Politik
Warum die gemeinsame Elternzeit die beste Entscheidung unseres Lebens war
- Text: Marie Hettich
- Bild: Stocksy
18 Wochen exklusiv für beide Elternteile – darüber wird am 15. Mai im Kanton Zürich abgestimmt. Redaktorin Marie Hettich, seit März zurück aus der sechsmonatigen Babypause mit ihrem Partner, ist begeistert.
Mein Wochenbett war fantastisch. Trotz Kaiserschnittschmerzen und heftigem Milcheinschuss habe ich so viel gelacht wie wahrscheinlich noch nie in meinem Leben. Unsere Hebammen fragten immer wieder vorsichtig, ob ich nichts von einem Babyblues spüren würde – nichts, wirklich gar nichts? Wirklich nichts. Mir ging es blendend. Und ich war selbst überrascht. Denn ich hatte mich auf eine schwierige Zeit mit heftigen Stimmungstiefs eingestellt. Auf ein Gefühl des Einsam-, des Überfordertseins. Stattdessen: The pure happiness.
Das zu schreiben, fühlt sich seltsam an. Denn ich kenne viele andere Geschichten von jungen Müttern – Geschichten über Zweifel, Ängste und Depression, die unbedingt auch erzählt werden müssen. Und trotzdem poche ich auf meine Wochenbettversion. Denn wie es Müttern (und damit auch den Babys) in den ersten Monaten nach der Geburt ergeht, ist längst nicht nur eine Frage der Hormone oder der individuellen Veranlagung.
Es gibt äussere Rahmenbedingungen, die Mütter auffangen können. Politische Rahmenbedingungen. Darunter fällt die Elternzeit-Initiative, über die der Kanton Zürich am 15. Mai abstimmt: 18 Wochen für beide Elternteile bei 80% Lohn – exklusiv. Wenn der Vater seine 18 Wochen also nicht bezieht, bekommt die Mutter keine Woche mehr. Take it or leave it. Ich finde: Natürlich sind 18 Wochen erst ein Anfang. Aber die sogenannte paritätische Elternzeit ist das Feministischste, was es überhaupt geben kann.
«Unvorstellbar, wäre mein Freund nach zwei Wochen wieder arbeiten gegangen»
Als im August letzten Jahres unser Baby zur Welt kam, waren mein Freund und ich zu zweit – sechs Monate lang. Wir haben auf unsere gemeinsame Auszeit gespart und die Eltern meines Freundes um finanzielle Unterstützung bitten müssen. Mehrere Zehntausend Franken haben wir für etwas bezahlt, das keinen Rappen kosten sollte – weil es weder Luxus noch Privatsache ist, ein Kind zu bekommen und grosszuziehen.
Und während ich mich darüber aufrege, so viel Geld bezahlt zu haben (Geld, das wir jetzt als junge, in Teilzeit arbeitende Eltern sehr gut gebrauchen könnten), weiss ich, dass ich absurderweise sogar dankbar sein muss – für ein Privileg, das vielen anderen in der Schweiz gar nicht zuteil wird. Die Entscheidung wird den meisten Eltern abgenommen. Sie haben keine andere Wahl, als den Vater von seiner Familie zu trennen und die Mutter und das Baby alleinzulassen.
In aller Ruhe heilen
Unvorstellbar für mich, wäre mein Freund nach seinen zwei Wochen Vaterschaftsurlaub wieder arbeiten gegangen. Ich bin mir sicher: Niemals hätte ich mich im Wochenbett so fallen lassen und im Moment sein können. In aller Ruhe konnte ich Stillen üben, Abpumpen üben, meinen geschundenen Körper pflegen, heilen – während er aufgeräumt, die Wäsche gemacht, gewickelt, mit dem Baby gekuschelt, Fläschchen gegeben und für unsere Mahlzeiten gesorgt hat.
