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Wahnsinn, Witz und Wolkenbruch

Leben

Wahnsinn, Witz und Wolkenbruch

  • Text : Claudia Senn; Fotos: Joan Minder

Endlich, Motti ist zurück! In seinem zweiten «Wolkenbruch»-Roman schickt Autor Thomas Meyer seinen Helden gegen Cyber-Nazis ins Gefecht – mit messerscharfem schwarzem Humor.

Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Bestseller geschrieben. Einen beachtlichen Bestseller, der sich ganze siebzig Wochen auf der Bestsellerliste hält. Doch irgendwann geht auch dieser Wahnsinnserfolg zu Ende. Was tun Sie? Nach den Gesetzen des Marktes haben Sie nun genau zwei Möglichkeiten: Entweder Sie schreiben eine Fortsetzung nach dem gleichen Muster, denn das hat ja schon beim ersten Mal so gut geklappt. Aber Sie müssen sich beeilen, sonst haben Sie Ihre Fans bereits an den nächsten vom Feuilleton gehypten Jungautor verloren. Oder, Möglichkeit Nummer zwei, Sie schreiben etwas ganz anderes und riskieren, schneller wieder in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, als die Steuer Ihre immer spärlicher hereintröpfelnden Tantiemen auffressen kann, wenn es diesmal nicht hinhaut. Das ist die wahrscheinlichere Variante.

So gesehen lag es auf der Hand, dass früher oder später (in diesem Fall eher später) eine Fortsetzung von Thomas Meyers Buch «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» erscheinen würde. 170 000-mal hatte sich der 2012 erschienene Roman verkauft. Es war einer jener Superhits, wie sie hierzulande nur alle zehn Jahre vorkommen. Rund 300 000 Menschen schauten sich die Verfilmung von Michael Steiner im Kino an, für die ebenfalls Meyer das Drehbuch geschrieben hatte. Sie alle wollen nun dringend wissen, wie es mit dem jungen Motti Wolkenbruch weitergeht, nachdem ihn seine resolute Mame rausgeworfen hat, weil er mit einer Schickse im Bett gelandet ist, einer Nichtjüdin. Ist er mit der schönen Laura endlich zusammengekommen?

«MANCHE TATTOOS
SEHEN AUS, ALS HÄTTE
SIE IHM EIN DREIJÄHRIGER
AUF DEN HALS
GEKRAKELT – WAS DARAN
LIEGT, DASS ES TATSÄCHLICH
KINDERZEICHNUNGEN SIND»
 

Wir treffen Thomas Meyer zum Frühstück im Zürcher Restaurant Hiltl, wo er sich Grüntee und ein veganes Gipfeli bestellt. Meyer ist 45, geht aber immer noch als jung durch, was an seiner schmächtigen Figur liegt und an den feinen Gesichtszügen, die ihm etwas Altersloses verleihen. Meyer ist ein sanfter, auffallend höflicher Mann, der Wert auf gute Umgangsformen legt. Dass er jemals ausfällig werden könnte, kann man sich kaum vorstellen. Später wird er nicht ohne Bitterkeit erzählen, dass er es bedauert, in seinem Leben nicht oft genug auf den Tisch gehauen zu haben, wenn andere es verdient gehabt hätten. Zu seiner freundlichen, fast schon wohlerzogenen Ausstrahlung bilden die unzähligen Tattoos einen interessanten Kontrast. Manche sehen aus, als hätte sie ihm ein Dreijähriger auf den Hals gekrakelt – was daran liegt, dass es tatsächlich Kinderzeichnungen sind. Andere Menschen mögen über Monate evaluieren, welches Motiv sie sich stechen lassen, und in diese Entscheidung ihr gesamtes Umfeld mit einbeziehen. Es ist ja schliesslich fürs Leben. Meyer geht nachmittags mit einem Bild zum Tätowierer, das sein Sohn Levi beim Frühstück gemalt hat. «Ich bin eben so», sagt er, «wenn mich etwas überzeugt, dann mach ichs.» Bereut wird gar nichts, nicht einmal Lümpli, das Kuscheltier aus seiner Kindheit, das nun für immer auf seinem Oberschenkel prangt.

Mit derselben Nonchalance hat er sich auch an die Fortsetzung von Motti Wolkenbruch gemacht. Die Regeln des Marktes sind Thomas Meyer vollkommen gleichgültig. Eine herkömmliche Fortsetzung? «Langweilig. Und aufgewärmt.» Seine Leserinnen und Leser bekommen stattdessen einen irren Ritt durch die Weltgeschichte, eine abgefahrene Mediensatire, eine Agenten- und Liebesgeschichte, deren Humor sich niemals ins Korsett der Political Correctness zwängen lässt, kurz, etwas vollkommen Neues. «Mich hat einfach nicht interessiert, ob Motti jetzt diese Laura bekommt oder nicht.» Wo doch im neuen Buch eine viel aufregendere Geliebte auf ihn wartet, nämlich die Nazi-Spionin Charlotte von Schwarzforst, deren Name allein Motti schon erregt, weil er «nach Geschlechtsverkehr mit der rebellischen Tochter eines Adeligen in dessen weitläufigem Anwesen klingt, während der Nachmittagswind mit den Vorhängen spielt und das Schnauben einer millionenteuren Stute hereinträgt». Und dann ihr Tuches*! «Richtig knackig, mit einem leichten Spiel ins Üppige.» Aber beginnen wir von vorn.

