Warum das Wort «Aber» in einer Lohnverhandlung tabu ist
- Text: Helene Aecherli
- Bild: Stocksy
Consultant Matthias Schranner berät CEOs, Regierungen und die UNO. Hier verrät er die besten Verhandlungstaktiken – auch für Lohnverhandlungen.
annabelle: Matthias Schranner, ist eine Verhandlung aus Ihrer Sicht eher wie ein Schachspiel, ein Armdrücken oder ein Paartanz?
Matthias Schranner: Das kommt auf die Persönlichkeit oder auf die Kultur darauf an, in der man sich befindet. Amerikanische Verhandlungsparteien verstehen Verhandeln tatsächlich als Armdrücken, als Machtkampf. Sie sind fordernd, dominant und konfrontativ, während etwa die chinesische Verhandlungsführung eher listig und spielerisch ist. Nüchtern betrachtet, ist eine Verhandlung in erster Linie notwendig, um einen Konflikt zu lösen; einen Konflikt, notabene, in dem die Verhandlungsparteien voneinander anhängig sind und – das ist bei schwierigen Verhandlungen der Fall – jede Partei überzeugt davon ist, im Recht zu sein.
Welches sind grundsätzlich die wichtigsten Vorbereitungen für eine Verhandlung?
Nummer eins ist das Ziel: Was muss am Ende des Verhandlungsprozesses tatsächlich erreicht sein? Nummer zwei ist die Herangehensweise: Gehe ich eher fordernd, kooperativ oder abwartend rein? Das sind strategische Fragen, die ich mir stellen muss. Und Nummer drei ist die Taktik: Wer geht in die Verhandlung? Welche Forderungen stellen wir als erstes? Was leider häufig passiert, ist, dass man eins, zwei und drei nicht strukturiert, sondern vermischt, und dann kann es kritisch werden. Deshalb ist eine klare Vorgehensweise zentral: Erst das Ziel, dann die Strategie, dann die taktischen Schritte.
Wie weiss man denn, welche Strategie und Taktik man anwenden muss? Die hängt wohl auch von der Gegenseite ab, oder?
Es gibt in dieser Beziehung eigentlich nur eine einzige Frage: Habe ich zur Gegenseite eine gute Beziehung oder nicht? Vertrauen wir uns? Ist das der Fall, kann ich relativ offen und kooperativ in die Verhandlung rein. Besteht kein Vertrauensverhältnis, ist es besser, eher konfrontativ einzusteigen. Wichtig ist, die Beziehung zur Gegenseite nicht zu überschätzen.
Das heisst?
Sie besser einzuschätzen als sie sie ist. Diesen Fehler machen die meisten Menschen. Während der Verhandlung stellen sie dann fest, dass die andere Seite doch ihre eigenen Interessen hat. Und dann kann es schwierig werden, weiter zu verhandeln.
Weil sie dann verunsichert werden und Schwäche zeigen?
Ganz genau. Und das ist gefährlich. Gute Verhandlungsleute kennen ihre Stärken und Schwächen deshalb genau und wissen, wie sie damit umgehen müssen. Wer selbstsicher ist, tritt in einer Verhandlung auch dementsprechend auf und signalisiert damit: «Ich bin nicht angreifbar.» Viele Leute kennen sich jedoch selbst zu wenig, beschäftigen sich dafür aber umso intensiver mit der Gegenseite, fragen sich etwa: «Was könnten die wollen?», «Was könnte bei denen möglich sein?» Wir nennen das «guessing», raten. Ich sage immer: «Stop guessing», also überlege nicht lange rum, was für die Gegenseite möglich sein könnte, sondern konzentrier dich auf dich selbst.
«Man darf alles, solange es Teil der Strategie und Taktik ist»
Okay, aber wie lerne ich mich so kennen, dass ich für Verhandlungen gewappnet bin?
