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Der verdeckte Samenspender

Der verdeckte Samenspender

  • Text: Nadine Chaignat-Hofer, Illustration: Andrew Rae

Mark (45) zeugt Kinder auf Bestellung. Sperma aus dem Döschen oder per Sex gibt es bei ihm für 500 Franken. Wieso macht er das? Und wie gross muss die Not der Frauen sein, die sich auf einen so dubiosen Deal einlassen?

Sein Einstieg in die Fruchtbarkeitsbranche beginnt beim Selecta-Automaten während der Arbeit. In einer Pause fragt ihn eine Arbeitskollegin nach seiner Telefonnummer. Er denkt, sie will was von ihm, und reibt sich schon die Hände, als sie sich mit ihm verabredet. Doch zum Date taucht die Kollegin mit ihrer Partnerin auf. Sie seien lesbisch, erklären sie, wollten eine Familie gründen und meinten, er wäre noch sympathisch als Samenspender. «Ich hatte den Kiefer da unten!», erinnert sich Mark (alle Namen der Betroffenen geändert). Gespendet hat er nicht. «Die beiden standen mir zu nahe.» Doch die Anfrage hat ihn neugierig gemacht. Er fängt an zu recherchieren. Nur Monate später beugt er sich zum ersten Mal in einer Kinderwunschklinik in der Ostschweiz über ein paar Pornomagazine. Insgesamt 3000 Franken gibt es für viermal Sperma in der Dose – und einen umfassenden Gesundheitscheck.

Neben diesen offiziellen Samenbanken existiert jedoch, auch das findet Mark bald heraus, ein interessanter Graumarkt. Umschlagplatz: Internet. Dort bieten Männer ihr Sperma privat an, inoffiziell. Wer googlet, entdeckt die einschlägigen Foren schnell. Mark beschränkt sich bei seiner Annonce aufs Wesentliche: «Ich bin Schweizer, 32 Jahre alt, 189 cm gross, schlank, sehr gepflegt und sauber. Biete aktuellen HIV-Test, Spermiogramm, Hepatitis-Test. Ich mag Kultur, Sport, Reisen, andere Kulturen.»

Sieben Jahre, dreissig Kinder

Inzwischen ist Mark seit sieben Jahren als privater Samenspender im Geschäft, hat sich mit rund achtzig Interessentinnen getroffen, mit etwa vierzig wurde es konkret. Mehr als dreissig Kinder hat er inzwischen, von denen er weiss, dazu wohl noch mehrere, von denen er nichts weiss.

Gekleidet ist Mark unauffällig. Ein Hemd, darüber ein grauer Pullover, um den Hals eine Muschelkette. Er sitzt im Restaurant eines Hotels an der Aare – «hier habe ich auch schon Kinder gezeugt» – und trinkt ein Cola Zero. Mark sieht älter aus als 32 Jahre. Er gibt zu, bereits 45 zu sein. Die im Inserat angegebene Grösse stimme aber, aktuell wiege er neunzig Kilo, «zwei zu viel».

Mark arbeitet als Disponent in einem grossen Logistikunternehmen. Gelernt hat er Kondukteur, später Lagerist. Beim Militär war er ein Querulant. «Ich brauche meine Freiheiten. Ich kann mich schlecht anpassen.» Marks Kundinnen sind lesbische Paare, Ehefrauen mit unfruchtbaren Männern und – immer häufiger – alleinstehende Frauen, beruflich erfolgreich, meist um die vierzig.

Julia Pawlicz ist Künstlerin. Sie wusste schon immer, dass sie einmal Kinder haben will. Bloss, der geeignete Mann liess auf sich warten. Dabei fehlte es nicht an potenziellen Vätern. Julia war schon mal verheiratet, hatte einige Beziehungen, doch keine, «in der man gemeinsam ein Kind in die Welt setzt». Die biologische Uhr tickte, «das hat mich wahnsinnig gemacht». Doch einen Mann suchen, nur um sich den Kinderwunsch zu erfüllen, wollte sie nicht. Eines Tages beschloss Julia: «Kinder kriegen und eine tolle Beziehung führen sind zwei verschiedene Sachen.»

