Leben
Upgrade Yourself: Frauen verdienen mehr Selbstwertgefühl
- Text: Helene Aecherli; Foto: Ornella Cacace
Frauen sind Meisterinnen darin, sich dumm, dick und hässlich zu fühlen. Woher kommt das? Und kann man Selbstwertgefühl trainieren?
Sie sah knackig aus, die Kollegin. Sie trug knallenge Lederhosen, ein Top, das ihre wohlgeformten Oberarme betonte, zudem lächelte sie entspannt und schien in und mit sich zufrieden. Sie war so schön, dass ich nicht umhin konnte, ihr Komplimente zu machen, ihr zu sagen, wie toll sie auf mich wirkte. Sie stutzte: «Findest du? Echt?» Und noch während ich eifrig nickte, erklärte sie mir, die Hosen seien bloss billiges Textil, das Top uralt und ach, zugenommen hätte sie auch.
Dieses Erlebnis liess mich so verdutzt wie neugierig zurück. Neugierig deshalb, weil ich nicht zum ersten Mal beobachtete, wie Frauen Anerkennung reflexartig abschmettern – ich selbst erwische mich auch immer wieder dabei. Komplimente werden mit einer Kaskade von Gegenargumenten verniedlicht bis zertrümmert, was paradox ist, da man sich ja eigentlich in jedem Wort der Anerkennung sonnt und sich – geben wirs zu – auch danach sehnt. Denn anerkannt zu werden, bedeutet nichts anderes als erkannt zu werden; erkannt für das, was man ist und was man tut. Wer will das nicht? Eine Frau, und gerade sie, ganz bestimmt.
Therapeuten und Coaches nicken beflissen zwischen Buchdeckeln und Artikelzeilen hervor. Frauen, das ist nichts Neues, haben in der Tat ein geringes Selbstwertgefühl, im Vergleich zu Männern gar ein massiv geringeres. Diese verkaufen sich, auch das nicht neu, in der Regel besser, ja, sie neigen sogar dazu, sich für unwiderstehlicher zu halten, als sie sind.
Laut Psychologen ist jedoch nicht nur die Ausprägung des Selbstwerts zwischen den Geschlechtern unterschiedlich, sondern auch dessen Quelle. Männer sagen: Ich bin gut, weil ich ich bin. Frauen fragen: Bin ich gut genug, obwohl ich ich bin? Während Männer ihren Selbstwert also vorwiegend aus sich selbst schöpfen, machen ihn Frauen von Rückmeldungen aus ihrem Umfeld abhängig, (auch) von Komplimenten also, die sie so gezielt parieren.
Warum tun Frauen das? Ist es Bescheidenheit? Die Angst davor, als selbstherrliche Tussi rüberzukommen, wenn man sagt «Ich weiss, ich sehe heute einfach grossartig aus»?
Gut möglich. Immerhin galt Bescheidenheit jahrhundertelang als die Tugend aller Tugenden – vor allem für Frauen, wohlgemerkt –, war Zierde und Geissel zugleich. Da liegt es nahe, dass sich die Idee, es sei unfein, sich in den Vordergrund zu spielen, hartnäckig in den Köpfen hält. Anzeichen dafür beobachte ich im Balletttraining: Gestandene Frauen, von der Ärztin über die junge Flugbegleiterin bis zu mir, allesamt gute Tänzerinnen, erstarren im Pulk in der Ecke des Saals, wenn es darum geht: «Wer fängt mit den Pirouetten an?» Fragende Blicke, verstohlene Aufforderungen: «Du, nein, du, nein, nein, du, geh du vor.» Das dauert so lange, bis die Ballettlehrerin eingreift und die Reihenfolge bestimmt.
Dennoch wird kaum eine Frau bestreiten, dass hinter diesem Bescheidenheitsreflex auch eine Portion Koketterie steckt. Man will, dass die andere nachdoppelt, will ein Kompliment zweimal hören. Manchmal scheint es mir sogar, als machten wir Frauen uns klein, damit wir von den anderen aufgebaut werden können. Es entsteht sozusagen ein emotionales Boudoir.