Das Beste ist, nach einer schwierigen Verhandlung detailliert aufzuschreiben, wie sie verlaufen ist, etwa so, als würden Sie ein Drehbuch verfassen. Ein Beispiel: «Der Verhandlungspartner sagte: ‹Matthias, da müssen Sie kooperativ sein.› Ich wurde emotional, antwortete: ‹Nein, das geht nicht. Das müssen Sie doch verstehen. Das ich habe Ihnen doch schon mal gesagt.›» Nachdem ich den Verhandlungsverlauf ein paar Mal aufgeschrieben hatte, erkannte ich, dass es immer die gleiche Situation ist, in der ich emotional werde. Dann nämlich, wenn man mir vorschreibt, was ich zu tun habe. Das ist für mich ein Trigger.
Wie gehen Sie damit um?
Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Kenne ich mich gut, sehe ich, was der andere mit mir vorhat und kann dann entscheiden: Was mache ich jetzt? Solange ich noch entscheiden kann, bin ich nicht emotional, und laufe nicht Gefahr, auf Provokationen übermässig zu reagieren.
Sie sagen, «Negotiations are about signals». Was bedeutet das konkret?
Um bei meinem Beispiel zu bleiben: Wenn Sie mir in der Verhandlung sagen, was ich zu tun habe, und ich mich dann sichtlich ärgere, dann ist das ein Signal. Sie wissen: «Hey, da kriege ich ihn.» Und jetzt können Sie mich steuern. Solche emotionalen Reaktionen offenbaren, wo Menschen verletzbar sind.
Welche Reaktion ist in solchen Situationen angebracht? Macht man ein Pokerface? Oder steht man vom Tisch auf und sagt: «So, das war’s»?
Man darf alles, solange es Teil der Strategie und Taktik ist. Also, wenn ich weiss, heute um 15:30 werde ich aufstehen und gehen, und dann ist es 15:30, und ich stehe auf und gehe, dann ist es gut. Ich darf aber nicht aufstehen, weil ich mich ärgere.
Biete ich dann einen Kaffee an oder übe mich in Bauchatmung?
Sehr viele Menschen glauben, in einer solchen Situation etwas tun zu müssen. Sie beginnen zu reden, argumentieren, stellen die eigene Position noch mal dar. Das ist falsch. Die Frage ist vielmehr: Muss ich jetzt überhaupt was tun? Nein. Ich muss gar nichts tun. Aber um das auszuhalten, brauchts ein paar Techniken. Zum Beispiel: Werde ich persönlich angegriffen oder baut jemand Druck auf, mach ich mir Notizen, zwinge mich dazu, zu schreiben. Solange ich schreibe, kann ich nicht reden. Das ist gut. Eine andere Taktik ist, bloss ein einziges Wort zu sagen: «Schwierig». Verlangt die Gegenseite zum Beispiel überraschenderweise eine Preiserhöhung oder mehr Lohn, sage ich nur: «schwierig» – und halte diesen Konflikt etwa drei Sekunden lang einfach mal aus. Denn auch nicht zu reagieren, ist ein Signal.
«Auf gar keinen Fall in eine Rechtfertigungsschlaufe kommen. Das machen nur Leute, die sich ohnmächtig fühlen»
Lohn – das ist das Stichwort. Reden wir über Lohnverhandlungen: Wie gehe ich vor?
Sie müssen fünf Schritte beachten. Schritt eins: Mir darüber klar werden, was ich genau will. Will ich mehr Anerkennung, dann muss ich das sagen und darf das nicht in Geldforderungen verkleiden. Will ich mehr Lohn, muss ich mehr Lohn fordern. Die Frage ist also: «Was will ich haben?» und nicht: «Was könnten die anderen mir geben?» Und schon gar nicht: «Darf ich jetzt in der Krise überhaupt nach Geld fragen?» Schritt zwei ist, die Schmerzgrenze zu definieren: Was ist das Mindeste, was ich haben möchte? Ich will etwa zehn Prozent mehr Lohn und habe meine Schmerzgrenze auf fünf festgelegt. Werden mir dann nur vier Prozent angeboten, muss ich die Verhandlung abbrechen. Aber: Ich muss dann auch mit dem Minimalziel oder allenfalls den negativen Konsequenzen leben können.
Zum Beispiel, zu kündigen.
