Auf dem Fixie-Bike saust der Berner – ohne Bremse, ohne Schaltung – steile Strassen hinunter oder zum Spaghettiessen nach Mailand. Das ist seine Freiheit.
Wer verstehen will, was es mit dem Kult um die Fixie-Fahrräder, diese minimalistischen Velos ohne Gangschaltung, Bremse und Leerlauf, auf sich hat, der sollte nach Bern fahren, sich im Breitenrain in das Café Vetter Herzog setzen und warten, bis Patrick Seabase angeradelt kommt. Der 30-Jährige hat sich nicht etwa verspätet, weil er vom Training kommt, nein, er ist knapp dran, weil er direkt aus Paris kommt. Von der Fashion Week. Er trägt enge Hosen, Schnauz, die Tattoos sind artig unter dem Jeanshemd versteckt. An der Show von Modedesigner Rick Owens sei er gewesen, erzählt er. Dort habe er Freunde aus der Toscana und New York getroffen, Internetbekanntschaften, die sich wie er für Mode und im Speziellen für Ledersachen interessieren. Er liebt gutes Handwerk. «Dafür bezahle ich auch gern etwas mehr. Für meine Lederjacke habe ich 2000 Franken ausgegeben, aber ich habe noch heute, elf Jahre später, Freude daran. Da ist der Preis doch amortisiert, oder?»
Das Minimalistische, das Pure – und daraus das Maximum herausholen, das reizt ihn. Auch beim Velofahren. Auf das Fixie ist er durch einen Kollegen aus den USA gekommen. Als er dessen Bike gesehen hatte, wusste er sofort: Das will ich auch. Aus Einzelteilen baute er sich sein eigenes Starrlaufvelo zusammen, das, wie der Name schon sagt, keinen Leerlauf hat, sodass die Pedalen beim Fahren ständig mitdrehen, und das nur mit vollem Gegendruck auf die Pedalen gebremst werden kann. Ein solches 1-Gang-Velo ist anstrengend zu fahren. Und die Endorphin-Ausschüttung gemäss Seabase entsprechend hoch. «Das Fixie war meine Einstiegsdroge», sagt er, der mittlerweile auch Radquerrennen fährt. Diese werden mit normalen Velos gefahren, die bloss etwas breitere Räder haben, und führen durch knöcheltiefen Schlamm und über Hindernisse.
Fixies in Afrika und Glarus
Radquer gilt als Vorläufer des Mountainbiking und hatte seine grosse Zeit in den Sechziger- und Siebzigerjahren. «Jetzt boomt die Sportart wieder.» Seabase fährt zwar ab und zu Rennen («Ich ertappe mich dabei, kompetitiv zu sein»), aber eigentlich findet er das langweilig. Ihm geht es um etwas anderes: «Um Freiheit.» Sich spontan aufs Velo zu setzen, um in Mailand Spaghetti zu essen, «das ist geil». Mittlerweile denkt er sich eine verrückte Tour nach der andern aus: In Eritrea sauste er eine der gefährlichsten Bergstrassen Afrikas hinunter. Das Härteste, was er bislang gemacht hat? Eine 3-Pässe-Überwindung von insgesamt 300 Kilometern in gerade mal zwölf Stunden. Mit dem Fixie. Nun plant er eine Tour durch die Glarner Alpen auf steilen Trails, die eigentlich für gefederte Mountainbikes gedacht sind («Schnee? Klar, ist doch super!») Auch wenn es die ästhetischen Velos mittlerweile bis in die PKZ-Schaufenster geschafft haben: Die Fixie-Szene ist bis heute eine Subkultur geblieben.
Seabase kennt viele Fahrer von früher, aus der Partyszene. «Heute sitzen sie mit rasierten Beinen und im Microdress im Sattel.» In der Szene grassiert der Gesundheitswahn. «Aber ist es nicht super, dass sich diese Leute so sehr fürs Velofahren begeistern können?» Vielleicht könnte man sagen: Nachdem die Skater beinahe aus dem Strassenbild verschwunden sind, haben die Fixie-Biker ihre Nachfolge angetreten: Sie sind die neuen Surfer der Strasse. Sie inszenieren sich nicht nur wie diese in coolen Videos, es geht ihnen auch um dasselbe: um Freiheit, Autonomie, den geistigen Kick in der Natur. Wobei Velofahren im Gegensatz zum Surfen ein Paradoxon ist: «Du fährst durch die schönsten Landschaften», sagt Seabase, «und du gehst gleichzeitig durch die Hölle. So sehr, dass du am liebsten vom Velo steigen, unter einen Baum liegen und sofort einschlafen möchtest.»