Beat-Poet Allen Ginsberg war einer der ersten Hipster in der Geschichte. Heute sieht man oft nur die übliche Spiesserei im hippen Gewand. Doch die echten Hipster gibt es noch!
Die ersten Hipster tauchten um 1950 in den USA auf und waren Teil einer urbanen Subkultur – mit Betonung auf Kultur. Von dieser Haltung ist nicht mehr viel übrig: Ein paar Insignien des Beatnik Chic, und schon ist man heute hip. Aber es gibt sie noch, die echten Hipster.
Die Wahl der richtigen Brille kann eine folgenschwere Entscheidung sein, vor allem für Menschen zwischen zwanzig und vierzig. Das ist nicht nur eine Brille. Das ist ein Statement: ein modisches, ein ideologisches, ja ein politisches Bekenntnis. In oder out, cool oder Spiesser, Fashion-Addict oder Bieder-Billig-Modekette-Kundin. Oder Hipster.
Nachdem sich nun die ganze westliche Welt via schwarzer Nerdbrille als Teil der Hipsterbewegung ausweist, kann man sagen: Das war es, sie ist vorbei. Ein Relikt der Nullerjahre, aufgebraucht, nur noch die Verpackung übrig, das hübsche Einwickelpapier. Eine Fake-Brille, mehr Accessoire als Sehbehelf.
Ganz früher, zwischen den Vierziger- und Sechzigerjahren, hatte der Hipster noch kulturelle Wurzeln, einen künstlerischen Anspruch, eine intellektuelle Basis und Protagonisten, deren Namen und Werk man auch sechzig Jahre später noch kennt: Musiker, Künstler, Schriftsteller. Norman Mailer, Charlie Parker, Jack Kerouac, Allen Ginsberg, Dizzy Gillespie. Meist weisse Aussenseiter, die mit schwarzen Jazzmusikern rumhingen, Drogen nahmen und ihre Andersartigkeit zelebrierten, indem sie daraus einen kulturellen Mehrwert zogen, der lautete: Es muss doch irgendeinen Sinn haben, dass man anders/verrückt/nicht systemtauglich ist. Daraus muss sich doch was machen lassen. Davon und damit muss man doch irgendwie leben können.
Konnte man. Und das funktioniert eigentlich auch heute noch, wie etwa die guten Leute vom Anarcho-Satire-Magazin «Vice» mit ihrem Gespür für das elegant Gestörte und für abseitige kulturelle Phänomene alle paar Wochen beweisen. Nicht umsonst gilt das 1994 in Kanada gegründete und mittlerweile auch auf deutsch erscheinende «Vice» als Initialzündung für eine neue Hipsterei: Es dauerte einfach die übliche Zeit, welche Avantgarde immer braucht, um im Mainstream anzukommen, bis sich der extravagante Stil des Hefts als hip etablierte.
Das ist längst mehr als vollzogen; allerdings setzt «Vice» mit seiner feinen Nase für gelebtes Nerdtum, mit seinen Dos and Don’ts weiterhin Massstäbe, die reine Modehipster nicht einmal wahrnehmen. Denn diese sehen durch ihre Narrenbrillen halt vordringlich die Oberfläche. Das, was den Modehipster aus- und erkennbar macht: Die Boyversion sieht aus wie der, der früher nie das Mädchen gekriegt hat (jetzt kriegt er es!). Gesichtshaare. Dreckige Sneakers. Unfrisur. Die Girlvariante: eine schlampige, verwaschene Unsexiness, die schon wieder sexy ist, Ponyfrisuren. Pauschale Merkmale: unsichtbare soziale Herkunftsmuster, Gleichmachung durch Kleidung aus dem Secondhandshop, Möbel vom Flohmarkt, mauvefarbene Skinny Jeans, Rennvelos aus den Siebzigerjahren. Man bedient sich im ästhetischen Fundus einer Subkultur des vorigen Jahrhunderts. Politische Haltungen oder Kreativität sind eher hinderlich, denn die nötige Scheissdrauf-Attitüde macht das Leben im No-Future-Prekariat überhaupt erst erträglich. Die Verweigerung von Stil als eigener Stil: Ist das nun noch Mode oder schon wieder Kultur? Folgt das Sein nicht dem Schein? Und wer sagt, dass aus einer Fashionphase nicht ein Lebensstil werden kann?
Natürlich geht es hier auch darum, sich möglichst nicht festzulegen. Das Erwachsenwerden hinauszuzögern, wenn möglich für immer. Das Leben nicht ernst zu nehmen, weil es einen ja auch nicht für voll nimmt. Allerdings passiert es häufig, dass diese Phase durch geplante oder unvermutete Elternschaft grob unter- oder abgebrochen wird. Und das ist genau der Punkt, an welchem sich die Frage nach Lebensentwurf oder Modetorheit von selbst beantwortet. Die einen verschwinden mit ihrem Nachwuchs in den Reihenhäusern der Vorstädte. Die anderen versuchen, ihre Ideale über die Adoleszenz hinüber-und in eine familiäre Existenz hineinzuretten. Wo dann jedoch, wie man schnell feststellt, andere Regeln herrschen. Diese orientieren sich selten an den eigenen Coolnesscodes, weshalb es gilt, neue, familientauglichere zu postulieren, mit denen man trotzdem lässig aussieht. Man kann sich das bestens in Berlin-Mitte (und in anderen erwachsen gewordenen Hipster- und Bobo-Quartieren in New York, London, Wien oder Zürich) anschauen, wo hippe junge Menschen jeden Alters coole Elternschaft zelebrieren und es als pädagogische Innovation verkaufen, wenn die Kids nachts vor Müdigkeit auf den Fussabstreifern von Restaurants einschlafen. Das tut ihnen gut! Das Kind hat doch ein Recht darauf,
seine Bedürfnisse auszuleben! Die anderen sollen bitte ein wenig Rücksicht nehmen, danke schön.
Es geht auch anders, aber oft ist es am Ende nur die übliche Spiesserei in edel versecondhandelten Räumen und im hippen und hipsten Gewand. Eine fundierte kulturelle Bohème wie im New York der Fünfzigerjahre, die sich auch über die innere Notwendigkeit eines künstlerischen Ausdrucks manifestiert, ist heute schwer auszumachen. Dazu gehören allenfalls der geniale, überirdisch talentierte Musiker Ryan Adams. Oder die grossartig verschrobene Filmemacherin und Schriftstellerin Miranda July. Oder die Selfmade-Schauspielerin Chloë Sevigny. Popkollektive wie Arcade Fire, Ja, Panik, Bonaparte oder Gelatin. Man findet sie in lustigen, lokalen Kreativclubs, wie jenem rund um den Berliner Schriftsteller und Designer Rafael Horzon.
Von solchen Leuten bleibt mehr als eine Brille übrig.
Doris Knecht ist Kolumnistin, Schriftstellerin und DJ. Ihr Roman «Gruber geht» ist kürzlich bei Rowohlt Berlin erschienen. Sie lebt in Wien und im Waldviertel, Niederösterreich.