Der arme Mordechai Wolkenbruch, genannt Motti, sitzt nun also ganz allein in einem Zürcher Hotel, verstossen von seiner Sippe, weil er den Frevel begangen hat, mit einer Schickse zu schlafen. Seine Mame hat in der jüdischen Zeitung sogar eine Todesanzeige für ihn aufgegeben. Krass! Doch kurz bevor die letzten Ersparnisse in der Hotelbar dem Trostsuff zum Opfer fallen, erscheint ein geheimnisvoller Fremder, der ihn in ein Kibbuz in der Nähe von Tel Aviv verfrachtet, zu den «Verlorenen Söhnen Israels».

Die sind allerdings alles andere als die harmlosen Orangenpflanzer, für die sie sich erst einmal ausgeben. Sondern «Die Jüdische Weltverschwörung», eine ebenso chaotische wie dilettantische Gurkentruppe von Geheimagenten. Die noch dazu pleite ist, weil gerade ihr Geldgeber, der Filmmogul «Harvey Steinwein» verhaftet wurde (aus Gründen, die viel zu peinlich sind, um sie überhaupt auszusprechen). Soweit also die Ausgangslage von Mottis Seite her.

Parallel dazu verfolgen die Leserinnen und Leser die Geschichte von ein paar übriggebliebenen Restnazis, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg in einer Alpenfestung verschanzen, wo sie sich fröhlich vermehren und dem Vierten Reich entgegenfiebern. Teuflische Erfindungen werden hier ausgebrütet, etwa der «Volksrechner» oder, noch schlimmer, das «Volksrechnerlein», das den Leuten unter dem unverfänglichen Namen Smartphone angedreht wird. Alle wollen dieses diabolische Propagandainstrument haben! Auch das Internet ist auf dem Mist der Nazis gewachsen, die sich in ihrem Reduit mit «Sieg, digital!» begrüssen und das Netz mit Hasskommentaren und immer gespenstischeren «Tiefenfälschungen» fluten.

Logisch, dass sich Nazis und «Die Jüdische Weltverschwörung» irgendwann in die Quere kommen. Motti greift in den Cyberkrieg ein und programmiert den Home-Assistenten Alexa um. Dieser empfiehlt jetzt nur noch jüdische Restaurants, jüdische Filme, jüdische Musik, jüdische Ärzte und jüdische Masseure, sodass die Menschen bald nicht mehr das Wort betrunken verwenden, sondern «schicker» und nicht mehr vögeln, sondern «schtupn» und sich in sattgeschmuste, mit jüdischen Leckereien vollgefressene Pandabären verwandeln. Was die Nazis natürlich nicht auf sich sitzen lassen können, und hier tritt nun endlich Charlotte von Schwarzforst auf den Plan …

Dies sind nur einige der unzähligen absurden Einfälle aus dem Feuerwerk, das Meyer in «Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin» auf die Synapsen seiner Leserinnen und Leser abfeuert. Es ist, als hätte er das Buch auf LSD geschrieben, aber gerade noch genügend nüchterne Gehirnzellen zur Verfügung gehabt, um nicht ganz abzuheben. Sein Humor ist pure Anarchie. Die Art, wie er Ereignisse der Weltgeschichte nach eigenem Gusto umschreibt, erinnert von ferne an «Forrest Gump» oder Jonas Jonasson und seinen «Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand». Ein herrlich abgedrehter Lesespass! Nur mit der Verfilmung dürfte es diesmal komplizierter werden. Cyber-Nazis in der Alpenfestung – wenn da die Bedenkenträger beim Schweizer Fernsehen mal keine Schnappatmung bekommen!

«ES IST ÜBERRASCHEND
ZU ERKENNEN, WIE VIEL
SCHMERZ HINTER
MEYERS ATEMBERAUBEND
KOMISCHEM BUCH STECKT»
 

