Die Verweigerung des Handschlags
- Text: Helene Acherli; Foto: iStock / webphotographeer
annabelle-Redaktorin Helene Aecherli darüber, wie es ist, wenn einem der Handschlag verweigert wird.
An der Sekundarschule Therwil BL verweigern zwei muslimische Schüler aus religiösen Gründen ihrer Lehrerin den Handschlag. Die Schulleitung gibt ihnen recht und schliesst mit den beiden Buben – wohl im Namen der Religionsfreiheit – eine Vereinbarung, die es ihnen erlaubt, Lehrerinnen fortan die Hand nicht zu schütteln. Seither gehen die Wogen hoch. Die Schweiz hat ihr «Handshake-Gate».
Die Diskussionen gehen von «Ach, ist doch alles pubertäres Zeugs», «Ich hätte die Schweisshand meiner Lehrerin damals auch nicht schütteln wollen» bis zu «Kann man sich nicht einfach auf ein kollektives Nichthändeschütteln einigen?», «Trump schüttelt ja auch keinem die Hand», «Das ist typisch westliche Verlogenheit. Lasst doch den Islam endlich in Ruhe!». Angefeindet oder als islamophob bezeichnet werden hingegen schnell mal jene, die darauf hinweisen, dass ein verweigerter Handschlag Ausdruck einer fundamentalistischen Haltung ist und Zeichen einer beginnenden Radikalisierung sein kann, und die grundsätzlich vor religiös begründeten Ausnahmeregelungen an Schulen warnen. «Das ist islamophob» ist übrigens auch eines der Lieblingsgegenargumente islamischer Fundamentalisten, da es jede Kritik, jede Diskussion im Keim erstickt – womit der gewünschte Effekt erzielt ist. Nicht nur hierzulande, notabene, sondern auch in Ländern der islamischen Welt selbst.
Aber zurück zum Handschlag, oder besser, zur Unterlassung desselben. Eine Frage ist nämlich in der ganzen Debatte bisher unerforscht geblieben: Wie ist es eigentlich, wenn einem etwas im Grunde so Banales wie der Handschlag verweigert wird? Ich machte diese einschlägige Erfahrung vor gut einem Jahr am Sitz des Uno-Menschenrechtsrats in Genf, als ich eine saudische Aktivistin zum Interview traf. An ihrer Seite befand sich ein ebenfalls saudischer Menschenrechtsaktivist, wohnhaft in Berlin, der als ihr Übersetzter amtete. Ich begrüsste meine Interviewpartnerin herzlich, sie drückte meine Hand, reflexartig reichte ich die Hand danach dem Übersetzer. Der aber hielt seine Rechte mit einer ausweichenden Bewegung zurück, worauf ich die meine verlegen wieder an den Körper heranzog. Dies spielte sich in Bruchteilen von Sekunden ab, von den Umstehenden hatte es wohl kaum jemand bemerkt.
Doch löste es in mir zwei Reaktionen aus: 1. Ich schämte mich zutiefst. Wie konnte mir bloss so ein Fauxpas passieren? Denn nach all den Reisen und Recherchen in «the Region» weiss ich ja eigentlich, wie es geht. Ich halte meine Hand bei der Begrüssung eines mir noch unbekannten Mannes stets zurück und warte ab, wie er die Kontaktaufnahme handhabt. Umgekehrt schärfe ich einem männlichen Begleiter ein, in den meisten Fällen einem kulturreligiösen Schweizer, bei der Begrüssung einer Frau nicht proaktiv handlich zu werden, sondern ihr die Initiative zu überlassen. In sieben von zehn Fällen ist dann ein herzliches Händeschütteln die Folge, egal ob im Jemen, in Ägypten, Marokko oder Oman. Diskussionen gibt es einzig über den Druck des Handschlags (doch das erfuhr ich erst über Umwege): Ein kräftiger Druck signalisiert Dominanz, und das gilt als unhöflich. Also achte ich darauf, meinen Händedruck stets angemessen schlaff zu halten. 2. Ich wurde wütend. Ich dachte: «Du unhöflicher, arroganter Kerl! Ich bin mir in ‘deiner‘ Region der ganzen Palette gesellschaftlicher Gepflogenheiten überbewusst, und du verweigerst mir hier, auf meiner Scholle, die für uns hier grundlegendste, symbolträchtigste Geste der Höflichkeit?» Ich weiss, meine Reaktion mag naiv gewesen sein (ich mache was, also erwarte ich dasselbe von dir, und das bitte, ohne dass wir je ein Wort miteinander ausgetauscht hätten). Aber was mich brüskierte, war diese Asymmetrie der Respektausübung. So empfand ich es auf jeden Fall.
Aber ich sagte nichts. Lächelte bloss höflich. Nachträglich ärgerte ich mich darüber, dass ich geschwiegen habe. Wäre ich souverän gewesen, hätte ich vielleicht gestutzt oder die Stirn gerunzelt oder ihm sogar mitgeteilt, was seine Unterlassungshandlung bei mir auslöste. Vielleicht war er sich dessen nicht bewusst gewesen, vielleicht hätte er nur gleichgültig mit den Schultern gezuckt. Vielleicht aber hätten wir später darüber geredet. Darüber, was mein Unbehagen ist und was seines. Was meine Haltung ist und welche die seine. Dass ich alltägliche Gesten, wie gerade den Handschlag, als eine Art gesellschaftlichen Kitt sehe, als eine Form der Basiskommunikation, die über jeglicher religiöser Orientierung stehen sollte. Kann sein, dass er auf sein Recht auf Selbstbestimmung gepocht hätte. Aber immerhin: Wir hätten unsere Standpunkte formuliert. Und am Schluss vielleicht entspannt Tee getrunken. Ich hoffe, dass ich das nächste Mal cool genug sein werde, diese Debatte anzustossen.
Vielleicht hat das aktuelle «Handshake-Gate» letztendlich auch etwas Gutes. Denn es fordert uns heraus, diese Debatte führen zu lernen. Lernen, uns nicht vom Killerargument «islamophob» oder von postkolonialistischen Selbstgeisselungen blockieren zu lassen («Wir Westler haben den Osten jahrhundertelang unterdrückt. Kein Wunder, wollen die uns nun die Hand nicht reichen»), sondern uns und unser Gegenüber ehrlich in diese Auseinandersetzung einzubinden. Sachlich, aber furchtlos. Öffentlich wie privat. Damit lassen sich fundamentalistische Strömungen zwar nicht verhindern, aber kontern. Und wir unterstützen damit letztendlich auch jene Kräfte in islamischen Gesellschaften, die seit Jahrzehnten gegen den zunehmenden Fundamentalismus in ihren Reihen ankämpfen.