Redaktorin Claudia Senn hat schon 1991 mit Magda Vogels vogelfreiem Frauenchor gesungen und gestreikt – und will endlich das Geld, das ihr zusteht. Deshalb geht sie jetzt, fast dreissig Jahre später, wieder auf die Strasse.
Erstaunlich, was man von historischen Ereignissen in Erinnerung behält, bei denen man das Privileg hatte dabei zu sein. Es ist niemals das, was in den Geschichtsbüchern steht. Die Demo des Frauenstreiks von 1991 ist in meinem Gedächtnis komplett gelöscht. Doch ich weiss noch genau, wie ich danach mit Magda Vogels vogelfreiem Frauenchor und Hunderten von Mitstreikenden im Theatersaal des Volkshauses Zürich «Eusere Güggel, dä isch tod» sang. Anarcho-Girls aus den besetzten Häusern neben strickenden Omis aus der Agglo neben adretten Sekretärinnen, Biochemikerinnen und Hausfrauen aus dem Seefeld neben den strengen Emanzen aus dem Frauenzentrum. Und alle hatten sie ihren Arbeitgebern und Ehemännern für einen Tag den Mittelfinger gezeigt. Grossartig. Wo sonst konnte man ein so szenenverbindendes Gemeinschaftsgefühl erleben?
Grund zu streiken gab es damals für mich jede Menge. Denn wenige Monate zuvor hatte ich meinen ersten Job im Journalismus angetreten, bei einem Käseblättchen an der Zürcher Goldküste. Ich lernte dort die vielen unglamourösen Seiten meines Berufs kennen, ging klaglos mit dem Hund des Chefredaktors Gassi, wenn ich meinen Artikel über den Kompostclub fertig hatte, und besorgte Fusel für seine Schnapsdrossel von Frau. Doch als ich merkte, dass mein ebenso unerfahrener Arbeitskollege ein Viertel mehr verdiente als ich, bloss weil er ein Mann war, da war Schluss mit meiner Toleranz.
«Sie können ja gehen, wenns Ihnen nicht passt», sagte der Chefredaktor in seiner Wolke aus Stumpenrauch, die ihn stets umwaberte wie einen Fabrikschlot. Ich sagte, dass ich das dann wohl tun würde, nicht jedoch, ohne zuvor jedes Gewerkschafts- und Branchenorgan in diesem Land über seine ungerechte Lohnpolitik zu informieren. Verdammt, was hatte ich mit 25 für eine Chuzpe! Es hätte auch schief gehen können. Ging es aber nicht. Mein Salär wurde erhöht.
Hätte mir damals jemand gesagt, dass 28 Jahre später die Frauen noch immer gegen dieselben Ungerechtigkeiten kämpfen, ich hätte ihm wohl den Vogel gezeigt. Doch tatsächlich ist vieles beim Alten geblieben, auch wenn heute die Diskriminierung subtiler verläuft. Noch immer verdienen Frauen weniger, weil sie Frauen sind. Viele von uns, die meisten. Ganze 1455 Franken pro Monat haben Frauen in der Schweiz im Durchschnitt am Ende des Monats weniger auf dem Konto als Männer. 56 Prozent dieses Lohnunterschieds sind eine Folge von schlechterer Ausbildung, weniger Arbeitserfahrung oder tieferer beruflicher Stellung, doch es bleiben immer noch 642 Franken pro Monat übrig, für die es keine Erklärung gibt. Insgesamt entgehen uns so jedes Jahr 12 Milliarden Franken. 12 Milliarden! Das entspricht dem Bruttoinlandprodukt eines kleinen afrikanischen Staats. Oder dem gesamten jährlichen Umsatz der schweizerischen Wellnessbranche. Unfassbar, dass Politik und Wirtschaft nicht mehr dafür tun, diese Ungerechtigkeit endlich aus der Welt zu schaffen. Ich finde das beschämend.
Deshalb werde ich am 14. Juni wieder streiken. Ich freue mich schon auf all die Anarcho-Girls, die Omis, Sekretärinnen, Jungfeministinnen, Hausfrauen und Biochemikerinnen, die alle mit mir an einem Strang ziehen werden. Normalerweise gibt es nicht viel, was unsere Lebenswelten verbindet. Doch in einem sind wir alle gleich: Wir bekommen nicht, was wir verdienen.