Die Stimmung in der annabelle-Redaktion an diesem Mittwochmorgen schwankte zwischen Shock and Awe: Ins Weisse Haus in Washington zieht Donald Trump – statt Hillary Clinton, wie wir erwartet und naturgemäss gehofft hatten. Was wir über diesen Paukenschlag denken? Hier eine Reihe von spontanen Kommentaren aus der Redaktion.
Silvia Binggeli, Chefredaktorin:
Und so kam es, dass ich heute Morgen aufwachte – und die Welt eine andere war. Der Champagner war kühl gestellt, um den Sieg von Hillary Clinton zu feiern, der ersten amerikanischen Präsidentin. Von allen Seiten wurde ihr ein Sieg prognostiziert, unmöglich schien es, dass ein Kandidat ins Weisse Haus einziehen wird, der eine unklare politische Agenda hat, stattdessen in den Schlagzeilen ist, weil er sexistisch denkt und spricht, mit rassistischen Äusserungen nicht zurückhält und sich so narzisstisch verhält, dass man sich fragt, ob die Politik zu einem kompletten Kindergarten verkommt. Nein, das kann nicht sein, so einer wird nicht Präsident! Und nun ist das Unmögliche passiert: Donald Trump ist der neue Präsident der Vereinigten Staaten, die unbegrenzten Möglichkeiten haben eine neue Dimension bekommen. Auf Facebook, dem Medium der schnellen Meinungsäusserung, herrscht allgemeine Fassungslosigkeit. Der wandelnde Inbegriff eines Machos hat das Rennen gemacht. Auch ich bin sprachlos. Was bedeutet das: Alles lieber als eine Frau? Hillary Clinton war mitnichten eine perfekte Kandidatin, selbst bei Feministinnen umstritten. Aber sie hat über Jahrzehnte Politik auf Spitzenebene gemacht und bewiesen, dass sie die Fähigkeit und die Intelligenz besitzt, dieses Amt anzutreten. Sie hätte sich beweisen müssen. Unbedingt! Aber ihre Wahl wäre die historische Chance gewesen, dass sich eine Frau in diesem höchsten Amt beweisen kann. Dass – soweit man das nach bisherigen Analysen abschätzen kann – auch viele Frauen gegen sie gestimmt haben, ist traurig, bedenklich, verunsichernd und frustrierend. Ebenso, dass viele Amerikaner mit Migrationshintergrund für Trump waren – insbesondere, nachdem der New Yorker Milliardär bei einem seiner gestenreichen Auftritte unverfroren gefordert hatte, man müsste eine Mauer an der mexikanischen Grenze aufbauen. Dass Donald Trump Frauen tendenziell nicht respektvoll gegenübertritt, war nach seinen zahlreichen Auftritten im Wahlkampf klar. Dass seine Respektlosigkeit so weit führt, war dann doch unfassbar. Als vor ein paar Wochen die Bänder mit Trumps schockierenden sexistischen Äusserungen publik wurden, habe ich mich dennoch kurz gefragt, wie viele Amerikaner insgeheim klatschen – den Gedanken allerdings sofort wieder verworfen. Nun beklatschen die Anhängerinnen und Anhänger ihren neuen Präsidenten laut. Und er verspricht, ein Präsident für alle zu sein, auch für die, die gegen ihn waren. Nun ja, das bringt die Präsidentschaft eines Landes mit sich. Das sollte erst gar nicht infrage gestellt werden. Dass ein Mann es heute noch trotz so krass geäussertem Sexismus ins Weisse Haus schafft, ist ein herber Rückschlag für die Frauenbewegung. Dass er mit seiner isolationistischen und narzisstischen Haltung Entscheidungen treffen wird, die die ganze Welt, uns alle betreffen, ist weit mehr als besorgniserregend. Die Hoffnung stirbt zuletzt? Es bleibt abzuwarten, wie sich Trump als Präsident verhält, welches Team er um sich aufbaut. Wie er seinen politischen Partnern und Gegnern gegenüber auftritt. In jedem Fall gilt es mehr denn je, unser eigenes Umfeld kritisch zu beobachten. Und zur Not auch lautstark dafür zu sorgen, dass wir uns nicht zurückbewegen – in eine Welt, in der Sexismus, Rassismus, Isolation und unbedachte Überheblichkeit salonfähig sind. Dieser Wahltag ist für mich auch ein Weckruf: uns immer wieder für eine offene, fortschrittliche und respektvolle Gesellschaft einzusetzen.
