen Blick der Gesellschaft auf sich selbst zu übernehmen – und damit auch auf andere Frauen.
Weisse, heterosexuelle Cis-Männer haben noch immer die Macht; in der Politik, in der Wirtschaft und eben auch in den meisten Büros. Alle anderen müssen sich mit dem zufriedengeben, was übrig bleibt. Völlig nachvollziehbar also, dass die Lage da oft etwas angespannt ist.
«Wer Frauen und non-binäre Personen abwertet, stärkt Männer in ihrer Machtposition»
Sollen wir nun relaxt weiterlästern, weil es mit der internalisierten Misogynie und Chancenungleichheit legitime feministische Begründungen dafür gibt? Natürlich nicht. Denn jede Lästerei geht aufs Konto des Patriarchats. Wer Frauen und non-binäre Personen abwertet, stärkt Männer in ihrer Machtposition. Jedes Mal aufs Neue.
Mein Vorschlag: Im Zweifelsfall lieber weniger übereinander reden und viel öfter miteinander. Und sich dabei – ganz nach den italienischen Diotima-Philosophinnen – auch nicht unnötig schonen. Denn, so deren Auffassung: Um einander ernst zu nehmen, gehören kritische Einwände und Diskussionen dazu. Darin sind wir bei annabelle definitiv schon gut.