Wir waren beide immer wieder am Anschlag, aber auch voller Vorfreude auf die kommenden Monate; auf verschneite Tage auf dem Sofa, auf die erste Zugfahrt zu dritt, auf den ersten Familienausflug in die Berge. Jede Herausforderung war unsere gemeinsame. Und jeder Glücksmoment auch.
Nein, ich hätte jeden Tag gezählt. Mich ständig gefragt, wie das alles ohne ihn gehen soll. Wäre traurig und wütend gewesen, dass es ihm verwehrt wird, unser Baby richtig kennenzulernen und in seine Vaterrolle zu finden. Dass es uns verwehrt wird, langsam zu einer Familie zu werden. Und dann wäre es mit Sicherheit ganz schnell da gewesen, das Einsam- und Überfordertsein. Dieses Gefühl, das so viele Mütter kennen. Das viele krank macht – und das Mütter im schlimmsten Fall für ihr eigenes Versagen halten.
Männer, wo bleibt euer Aufschrei?
Nie sind Frauen verletzlicher und hilfsbedürftiger als während der Geburt und im Wochenbett. Dass die Schweiz von Vätern verlangt, ihre Partner:innen nach kürzester Zeit alleinzulassen, ist ein Skandal. Zur Erinnerung: Das Wochenbett dauert, bis sich die Gebärmutter vollständig zurückgebildet hat, acht Wochen – acht Wochen, die mit einem Neugeborenen rasend schnell vergehen.
Wie so oft wundere ich mich, wo da der Aufschrei der Männer bleibt: Könnt ihr wirklich mit euch vereinbaren, sofort wieder ins Büro zu düsen, als wäre nichts gewesen – während eure Partner:in zu Hause stemmt, was alleine kaum zu stemmen ist? Ausserdem geht euch die vielleicht schönste Zeit eures Lebens durch die Lappen! Ich habe meinen Freund noch nie so glücklich erlebt.
«Es spielt keine Rolle, wer unser Baby betreut – beide sind genau gleich routiniert»
Binnen weniger Tage war er so innig mit unserem Baby, dass er dessen Bedürfnisse besser lesen konnte als ich. Mehr und mehr wurden wir zu einem eingespielten Expert:innen-Team – stets konnte die Person übernehmen, die gerade die bessere Idee oder schlicht mehr Nerven übrighatte. Das zahlt sich bis heute aus: Es spielt keine Rolle, wer unser Baby betreut – beide sind genau gleich routiniert.
Wie absurd, wenn der Vater bei der Übergabe erstmal eine Gebrauchsanweisung für das eigene Kind braucht (oder, noch schlimmer, nie mit ihm allein ist). Leider ist das in vielen Familien die Realität. Und die viel zu schwere Last der alleinigen Verantwortung trägt die Mutter.
Wenn der Vater das Kind nachts «halt einfach nicht hört»
Wissenschaftlich ist erwiesen, dass der oder die Partner:in bei intensivem, regelmässigem Hautkontakt mit dem Neugeborenen irgendwann dieselben «mütterlichen» Hormone ausschüttet. Heisst: Wenn der Vater das Baby nachts «halt einfach nicht hört» (wie mich diese Aussage nervt), liegt das schlicht daran, dass er zu wenig Zeit mit dem Kind verbracht hat. Sich rund um die Uhr um das Baby und dessen Bedürfnisse zu sorgen, kann also jede:r leisten – wenn die Politik das nur zulassen würde.
«Mit einem kleinen Baby allein zu Hause zu sein, ist das Gegenteil von Erholung»
Dementsprechend falsch finde ich auch, wenn der Mutter nach der Geburt mehr Zeit zusteht als dem Vater. Selbst wenn es sich nur um wenige Wochen Differenz handelt, wird damit suggeriert: Die Mutter ist halt doch ein bisschen wichtiger. Und das stimmt eben nicht – ein Baby braucht nicht einmal seine biologischen Eltern. Jede:r kann zur Bezugsperson werden. Ausserdem geht mit dem «halt doch ein bisschen wichtiger» dann umso mehr auch all der Shit einher, den wir doch eigentlich loshaben wollen. Zum Beispiel: mehr Hausarbeit und mehr Mental Load.