Zwei Monate hat ihre Suche nach einem geeigneten Erzeuger gedauert. «Ich ging das sehr projektmässig an. Das ist meine Art», sagt Julia Pawlicz. Getroffen hat sie Mark am Hauptbahnhof in Zürich an einem kalten Wintermorgen. Ihr erster Gedanke, als er vor ihr steht: «Ah, der sieht ja total gut aus.» Das war ihr wichtig. «Ich dachte, wenn ich ihn sexuell anziehend finde, dann wird das klappen.» Sie gehen zusammen in ein Café und besprechen ihr «Projekt». «Das war überhaupt nicht emotional, eher geschäftlich.» Heute, mit 37 Jahren, ist sie Mutter einer einjährigen Tochter. Ohne Beziehung. Ohne offiziellen Kindsvater.

Künstliche Befruchtung in der Schweiz

Um Marks «Geschäftsmodell» zu verstehen, muss man wissen: In der Schweiz erlaubt der Gesetzgeber als Methode der künstlichen Befruchtung die sogenannte heterologe Insemination. Dabei wird der Samen eines Fremdspenders zum Zeitpunkt des Eisprungs in die Gebärmutter einer Frau eingespritzt. Peter Fehr, Arzt in der Kinderwunschklinik OVA-IVF Clinic in Zürich, schätzt, dass schweizweit jährlich 1000 bis 2000 solcher Inseminationen durchgeführt werden. In seiner Klinik kostet jeder Versuch 800 Franken.

Fremdsamenspenden sind in der Schweiz jedoch nur für verheiratete Paare erlaubt. Zwar empfahl die Nationale Ethikkommission Mitte Februar, im Sinn der Nichtdiskriminierung die Spermienspende auch für unverheiratete Paare zuzulassen. Ebenso sprach sich eine Mehrheit der Kommission für die Zulassung für alleinstehende Frauen und gleichgeschlechtliche Paare aus. Ob und wann dieser Vorschlag ins Parlament kommt, ist nicht absehbar.

Frauen wie Julia Pawlicz bliebe theoretisch also nur der Gang ins Ausland. Dort bezahlen sie für eine Fremdsamenspende mindestens 1200 Franken – Reisespesen exklusive. Wer bei der Auswahl des Erzeugers mitreden möchte, bezahlt 600 Franken zusätzlich. Peter Fehr von der Kinderwunschklinik in Zürich vermittelt solche Kundinnen – drei bis vier pro Monat – an eine Partnerklinik in Spanien.

Bei Mark läuft es wesentlich unkomplizierter. Gratis ist sein Sperma zwar nicht, aber für 500 Franken weiss man – oder meint zu wissen–, was man kriegt: Stattliche Figur, umgänglicher Typ, zwei abgeschlossene Berufsausbildungen. Er findet: «Intelligent muss man schon sein, sonst darf man nicht spenden.» Zudem lässt er sich regelmässig auf Krankheiten untersuchen, kann alle wichtigen Tests und Papiere vorweisen. Sein abgegriffenes Spermiogramm – «halt schon relativ viel gebraucht» – bestätigt seine Zeugungsfähigkeit nach WHO-Standards: «Normozoospermie, den Referenzwerten entsprechende Ejakulatparameter.» Unterschrieben von der verantwortlichen Laborantin.

Der Robin Hood der Kinderlosen

Trotzdem wollen manche Kundinnen für sein Sperma nichts bezahlen oder finden die 500 Franken zu teuer. «Wer das nicht vermag, vermag man auch kein Kind», sagt er. «Gratis würde ich das nicht machen. Aber reich wird man damit auch nicht.» Mark sieht sich als eine Art Robin Hood der Kinderlosen. Einer, der den Kinderwunschkliniken ein wenig ins Handwerk pfuscht. «Die Reproduktionsmedizin ist eine riesige Geldmacherei. Die haben ein Monopol und verdienen sich eine goldene Nase.»

