Redaktorin Stephanie Hess kennt die Lust am Entweder-oder. Dennoch plädiert sie für eine Diskussionskultur, in der nicht immer alle einen klaren Standpunkt vertreten müssen.
Es ging um Koriander. Auf Facebook entbrannte eine Diskussion darüber, ob dieser nun tatsächlich eine Geschmackswonne sei oder doch eher eine unausstehlich seifige Angelegenheit. Jemand schrieb: «Man liebt ihn oder man hasst ihn. Es gibt nichts dazwischen.» Es ist ein Spruch, den man auch über streitbare Menschen äussert, über Freundinnen, Schauspieler, Politikerinnen, Bücher und TV-Serien. Er bleibt jedes Mal bei mir hängen.
Ich kenne die Lust am Entweder-oder durchaus, diese kühle Erleichterung, wenn sich eine Sache in zwei klar umrissene Gefässe giessen lässt. Unsere Gesprächs- und Kommunikationskultur verlangt zudem entschlossene Aussagen. Griffige Slogans für einen Post auf Social Media, die Kommentarspalten oder, um eine Diskussion schnell zu dominieren. Je komplexer die Welt wird, desto unumstösslicher müssen die Botschaften sein, die wir bereit sind, aufzunehmen. Bitte keine Schattierungen und auch keine Zweifel, dafür haben wir weder Platz noch Zeit. Das mag Wellness sein für unser Hirn. Doch wir verdrängen damit schlicht das verstörende Rauschen dieser verdammt komplexen Realität.
Noch nicht festgesetzte Denkansätze
Wenn man vorgibt, dass die Dinge im Grunde simpel sind, schliesst man all die Räume zwischen den markigen Statements, die für echten Austausch nötig wären. Denn dort schwirren Denkansätze, die sich noch nicht festgesetzt haben. Die man in einem Gespräch ergründen könnte und die einem – anstelle der ewig gleichen vermeintlichen Gewissheiten – womöglich tatsächlich neue Erkenntnisse bescheren. Wenn man diese Diskussionsräume immer wieder aufdehnen muss, ist das mühsam.
So mühsam, dass viele – ich ebenfalls – die Energie dazu oft nicht aufbringen. Sich aus Onlinediskussionen zurückziehen, aus Gesprächsrunden schleichen, auf Facebook keine Kommentare beantworten. Wir räumen das Feld, und das ist im Grunde keine Option. Die deutsche Philosophin Caroline Emcke sagt in einem Interview mit dem Onlinemagazin «Edition F»: «Es gibt heute sehr wenige Räume, in denen über politische, soziale, ökonomische, ökologische Fragen mit einem Moment von Unsicherheit und Noch-nicht-Wissen nachgedacht werden kann.»
Gefühle im Gespräch sichtbar machen
Vielleicht können wir anfangen, solche Räume zu schaffen, wenn wir anders miteinander reden? Beispielsweise, indem wir unser Noch-nicht-Wissen benennen und Gefühle im Gespräch sichtbar machen. Die Autorin Teresa Bücker schlägt im Ideen-Podcast der «Süddeutschen Zeitung» vor, dass wir in Gesprächen öfter Dinge sagen wie: «Ich denke schon länger darüber nach.» – «Ich habe mir noch keine fixe Meinung gebildet.» – «Kann sein, dass ich falsch liege.» Oder: «Ich habe meine Meinung geändert, ich sehe das heute anders.»
So verhielt es sich bei mir mit dem Koriander. Bis meine Abneigung in Akzeptanz, dann in Begeisterung umschlug, dauerte es sieben Jahre – die Reise umfasste folgende Etappen: der Unwille, mich als Mensch zu outen, der ungewohnten Geschmacksrichtungen abgeneigt ist, Ferien in Asien und das schneller wachsende Entzücken für das umstrittene Kraut aufseiten meines Partners.