Aus Zwillingsstudien weiss man, dass die Ausprägung des Selbstwerts etwa zu einem Drittel genetisch bedingt ist, und zwar bei Männern wie bei Frauen. Folglich muss die Krux des unterentwickelten weiblichen Selbstwerts in den restlichen zwei Dritteln liegen, die beeinflussbar sind: in der Erziehung zum Beispiel. Hier vermuten Psychologen eine der Hauptursachen. Mädchen würden eher zu einer selbstkritischen Haltung erzogen. Wohl auch deshalb, weil man sie unbewusst noch immer für weniger durchsetzungsfähig hält als Buben. Studien zeigen sogar, dass Babys unterschiedlich eingeschätzt werden, je nachdem, ob sie blaue oder rosa Strampelanzüge tragen. Babys, egal ob Mädchen oder Bub, werden in blauen Höschen für grösser und schwerer gehalten als jene in rosa. Geschlechtsspezifische Stereotype sind also weit davon entfernt, überwunden zu sein.
In meiner eigenen Kindheit scheint man alles richtig gemacht zu haben. Nie hiess es, ich könne etwas nicht, weil ich ein Mädchen bin – und doch bin ich heute nicht gegen Selbstunterschätzung gefeit. Vielleicht wird das Selbstwertgefühl eines Kindes also weniger von der Erziehung per se beeinflusst, sondern davon, welcher Selbstwert ihm vorgelebt wird. Meine Eltern waren sich selbst gegenüber stets ungemein kritisch. Habe ich das übernommen? Oder waren es fiese Äusserungen von Gleichaltrigen – was die sagen, zählt ja mehr als jedes Erwachsenenwort –, die meinen Selbstwert sabotierten? Ich erinnere mich nämlich nur zu gut an jene Turnstunde. Wir hatten Trampolinspringen, und als ich dran war, rief die dünne Klassenschönste: «Oh, bei Helene geht das Sprungtuch aber tief runter!» Ich verschrieb mir erschüttert eine Diät – stieg aber nie mehr auf ein Trampolin. Kann sein, dass ich aufgrund dieses Trampolintraumas Komplimenten für meine Figur misstraue. Als mir später mal ein Arbeitskollege seine Jacke anbot, weil ich fror, lehnte ich ab. Ich befürchtete, das Teil könnte mir zu klein sein. Diese Schmach wollte ich mir ersparen.
Stehen wir uns in Sachen Selbstwert also einfach nur selbst im Weg? Anstatt uns stets downzugraden, sollten wir uns doch lieber «Upgrade yourself!» zurufen. So jedenfalls lautet das Credo von Luisa Omielan (32), dem Shootingstar unter den britischen Komikerinnen. Omielan hatte sich mit 28 in einer existentiellen Krise befunden – Mann weg, Karriere im Koma, Selbstwert in Todeszuckungen – und sich dabei mit ihrem Vorbild, der Sängerin Beyoncé, verglichen, die damals ebenfalls erst 28, aber längst ein Weltstar war. «Was würde Beyoncé jetzt tun?», fragte sie sich. Diese Frage wurde zu ihrem Mantra und schliesslich zum Programm. Zu den Höhepunkten ihrer Show gehört die Szene, in der sie sich genüsslich ins Bauchpolster greift. «Wisst ihr, was das ist?», ruft sie. «Das ist der Beweis, dass ich Spass habe, mit Freunden essen gehe. Diese Polster haben mich mehr gekostet als eine Designertasche. Die sind ein Geschenk an mich selbst! Upgrade yourself!»
Upgrade yourself! Wunderbar! Bleibt nur die Frage: Wie erhöht man ihn denn, den Selbstwert? Auf der Suche nach handfesten Tipps rufe ich Astrid Schütz an, Professorin für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik an der Universität Bamberg.
annabelle: Astrid Schütz, was sagt das über meinen Selbstwert aus, wenn ich zusammenbreche, weil etwa eine Präsentation nicht so gut gelungen ist oder ich eine neue Falte im Gesicht entdecke?