Antonia Lerch (35) sagt: «Das E-Mail an Mark war eine spontane Aktion.» Die gelernte Köchin ist verheiratet mit Kurt (43) und hatte zum Zeitpunkt, als sie Mark kontaktierte, bereits vier gescheiterte Inseminationen in der Kinderwunschklinik Basel hinter sich; Hormonbehandlung, Spermienaufbereitung, Samenübertragung – hoffen, bangen, trauern: das ganze Programm. Einen weiteren Versuch, doch noch von ihrem Mann schwanger zu werden, ertrug Antonia nicht. «Wir fühlten uns wie Masthühner.» An ihr erstes Treffen mit Mark erinnern sich Antonia und Kurt Lerch mit gemischten Gefühlen. «Es war schon eine komische Situation», meint Antonia. Aber Mark war herzlich, hat von sich erzählt, Bilder von den Kindern gezeigt, die er gezeugt hat. «Er war sehr sensibel. Irgendwie hatten wir das Gefühl, da ist eine Verbindung.» Zudem erfüllte Mark eine wichtige Voraussetzung: Er sieht Kurt Lerch sehr ähnlich. «Mark war einfach ein Glücksfall.»

Das erste Treffen findet immer an einem öffentlichen Ort statt. Meist in einem Restaurant. Man stellt sich vor, klärt die Bedingungen, schaut, ob sich aus dem Kontakt mehr ergeben könnte. Eine halbe Stunde, länger dauert so ein Erstgespräch selten. Einige Frauen machen danach einen Rückzieher, bei anderen lehnt Mark ab. «Ich spende nicht aufs Geratewohl», sagt er. So will er wissen, wie und wo das Kind aufwachsen soll, ob genügend Geld da ist, ob man sich überlegt hat, wie es nach dem Mutterschaftsurlaub beruflich weitergehen soll. Auch das Körperliche spielt eine Rolle. Dicken Frauen spendet er nicht. Aus Prinzip. «Ich bin nicht unbedingt der Schönste, aber ich bin eitel.»

Aktuell sind vier Frauen schwanger von Mark. Sein jüngstes Kind, Noëlle, ist soeben zur Welt gekommen. Die Mutter schickte ihm ein E-Mail mit dem Foto des Neugeborenen. Akribisch hat Mark auf einer externen Festplatte die Daten seiner Kinder gespeichert: Alter, Geburtstag, Telefonnummer, E-Mail-Adresse. Er öffnet das Laufwerk und zeigt eine lange Liste mit Ordnern. Alles Vornamen, alphabetisch geordnet. Die meisten Kinder leben in der Schweiz, einige in Deutschland. Einmal Zwillinge: Italiener. Ein Mädchen aus Österreich. Eines aus Israel. Alle gesund. «Die Kinder», sagt Mark, «sind relativ gross. Viele sind blond.» Er öffnet Noëlles frisch angelegte Datei. «En rächte Fäger», sagt er, «die hat mehr Haare als ich. Sie kommt eher nach der Mutter.»

Mark möchte nur wenig Kontakt zu den Kindern

Ab und zu mailen ihm die Mütter Fotos, Briefe oder Zeichnungen. Meist zu Geburtstagen oder zu Weihnachten. Antonia Lerch hat sich anfangs nicht gemeldet. «Wir wollten nicht lästig sein. Schliesslich hatte er klipp und klar erklärt, dass er nichts vom Kind wissen möchte. Das haben wir akzeptiert.» Erst als Mark sich von sich aus gemeldet hatte, schickten sie ihm ein Foto. Melina ist inzwischen vier Jahre alt, schläft in einem weissen Prinzessinnenbett mit rosa Vorhängen und kommt im Sommer in den Kindergarten. Mia Pawlicz, Melinas Halbschwester, wohnt mit ihrer Mutter Julia in Zürich in einer schönen, subventionierten Dreizimmerwohnung. Mit netten Nachbarn und der Krippe in der Nähe.