Jacqueline Krause-Blouin (30), stv. Chefredaktorin:
Natürlich sind wir Frauen keine politisch homogenen Geschöpfe. Ich finde trotzdem, dass man für einmal nicht in Parteien denken darf, wenn ein offen sexistischer Mensch zur Wahl für den vermeintlich wichtigsten Job der Welt steht. Wie steht es um Gleichstellung, wenn der am schlechtesten qualifizierte Mann gegen die am besten qualifizierte Frau gewinnt?
Sven Broder (40), Leitung Reportagen
Was man länger schon befürchten musste, ist jetzt quasi offiziell: Das Internet und die sozialen Netzwerke sind nicht diese Heilsbringer der Demokratie, für die man sie so gerne hält. Denn heutzutage schafft es der öffentliche Diskurs nicht einmal mehr, die absurdesten Ideen und verlogensten Politiker zu entlarven. Fakten? Uninteressant. Leitmedien? Irrelevant. Objektivität? Ansichtssache. 2016 findet in den Weiten des digitalen Netzes jeder und jede eine Masche, in der er hängen bleibt – und seine eigene Drogenküche, in der er gemeinsam mit anderen das ideologische Süppchen kochen kann, das ihm gerade schmeckt. Grauslig.
Helene Aecherli (50), Redaktorin Reportagen:
Sexismus, Rassismus, Isolationismus, die Verdrehung von Fakten sowie die Verklärung der Vergangenheit: Das sind Bausteine für Extremismus und präsidiale Allmacht. Das ist nicht neu. Dass diese toxische Mischung aber heute, da wir es nun doch wirklich längst besser wissen müssten, bei Wählerinnen und Wählern so gut ankommt, macht Angst. Die Wahl Trumps zum Präsidenten der USA ist ein ultimativer Weckruf. Denn diese toxische Mischung ist auch hier in Europa und der Schweiz im Aufwind. Der gilt es entschieden entgegenzuwirken und aufmerksam, kritisch und wachsam zu sein. Letztlich geht es um die Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir künftig leben?
Frank Heer (49), Redaktor Kultur:
Mit der Nichtwahl von Hillary Clinton zur ersten Präsidentin der Vereinigten Staaten wurde die Zuversicht zerstört, die Barack Obama vor acht Jahren gesät hatte. Und damit die Hoffnung auf mehr Respekt, Intelligenz, Toleranz, Solidarität, Versöhnung und politischen Fortschritt. Nicht nur in Amerika. Fazit: No, we can’t.
Brigitte Zaugg (62), Produzentin:
Nach 42 Jahren Wählen und Abstimmen (und dabei oft/meist Unterliegen) frustriert mich dieser Black Tuesday nicht viel mehr als – nur so als Beispiel – die Annahme der Minarett-Initiative bei uns. Trumps Wahl bestätigt einfach den globalen und traurigerweise überall demokratisch legitimierten Rechtstrend (jetzt auch auf Regierungsebene), der sich längst abgezeichnet hat. Aber wie immer gebe ich die Hoffnung nicht auf: Die Jungen werden das Ruder früher oder später wieder herumreissen. Werte wie Anstand, Menschenwürde, Solidarität und individuelle Entfaltung sind noch nicht komplett weg vom Fenster. Meine Bitte an die Millennials: Lasst euch nicht von jedem dahergelaufenen Populisten das Blaue vom Himmel versprechen. America first? Wir werden sehen! Für alle Unsicheren, Unentschlossenen, vermeintlich Zukurzgekommenen: Hört euch auf Youtube wieder mal Bertolt Brechts Kälbermarsch an:
«Hinter der Trommel her trotten die Kälber,
Das Fell für die Trommel liefern sie selber»
Kerstin Hasse (26), Junior Editor:
Kanye 2020 war nie wahrscheinlicher.