Natürlich steht dieses Buch in vielerlei Hinsicht weit ausserhalb des Erlaubten. Es wimmelt nur so von bizarr überzeichneten Juden-Klischees und zweifelhaften Nazi-Witzen. In einer Zeit, in der schon harmlose Bemerkungen groteske Empörungsstürme auslösen, ist das reichlich wagemutig. «Die Leute regen sich heute viel zu schnell auf», sagt Meyer. «Früher hatten sie noch Hunger, heute sind sie einfach beleidigt.» Mit einem Shitstorm aus der orthodoxen Gemeinde rechnet er dennoch nicht. «Die Orthodoxen haben anderes zu tun, als meine Bücher zu lesen.» Ausserdem könne man doch nicht vom Grad der Religiosität ableiten, wie lustig jemand sei. «Es gibt sehr humorvolle Orthodoxe – die auch das erste Buch und den Film gut fanden.» Fest steht, dass er sein Buch niemals so hätte schreiben können, wenn er katholisch, reformiert oder praktizierender Hindu wäre. Meyer darf das nur, weil er Jude ist. Mit diebischer Freude führt er ein antisemitisches Klischee nach dem anderen ad absurdum, wie ein kleiner Junge in Gummistiefeln, der begeistert in Matschpfützen springt. Immer mitten hinein. «Weil ich eine jüdische Mutter habe, darf ich auf diesen Klischees rumreiten, so lang und so breit, wie es mir passt», sagt er beinahe trotzig. «Schliesslich musste ich mir diese Sprüche ein Leben lang anhören.»

Es gehört zu den Überraschungen dieser Begegnung, zu erkennen, wie viel Schmerz hinter Meyers atemberaubend komischem Buch steckt. Eigentlich hat er es aus Notwehr geschrieben. Es ist seine Art zurückzuschlagen gegen dumpfe antisemitische Vorurteile, die ihn verfolgen wie ein unausrottbares Virus. Wo immer er hinkommt, sind sie schon da.

Nichtjuden mögen sich vielleicht einbilden, es gebe in der Schweiz keinen nennenswerten Antisemitismus. Schliesslich wird hierzulande selten ein Rabbi verprügelt oder ein jüdischer Friedhof geschändet. Doch wenn man Thomas Meyer zuhört, begreift man, wie nervtötend die immer gleichen Sprüche für ihn sind. «Ah, du bist Jude? Hätte ich mir denken können, bei der Nase!» gehört noch zu den harmloseren Bemerkungen. Richtig schlimm werde es beim Thema Geld. «Ich kenne unzählige Leute, die Juden pauschal für geldgierig halten, obwohl ich ihnen etwas völlig anderes vorlebe», so Meyer, der in seinem Leben mehr als einmal knapp am Bankrott vorbeigeschrammt ist. Sagt er: «Ihr braucht doch nur mich anzuschauen, um zu wissen, dass das nicht stimmt», sagen sie: «Wieso, du bist doch das lebende Beispiel, als Erfolgsautor.» Übernimmt er in der Beiz die Rechnung, heisst es: «Jetzt bist du aber ein schlechter Jude!» Erklärt er, warum er solche Sprüche verletzend findet, gilt er als humorlos und verkniffen und wird belehrt, er mache sich in «Wolkenbruch» ja auch über Juden lustig, also dürften andere das ebenso. «Das kotzt mich so an. Fuck them!» Meyers Verzweiflung über so viel Ignoranz ist nun beinahe physisch im Raum spürbar.

Seine Mutter hat ihm neulich eröffnet, sie wolle dereinst in ein jüdisches Altersheim. Wenigstens am Ende ihres Lebens möchte sie nicht mehr jederzeit mit einer antisemitischen Bemerkung rechnen müssen. «Leider verstehe ich nur allzu gut, was sie damit meint», sagt Meyer. Mehrmals schon hat er sich überlegt, nach Israel auszuwandern, «weil ich dort nicht von Antisemiten umgeben wäre, die behaupten, keine zu sein». Er tut es natürlich nicht, weil er ein Kind hat und sich sein gesamtes Leben in der Schweiz abspielt, doch er weiss nicht, wohin mit seinen Gefühlen, «mit dieser Furcht, die in dir aufkommt, wenn du mit Nichtjuden zu tun hast: Dass du dich früher oder später wieder mit so einem unqualifizierten, rassistischen Dreck auseinandersetzen musst». Dabei ist Thomas Meyer nicht einmal praktizierender Jude. Er hält keinen Sabbat. Er war in seinem Leben nur wenige Male in einer Synagoge. Er trennt nicht das Milchige vom Fleischigen. Er hatte keine Bar Mizwa. Religionen sind für ihn «prinzipiell seltsam». Er sagt, er finde darin nichts, was er nicht auch in sich selbst finden könne.

Und so greift Meyer zur einzigen Waffe, die ihm noch bleibt gegen Dummheit und Ignoranz: zum rasiermesserscharfen Schwert des schwarzen Humors. Er lässt seinen Helden die jüdische Weltverschwörung anzetteln, die allerdings völlig anders aussieht, als sich das die Schwachköpfe an ihren Stammtischen immer vorstellen. Er lässt Motti Geld wie Heu verdienen, indem er auf Instagram getragene Unterhosen eines gut aussehenden Orangenbauern verhökert. Er lässt ihn die Nazis mit leckerem Hummus in die Knie zwingen, mit elaborierten Liebeskünsten und mit ganz viel Chuzpe. In diesem Sinne, Masel tov, Motti! Mögen dir weitere siebzig Wochen auf der Bestsellerliste beschieden sein. Verdient hättest dus.

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Bereut wird gar nichts: Meyers Humor ist pure Anarchie