Frauen, die sich auf einen privaten Samenspender einlassen, geben den Erzeuger des Kindes im Geburtsformular nicht an. Wird ein Neugeborenes ohne Vater registriert, schalten sich die Behörden ein. Das Kind erhält einen Beistand, der die Mutter während zweier Jahre regelmässig besucht. Seine Aufgabe: Herausfinden, wer der Vater ist. «Bisher haben alle Frauen dichtgehalten», sagt Mark. Julia Pawlicz erzählte der Vormundschaftsbehörde, es sei bei einem One Night Stand passiert. «Ich werde Mark nie verraten»,sagt sie, «schliesslich bin ich ihm extrem dankbar.» Der Behörde sind dann die Hände gebunden. Patrick Fassbind, Präsident der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Bern, erklärt: «Das Kind hat ein verfassungsmässiges Recht zu wissen, woher es stammt. Aber wenn eine Mutter nichts sagen will, hat es kaum eine Chance.»

Nach zwei Jahren gilt ein Kind offiziell als vaterlos. Die Bemühungen des Amtes werden eingestellt. Trotzdem sichert sich Mark ab. Seinen richtigen Namen gibt er nur sehr selten preis. Denn obwohl weder er noch die Frauen sich strafbar machen, würde Mark – anders als offizielle Samenspender – im Fall einer Vaterschaftsklage zur Kasse gebeten. Rechtlich hätten seine Kinder bis zu ihrer Volljährigkeit oder bis zum Abschluss der Erstausbildung Anspruch auf Unterhaltszahlungen. Rückwirkend auf das letzte Jahr. Im Kanton Bern legen das Gericht und die KESB die Höhe dieses Betrags anhand der Einkommensverhältnisse fest. Als Faustregel gilt: etwa 17 Prozent des Nettoeinkommens.

Bei über dreissig Kindern könnte das teuer werden für Mark. Verträge mit den Frauen macht er aber nicht – so ein Kontrakt hätte vor Gericht ohnehin keinen Bestand, da er gegen zwingendes Recht verstiesse. Angst, dass eine Frau entgegen ihrer Abmachung plötzlich Unterhaltszahlungen fordert, hat Mark nicht. «Ich wurde nie verarscht», sagt er, «und wenn ich wollte, könnte ich den Spiess ja auch umdrehen. Sagen, ich möchte das Kind öfter sehen. Dann hätte die Frau die Zwei am Rücken.»

Hat die Frau ihre fruchtbaren Tage, ist Mark bereit

Der Spendeakt an sich ist eine schnelle Sache. Hat eine Frau ihre fruchtbaren Tage, ist Mark bereit. Die meisten Frauen wollen keinen Sex mit ihm, sondern das frische Ejakulat in einem Becher geliefert bekommen. Die Übergabe findet dann an logistisch praktischen Orten statt. «Der Fressbalken in Würenlos ist so ein Treffpunkt. Dort habe ich schon manches Kind gezeugt», sagt Mark. Auf die Toilette, onanieren, Becher übergeben, Geld entgegennehmen. «Wie Drogendealer. Das merkt niemand.»

Beim Ehepaar Lerch hat es mit Marks Sperma gleich beim ersten Mal eingeschlagen. Mark kam zu ihnen nachhause, ging aufs WC, übergab den Becher und verabschiedete sich wieder. Kurt hat das Sperma dann seiner Frau mit der Spritze eingeführt. «Da muss der Kinderwunsch schon gross sein, um das machen zu können», gibt Antonia zu. Das schlechte Gewissen kam danach – und mit ihm die Angst, sich über Marks Sperma mit HIV infiziert zu haben. «Ich dachte immer, wir haben etwas gemacht, das ethisch nicht korrekt ist. Und jetzt werden wir dafür bestraft.»