Astrid Schütz: Das bedeutet wohl, dass der Selbstwert zu stark von äusseren Bedingungen abhängt. Ich nenne das kontingenter Selbstwert. Bei den einen ist er an beruflichen Erfolg gebunden, bei anderen an einen schlanken Körper, wiederum andere bedingen ihn durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, etwa die Familie, oder durch ethische Grundüberzeugungen. Letztere Kontingenzen sind günstiger, da sie stabiler sind. Denn beruflicher Erfolg schwankt, das Aussehen lässt nach.
Wie drückt sich ein stabiler Selbstwert aus?
Eine Frau mit stabilem Selbstwert findet nicht: Es ist mir egal, ob mich andere mögen oder ob ich etwas leiste. Sie verknüpft nur einfach Erfahrungen des Scheiterns nicht so stark mit dem eigenen Selbstwert. Sie sagt sich dann vielleicht: Richtig ärgerlich, dass die Präsentation schief ging. Ich hätte es eigentlich besser gekonnt. Aber das heisst nicht, dass ich unfähig bin.
Wie kann ich mir nun einen starken Selbstwert antrainieren?
Stellen Sie sich folgende Fragen: Warum soll ich wertlos sein, wenn diese Präsentation schief lief oder ich meinen Job verloren habe? Warum mache ich meinen Wert davon abhängig, ob ich Erfolg habe oder nicht? Manchmal hilft es auch, sich selber mal aus der Perspektive einer guten Freundin zu sehen. Meistens ist es ja so, dass wir andere wohlwollender einschätzen als uns selbst. Ging zum Beispiel bei einer Freundin etwas schief, sagen wir: Na ja, kann vorkommen, aber im Grunde kann sie das doch. Diesen Standpunkt müssen wir auch gegenüber uns selbst einnehmen. Im Coaching nennt man das Selbstfreundschaft.
Sie kennen ihn sicher auch, diesen inneren Kritiker, der einen fast in den Wahnsinn treibt. Wie bringt man ihn zum Schweigen?
Indem Sie ihm sagen «Das lasse ich mir nicht mehr gefallen, ich lasse mich nicht mehr kritisieren!», ihn dann symbolisch in ein dunkles Zimmer sperren und den Schlüssel wegwerfen.
Gut, ich werde also versuchen, meinen Selbstwert auf nachhaltige Kontingenzen zu verteilen und mir bei einknickendem Selbstwert ermutigend zuzureden, so, wie ich es jeweils bei Freundinnen tue, wenn sie das Gefühl haben, sie müssten sich wieder mal ins Versagertuch hüllen. Und ich nehme mir die Komikerin Luisa Omielan zum Vorbild. Auch deshalb, weil sie zeigt, dass es wohl kaum eine Künstlerin gibt, die fernab des Scheinwerferlichts nicht selbst ab und zu von Selbstzweifeln heimgesucht wird. Und vielleicht liegt ja gerade im Selbstzweifel auch eine Quelle der Kreativität und Perfektion. Entstehen nicht oft gerade in düsteren Momenten die besten Ideen, oder man wird erst dann zum notwendigen Feinschliff angetrieben? Wie dem auch sei: Manchmal tut man auch gut daran, sich einfach mit der eigenen Selbstwert-erodierenden Irrationalität zu konfrontieren: So habe ich in einem unbeobachteten Moment meinen ganzen Mut zusammengenommen und das Jackett meines Arbeitskollegen dann doch noch anprobiert. Es war mir zu gross.
— Astrid Schütz: Je selbstsicherer, desto besser? Licht und Schatten positiver Selbstbewertung. Psychologie Verlagsunion, 2005, 141 S. ca. 32 Fr.
Unbedingt reinschauen: Luisa Omielan, «Am I right, Ladies»