Ja. Was nicht geht, ist bleiben und jammern. Es braucht die Konsequenz in der Zielerreichung, und die muss ich vor der Verhandlung für mich definieren. Schritt drei: Es gilt, schnelle Festlegungen zu vermeiden. Ich gehe rein und sage meinen Vorgesetzten: «Ich würde gerne mit Ihnen reden. Ich hätte gerne zehn Prozent mehr Lohn.» Dann sagt das Gegenüber: «Aber, Sie fühlen sich doch wohl bei uns?» Sage ich dann: «Ja schon, ja…», habe ich verloren. Dann habe ich zu schnell Ja gesagt.
Was antwortet man in einer solchen Situation?
Zum Beispiel: «Das ist eine wichtige Frage, aber sie ist nicht Bestandteil der heutigen Verhandlung.» Oder: «Wir können gerne über meine Befindlichkeit hier reden – nachdem wir uns geeinigt haben.» Ein weiterer Fehler, der oft gemacht wird, ist das Rechtfertigen von Positionen: «Aber, Sie müssen doch verstehen…», «Ich habe im letzten Jahr einen guten Job gemacht, deshalb möchte für nächstes Jahr einen höheren Lohn.» Letzteres ist ein Monsterfehler. Sie haben im letzten Jahr schon Geld bekommen. Jetzt möchten Sie mehr für die Zukunft – dann müssen Sie aber auch bereit sein, mehr zu geben. Der Einstieg in die Verhandlungen könnte dann so lauten: «Ich hätte gerne zehn Prozent mehr Lohn. Worüber wir reden können, ist, dass ich mehr Verantwortung übernehmen, ein grösseres Team leiten oder mehr Absatzmärkte bearbeiten könnte.» Also, auf gar keinen Fall in eine Rechtfertigungsschlaufe kommen. Das machen nur Leute, die sich ohnmächtig fühlen.
Und genau das wird oft Frauen nachgesagt. Frauen, so heisst es, verhandeln weniger gut als Männer.
Das finde ich nicht. Es geht nicht um Mann oder Frau. Es geht darum, ob ich mich mächtig oder ohnmächtig fühle; ob ich ein Mensch bin, der glaubt, im Leben selbstbestimmt zu sein und etwas bewegen zu können. Diese Leute gehen auch positiv und selbstbewusst in Verhandlungen rein und haben überhaupt keine Scheu, Forderungen zu stellen. Leute, hingegen, die sich als Opfer sehen, die sich fremdbestimmt fühlen, sind in Verhandlungen eher ängstlich und schwach. Und das können Männer wie Frauen sein.
Wie wichtig ist der Ton der Kommunikation in Verhandlungen?
Sehr wichtig. Man darf in einer Verhandlung nie respektlos werden. Je fordernder ich verhandle, desto höflicher muss ich sein. Zudem muss ich mir – und das ist Schritt vier – negative Kommunikationselemente abgewöhnen.
Zum Beispiel?
«Aber». Das ist ein Killer. Sagen Sie «aber», gehen Sie gegen mich vor, zeigen Sie mir, dass ich falsch liege. Das ist die häufigste unbewusste Respektlosigkeit und eine Todsünde in einer Verhandlung. Am Ende der Verhandlung muss das Gegenüber die Möglichkeit haben, das Gesicht zu wahren und sagen können: «Okay, ich habe auch was gewonnen.» Um das zu erreichen, muss ich am Anfang mehr fordern, damit ich am Ende der Verhandlung wieder was weggeben kann. Und das ist, was viele Menschen falsch machen: Sie fordern zu wenig. Also: Ich will zehn Prozent mehr, ein grösseres Team leiten, gerne mehr Verantwortung übernehmen, allenfalls sogar den amerikanischen Raum übernehmen. Am Ende habe ich vielleicht sieben Prozent mehr und ein grösseres Team. Ich stelle also mehr Forderungen, damit ich am Ende etwas habe, das ich hergeben kann.
Das ist ja fast wie auf einem orientalischen Bazar.
Genau. Und das ist auch gut so.
Matthias Schranner wurde einst von der Polizei und dem FBI als Verhandlungsführer ausgebildet. Heute beraten er und sein Team von Schranner Negotiation Institute globale Konzerne, Parteien und die UNO.