Die Angst war nicht unbegründet – jedenfalls nicht grundsätzlich. Denn egal wie angeblich aktuell die von einem privaten Spender vorgelegten Gesundheitspapiere sind, wer weiss schon mit Garantie, ob er sich nicht vielleicht zwischenzeitlich ein HI-Virus oder eine andere übertragbare Krankheit eingefangen hat?

Antonia Lerch hatte Glück. Kurz nachdem sie schwanger geworden war, machte sie einen Aidstest. Er war negativ. Sie zweifelt seither nicht mehr an der Richtigkeit ihrer Entscheidung. «Wir haben ein tolles, gesundes Kind. Wir sind dankbar, dass wir das so machen konnten.»

Manche von Marks Kundinnen bevorzugen als Spendeakt aber auch explizit Geschlechtsverkehr. Doch nur mit einer einzigen hatte er leidenschaftlichen Sex, der unter «Spenden» lief. Sonst war es «zackzack und fertig», wie es Mark formuliert. Am schlimmsten seien die Ehefrauen, meint er. Die wollen fast immer natürlich, weil sie glauben, das sei effizienter. «Dabei geht es mit der Spritze genauso gut. Wer nicht schwanger wird, wird eben nicht schwanger.»

«Sex ist einfach effektiver»

Auch Julia Pawlicz bevorzugte die «direkte Methode». «Ich habe im Vorfeld viel darüber gelesen», sagt sie, «und Sex ist einfach effektiver.» Als sie ihre fruchtbaren Tage hatte, schrieb sie Mark in einem E-Mail: «Habe auf den kommenden Freitag, den 22., gebucht, und zwar im ‹Roten Turm›, da der ‹Bären› leider schon ausgebucht war.» Am Abend des 22. wartete sie im Hotelzimmer auf ihn. «Man versucht, das Beste daraus zu machen. Ich war gehemmt, er weniger.» Sie hatte auch gelesen, dass es wichtig ist, nach dem Sex das Becken hochzulegen. Das erhöhe die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft. «Danach sind wir nebeneinandergelegen. Völlig unromantisch, aber total selbstverständlich.» Tage später machte Julia einen Schwangerschaftstest. Im E-Mail an Mark schreibt sie: «Gute News! Hab heute einen Test gemacht. – positiv :-)!!!!!!!! Wow!!!! Also hoffe ich, dass jetzt alles gut weitergeht, und danke dir riesig!»

Mit der Geburt von Mia ging für Julia Pawlicz ein Traum in Erfüllung. Anfangs hatte sie Angst, wie sie das alles allein hinkriegen sollte. Heute sagt sie: «Wir kommen total gut klar, meine Tochter und ich.» Mia ist vier Tage pro Woche in der Krippe, Julia arbeitet siebzig Prozent. Dass sie ein Kind von einem Samenspender hat, hat sie offen kommuniziert. Wird sie gefragt, wer der Vater sei, sagt sie: «Jemand, der mir geholfen hat.» Ihre Eltern und Freundinnen haben sie beim ganzen Prozess vorbehaltlos unterstützt. Doch es gab auch andere Reaktionen. «Leute aus der scheinbar so offenen alternativen Szene haben unerwartet extrem konservativ darauf reagiert», sagt Julia. Viele waren empört, haben ihr vorgeworfen, sie hätte egoistisch gehandelt. «Aber Paare, die Kinder kriegen, sind genauso egoistisch. Das ist doch normal.» Dass sie ihre Tochter über ihre Entstehung aufklären wird, ist für Julia keine Frage. «Meine Tochter hat eine avantgardistische Geschichte. Meine Aufgabe ist es, mich damit auseinanderzusetzen und ihr zu helfen, einen guten Umgang damit zu finden.»