Auch das Argument, das viele Gegner:innen der Elternzeit-Initiative aktuell anbringen, die Mutter bräuchte nach der Geburt nun mal eine längere Erholungsphase als der Vater, geht für mich nicht auf. Haben die Leute, die so argumentieren, selbst Kinder? Schwer vorstellbar – denn zu Hause allein mit einem kleinen Baby zu sein, ist das Gegenteil von Erholung. Im Zweifelsfall lieber schnell zurück ins Büro! Dort kann man immerhin in Ruhe Mittagessen und Kaffee trinken.
Patricia Cammarata«Am Ende glauben ja viele immer noch, die Mutter sei das Beste fürs Kind»
Ich frage mich, was Patricia Cammarata, Autorin des Bestsellers «Raus aus der Mental-Load-Falle» und viel zitierte Psychologin, von einer paritätischen Elternzeit hält. In meiner Schwangerschaft habe ich sie – nicht ganz uneigennützig – interviewt und viel über das Thema gleichberechtige Elternschaft gelernt.
Auf mein E-Mail antwortet sie prompt. «Finde ich sehr gut! Wissenschaftlich spricht alles dafür», schreibt sie. «Je früher sich Väter kümmern und eine intensive Verbindung zum Kind aufbauen, desto nachhaltiger ist die Gleichverteilung von Sorgeaufgaben später. Kinder profitieren zudem sehr davon, wenn sie mehr als eine enge Bezugsperson haben – sie sind dann gesünder und resilienter.» Einzig unsere gesellschaftlichen Überzeugungen und Vorurteile sprächen gegen eine paritätische Elternzeit, so Cammarata. «Am Ende glauben ja viele immer noch, die Mutter sei das Beste fürs Kind. Und nicht etwa die Eltern.»
Väter zu ihrem Glück zwingen
Wer jetzt argumentiert, man soll es doch bitte Mutter und Vater selbst überlassen, wie sie ihre Elternzeit aufteilen – so einfach ist das eben leider nicht. Ein Blick auf Norwegen, wo 1993 erstmals die sogenannte Väterquote eingeführt wurde, zeigt: Es lohnt sich, die Väter zu ihrem Glück (und ihrer Verantwortung) zu zwingen. Astrid Kunze, Professorin an der Norwegian School of Economics, bestätigt: «Nach jeder Anhebung der Väterwochen nehmen norwegische Väter die längere Quote jeweils auch in Anspruch – ein Teil nimmt sogar mehr. Seit 1998 beziehen hier so ziemlich alle Männer Elternzeit.»
Heisst also: Nur die individuelle, nicht übertragbare Elternzeit ist ein wirksamer Anreiz für Väter, zuzuschlagen – sonst sind es wieder die Mütter, die mehr Zeit beziehen. Und, wie von Patricia Cammarata erwähnt: Studien weisen darauf hin, dass mit zunehmender Länge dieses alleinigen Anteils auch das nachhaltige familiäre Engagement der Väter zunimmt. Je mehr exklusive Papazeit am Anfang also, desto präsenter wird er zu Hause im Familienalltag bleiben.
Firmen müssten bei allen gleichermassen bibbern
Mein Freund sagt, er selbst wäre nicht auf die Idee gekommen, nach der Geburt unseres Kindes unbezahlten Urlaub zu nehmen – er habe die Option schlicht nicht auf dem Schirm gehabt. Mit einem exklusiven Elternzeitanteil von 18 Wochen bei 80% Lohn wäre die Ausgangslage für werdende Väter in der Schweiz eine fundamental andere.
Was für eine schöne Vorstellung, wenn Männer sich irgendwann sogar rechtfertigen müssten, wenn sie ihre wertvolle Vaterzeit einfach verstreichen lassen. Und ein grandioser Nebeneffekt: Firmen müssten bei allen Geschlechtern gleichermassen bibbern, ob eventuell bald Nachwuchs ins Haus steht. Nicht nur bei uns Frauen.