Barbara Achermann (37), Redaktorin Reportagen:
Morgengrauen im Zug von Basel nach Zürich. Anders als sonst schlief keiner, zwei Frauen hatten Tränen in den Augen, manche suchten Blickkontakt, andere starrten auf ihr Smartphone. Der Sieg von Donald Trump schockiert die Schweiz – und annabelle. Wir werden gegen seinen Rassismus anschreiben, gegen Frauenfeindlichkeit, Judenfeindlichkeit, Schwulenfeindlichkeit.
Olivia Goricanec (33), Redaktorin Beauty:
Als Französin bin ich besorgt, dass mit Marine Le Pen die nächste Radikale an die Macht kommen wird.
Evelyne Emmisberger (50), stv. Produktionsleiterin:
Hat das Volk immer recht? Leider hat sich heute und in der Vergangenheit gezeigt, dass das Volk nicht immer der beste Ratgeber ist, wenn es um seine Zukunft geht. Ich finde, wir sollten aufhören, uns beim Kauf von Fairtrade-Schokolade bereits als Gutmenschen zu fühlen, und uns stattdessen unbequemen Fragen mit Zivilcourage stellen. Zum Beispiel dieser: Stösst die Demokratie an ihre Grenzen?
Geraldine Capaul (36), Produzentin:
Was ich meinem Kind (11 Monate) nach diesem Tag mehr denn je weitergeben will: Respekt, kritisches Denken, Offenheit, Rückgrat.
Barbara Loop (33), Redaktorin Lifestyle:
Was mich am meisten bestürzt: Die Unterscheidung von Wahrheit und Lüge hat im US-Wahlkampf überhaupt keine Rolle mehr gespielt. Nie waren die Möglichkeiten so gross, Fakten auf ihre Wahrheit hin zu überprüfen, wie heute – und nie waren Fakten so bedeutungslos. Aber wie um alles in der Welt soll sich eine Gesellschaft einen, die nicht mal den Willen zur Wahrheit als gemeinsamen Nenner hat?
Miriam Suter (28), Junior Online Editor:
Gerade als Journalistin nehme ich mir jetzt erst recht vor, noch genauer hinzuschauen. Auf die Menschen, die eine solche Katastrophe ermöglichen, nicht nur in den Staaten. Auf die Ängste, von denen sie getrieben sind. Und darauf, wie ich mit meiner Arbeit dazu beitragen kann, dass sich die Wogen in Zeiten der Angst weniger schnell hochschaukeln lassen. Ob uns das gelingt? Wer weiss. Aber heute Morgen sangen die Felice Brothers in mein Ohr: «America, you give me nightmares». Und das kann nicht die Abschlusszeile der Melodie unserer Zeit sein.
Manuela Locher (38), Praktikantin Online:
Dass der unbeliebteste Präsidentschaftskandidat aller Zeiten das Rennen macht, hätte ich mir nie erträumt – bis zuletzt. Nicht nur Trumps primitive Äusserungen und seine frauenfeindlichen und rassistischen Aussagen während des Wahlkampfs haben mich schockiert – vielmehr noch, dass die Mehrheit der Amerikaner dahinter stehen, das befürworten und diese Figur zum «Leader» erklären. Ist dies das Spiegelbild unserer hasserfüllten Gesellschaft?
Viviane Stadelmann (26), stv. Onlineleitung:
Gestern habe ich zum ersten Mal eine US-Wahlnacht live mitverfolgt. Ich hatte ein diffuses Gefühl in der Magengegend: Allen rationalen Stimmen zum Trotz vermutete ich, dass Trump gewinnt. Weil die Kurzsichtigkeit der Einwohner vieler Nationen, nicht nur der USA, aktuell zu einer globalen Erblindung zu führen scheint: Entgegen jeglicher Vernunft und getrieben von Angst, werden politische Entscheide gefällt. Das diffuse Gefühl ist weg – die Angst ist nun real.