Dass Kurt Lerch nicht der biologische Vater von Melina ist, spielt für die Lerchs im Alltag keine Rolle. «Wir denken nicht daran. Wir sind eine Familie, wie wir sie uns gewünscht haben», sagt Antonia. Und ihr Mann sei stolz wie «Nachbars Lumpi.» Doch hätten die beiden nicht eine derart stabile Beziehung, die Geschichte hätte durchaus Zerreisspotenzial. Einmal, da stand Antonia in einem heftigen Streit kurz davor, Kurt an den Kopf zu werfen: «Du warst eh nicht fähig, ein Kind zu zeugen.» Heute getraut sie sich kaum, diesen Gedanken von damals auszusprechen. Offiziell ist Kurt Lerch als Vater eingetragen. Nur die engsten Familienangehörigen wissen Bescheid. «Ich weiss noch, wie meine Mutter zu mir sagte: Antonia, ich weiss, du wünschst dir das, ich weiss, du bist ein tolles Mami. Es chunnt guet.» Inzwischen haben Antonia und Kurt wieder Kontakt mit Mark aufgenommen. Doch ob Melina ein Geschwisterchen kriegt, ist nicht sicher. Antonia ist hin- und hergerissen. «Ich habe Angst. Beim letzten Mal hat alles so super geklappt. Vielleicht muss man einfach zufrieden sein, dass man ein gesundes Kind hat.»

Mark selbst hat keine Kinder, also keine offiziellen. Seine Beziehungen dauerten nie länger als ein Jahr. Seine Freundinnen waren immer Karrierefrauen. «Toughe Frauen», wie er sagt. Die Beziehungen scheiterten, so glaubt er, an seinem mangelnden Ehrgeiz. «Ich stecke mir keine Ziele. Wenn ich Strassenwischer bin, bin ich Strassenwischer. Das ist mir egal. Gewisse Frauen haben ein Problem, wenn sie einen Mann präsentieren müssen, der ein ‹normaler Fritz› ist.» Zweien seiner Ex-Freundinnen hatte er von seinem Spenderdasein erzählt. Sie fanden, das sei seine Sache. Trotzdem: War er liiert, legte er seine Aktivitäten auf Eis.

Die Kinderliste liegt mit einem Brief im Safe bereit

Anfangs spendete Mark total anonym, hat, sobald die Frau schwanger war, ihre E-Mail-Adresse gelöscht. Inzwischen hält er den Kontakt mit den Müttern aufrecht. Gänzlich von seinen Spendekindern distanzieren will er sich nicht, obwohl er gegenüber den Müttern betont, dass er nicht an einer Vaterschaft interessiert sei, und Sätze sagt wie: «Ich empfinde für mein Nachbarskind mehr als für ein Kind von mir.» Kontakt zu haben, sei jedoch besser für die eigene Psyche, meint er. «Es ist vielleicht gut, nicht nur für das Kind, sondern auch für mich, es dann irgendwann einmal zu sehen.» Für den Fall, dass es ihn «dann einmal» nicht mehr geben sollte, hat er die Kinderliste zusammen mit einem Brief in einem Safe hinterlegt.

Julia Pawlicz ruft er regelmässig an und erkundigt sich, wie es Mia geht. «Gebraucht werden spielt für Mark eine grosse Rolle», glaubt Julia. «Indem er all diesen Frauen helfen kann, erlangt er eine gewisse Wichtigkeit.»

In zwölf Jahren sind die ersten seiner Spendekinder volljährig. Dann dürfen sie ihn kennen lernen. So hat Mark das mit den Frauen vereinbart. Schon jetzt malt er sich aus, dass er sich dann um zwei Uhr in einem Café verabreden wird, stellt sich vor, wie es sein wird, wenn «ein Halbschlauer daherkommt, der dir gar nicht passt», oder wenn ihn die Kinder löchern und fragen, warum er das getan hat. Möglich, dass er dann sagen wird: «Weil ich ein gutes Gefühl dabei hatte. Und vielleicht, weil ich auch gern Kinder gehabt hätte. Und weil ich dachte, dass es etwas Sinnvolles ist, Leben zu schenken. Wenn ich es nicht getan hätte, wärst du jetzt nicht da.»