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Die wahren Helden in Rio

Leben

Die wahren Helden in Rio

  • Text & Fotos: Jeannine Gmelin

Die Ruderin Jeannine Gmelin aus Uster trat an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro für die Schweiz an. In ihrem letzten Erlebnisbericht reflektiert die 26-Jährige ihre Zeit in Brasilien und wagt einen Ausblick auf die nächsten vier Jahre.

Was jetzt? Der erste Moment danach – also nach einem wichtigen Wettkampf, in diesem Fall an den Olympischen Spielen – ist immer speziell. Die anfängliche Zufriedenheit, Erlösung oder auch die Glücksgefühle weichen einer gewissen Leere. Auch wenn ich hier in Rio mit Abertausenden von Sinneseindrücken geradezu überhäuft wurde und manchmal kaum einordnen konnte, was ich denn nun gerade fühle, kam auch diesmal das Gefühl der inneren Leere. Einerseits kommt sie schlichtweg davon, dass die Batterien im wahrsten Sinne des Wortes leer sind, andererseits empfinde ich es als wichtigen Teil des Verarbeitungsprozesses. Die Leere schafft Raum für neue Inspiration.

Inspiration ist für mich ein wichtiges Stichwort im Zusammenhang mit Olympischen Spielen. Ich war und bin unglaublich fasziniert und inspiriert von den Leistungen anderer Sportler, aber noch viel wichtiger und fast mehr: Auch von Menschen, die zwar eine wahnsinnige Leistung erbringen, aber dafür weder mit Medaillen oder Diplomen ausgezeichnet werden, obwohl sie mit genausoviel Leidenschaft und Herzblut bei der Sache sind, wie ich das beim Rudern bin.

Ein schönes Beispiel dafür war unser Koch. Zusätzlich zum olympischen Dorf hatten wir eine Wohnung an der Lagune, wo vor und während den Wettkämpfen für uns gekocht wurde. Seine Freude fürs Kochen war im Essen spürbar, und man konnte sie förmlich spüren, wenn man die Küche betrat. Der beste Teil, nebst seinem Essen: An der gleichen Stelle am Handgelenk, an der bei mir die olympischen Ringe sind, hat er einen Teller und Besteck tätowiert. Zwei Menschen mit einer Passion für unterschiedliche Dinge. Der Moment, als wir unsere Gemeinsamkeit entdeckten, wird mir noch lange in Erinnerung bleiben.

All good Things come to an End: Mit einer globalen Tanzparty sind die Olympischen Spiele im Maracana Stadium in Rio de Janeiro zu Ende gegangen. Die Atmosphäre war elektrisierend, die Stimmung ausgelassen und fröhlich. Nie habe ich das Gefühl von Zusammengehörigkeit realer erlebt als in diesen Stunden. Alles hier erlebt man in Superlativen.

Unter die Begeisterung über die vielen Emotionen, die mir die Olympischen Spiele boten, mischen sich bei mir aber auch Fragezeichen und eine gewisse Besorgnis. Die Olympischen Spiele wurden von einem Land ausgerichtet, das eigentlich schon genug Sorgen hat. Damit wir Sportler unseren Traum leben können, müssen andere Menschen Opfer bringen. Im ohnehin überlasteten Arbeitsverkehr wurde eine Spur für die olympischen Transfers reserviert und die Staus für die Einheimischen somit noch länger. Auch der Kontrast der glänzend weissen olympischen Stätten zu den Favelas, wo sie innert kürzester Zeit aus dem Boden gestampft wurden, hätte krasser nicht sein können – um nur zwei Beispiele zu nennen.

Trotz aller Widrigkeiten hat Rio sein Bestes gegeben, und zu mir ist immer Wohlwollen durchgedrungen. Die Warmherzigkeit und auch die Selbstverständlichkeit, mit der die Volunteers beispielsweise die Strassen oder die Tische in der Dining Hall geputzt haben – ohne überhaupt zur Kenntnis genommen zu werden, hat mich mehrere Male tief berührt. In meinen Augen sind sie die wahren Helden.

Diese Erfahrung hier in Rio hat einen Zauber, der nur schwer zu erfassen ist. Darum ist es vielleicht gut, dass Olympische Spiele nur alle vier Jahre stattfinden, denn am Ende sind es nicht Medaillen, Diplome oder Auszeichnungen, die mich ausmachen, sondern der Weg dorthin. Die vier Jahre, die zwischen heute und den nächsten Olympischen Spielen stehen; dieses Wechselspiel aus Hochs und Tiefs, das Meistern von Herausforderungen, das Streben nach Perfektion. Für mich ist ein prägender Abschnitt meines Lebens zu Ende gegangen, und als Nächstes folgt etwas Ruhe und Abstand vom ganzen Trubel. Danach startet ein neues Kapitel mit einem ähnlichen roten Faden, und ich kann es kaum erwarten zu erfahren, wo mich dieser schlussendlich hinbringen wird.

 

Die Ruderin Jeannine Gmelin aus Uster tritt an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro für die Schweiz an. Für annabelle.ch führt die 26-Jährige Tagebuch und erzählt uns von ihren Erlebnissen im Athletes Village. Die gelernte Kauffrau aus Uster hat schon früh gemerkt, dass sich ihre Begeisterung für ihr Hobby zu einer grossen Leidenschaft entwickelt hat. Sie begann, neben ihrer Ausbildung zu trainieren, und ist heute Teil des Elitekaders des Schweizerischen Ruderverbands in Sarnen. Seit 2006 nimmt Jeannine Gmelin an Wettkämpfen teil, vor ihrer Qualifikation für die Olympischen Spiele 2016 holte sie den ersten Platz – und den Schweizer Rekord – an den Swiss Rowing Indoors in Zug. Neben ihren Beiträgen für annabelle.ch bloggt die Sportlerin auch auf ihrer Website.

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1.

Olympia Stadion – noch fast leer zu Beginn des Abends. Gegen Ende dann berstend voll mit tobendem Publikum beim Auftritt von Usain Bolt. By the way: hier hatte ich noch die Ehre, die annabelle-Chefredaktorin Silvia Binggeli persönlch kennenzulernen.

2.

Açai Bowl im Oakley Safehouse zusammen mit Michael Schmid und Markus Kessler.

3.

Zuckerhut zum Zweiten: diesmal mit Guide und zu Fuss… es war steil und an gewissen Stellen war sogar Kletterausrüstung notwendig. Ein tolles Erlebnis, vor allem in Bezug auf Überwindung

4.

Medaillen – und Diplomspiegel im Swiss Olympic Office. Stolz, dass auch mein Name darunter zu finden ist

5.

Globale Party: ausgelassene Stimmung im Maracana Stadion während der Closing Ceremony