Inhaltshinweis: Sexualisierte Gewalt
Letztens entdeckte ich eine repräsentative Umfrage der Dating-App Parship.ch in meiner Mailbox. Es ging um Worst-Case-Szenarien bei Sex mit neuen Bekanntschaften und da ich einen Hang zu Schadenfreude wie Voyeurismus habe, klickte ich sie umgehend an.
«Häufigste Sexfails: Schlechter Geruch, schmutzige Bettwäsche und Kinder, die mitten im Akt hereinplatzen», titelte die Pressemitteilung und verwies auf eine Befragung von rund 1000 Frauen und Männer in der Schweiz im Alter von 18 bis 69 Jahren. Was als No-Brainer startete – wer steht schon auf Stinker:innen, versiffte Laken oder unliebsame Unterbrechungen – offenbarte kurz darauf Abgründe, die mir das Grinsen gefrieren liessen.
«Frauen sind – unabhängig ob Single oder in Partnerschaft – bedeutend empfindlicher als Männer, wenn es um mögliche Pannen und Peinlichkeiten geht. Dies gilt insbesondere für Fetische, die der:die Sexualpartner:in unabgesprochen ausleben möchte.» So entschieden sich nur 15 Prozent der befragten Männer für die unabgesprochene Fetisch-Szenerie als Horrorvorstellung, während es bei den Frauen 46 Prozent waren.
Ein Absatz, der mich in mehrerer Hinsicht bestürzt. Denn in diesen Zeilen wird mögliche sexualisierte Gewalt verharmlost und Frauen stigmatisiert. Warum? Es gilt, auszuholen.
Populärer Fetisch im Netz: Füsse und Würgen
Zunächst gilt es zu klären, um welche Fetische es sich wohl handelt, die Sexualpartner:innen ungefragt ausleben wollen und auf die besonders Frauen «empfindlich» reagieren. Auf Rückfrage bei Parship erfahre ich, dass dies in der Umfrage nicht spezifiziert worden ist.
Um einen realistischen Eindruck zu bekommen, gilt es, von Youporn bis Tinder zu schauen, welche Kategorien sich aktuell grosser Beliebtheit erfreuen. Schnell wird klar: Fussfetisch und Würgen aka Choking dürfen als populär eingestuft werden. Denn auch wenn Choking streng genommen kein Fetisch ist, sondern eine Praxis aus dem BDSM Bereich, wird im umgangssprachlichen Gebrauch wie auch auf Pornoseiten von Bondage über Würgen hin zu Anurinieren Verschiedenstes grosszügig als Fetisch kategorisiert.
Während noch darüber gestritten werden kann, wie nachhaltig verstörend es sein kann, wenn unabgesprochen Zehen geleckt werden, sieht es beim Choking eindeutiger aus. Auf Pornoseiten ist die Kategorie «Rough Sex» mit Würgen, Anspucken und Ohrfeigen omnipräsent und entsprechende Überwältigungsfantasien sind normalisiert und längst in heimischen Schlafzimmern angekommen, wie die deutsche Psychologieprofessorin Nicola Döring in «Rough Sex: Aktueller Diskussions- und Forschungsstand» unter Berücksichtigung der Gefahren insbesondere für Frauen darlegt.
Ungewollt geschlagen, gewürgt oder bespuckt
Fantasien sind das eine, aber wie sieht die Realität aus? Wie eine über vier Jahre laufende Studie unter rund 5000 Studierenden durch die US-Sexualwissenschaftlerin Debby Herbenick von der University Illinois 2024 zeigte, gaben fast zwei Drittel der befragten Frauen an, während des Sex gewürgt worden zu sein.
«Eine unabgesprochene Konfrontation mit Fetischen als Pannen und Peinlichkeiten zu subsumieren ist eine gefährliche Verharmlosung»
Eine Studie der britischen BBC5 kam indes zu dem Ergebnis, dass ein Drittel der Britinnen unter 40 Jahren bei Sex, der grundsätzlich einvernehmlichem war, ungewollterweise geschlagen, gewürgt oder bespuckt wurden – ohne dass sie den Wunsch danach geäussert oder damit einverstanden gewesen waren.
Es soll an dieser Stelle überhaupt nicht gewertet werden: Wenn beide darauf stehen – viel Spass. Und es heisst auch nicht, dass automatisch alle würgenden Sexualpartner:innen gewalttätig sind. Doch 20 Prozent der Frauen gaben an, nach einem solchen Erlebnis verstört gewesen zu sein, 42 Prozent fühlten sich unter Druck gesetzt oder genötigt, mitzumachen. War ja keine Vergewaltigung, der Sex doch eigentlich gewollt – richtig?
Gerade weil es manchmal so schwierig ist, die vielen Facetten sexualisierter Gewalt zu erkennen, gilt es, genau hinzuschauen. Eine unabgesprochene Konfrontation mit Fetischen als Pannen und Peinlichkeiten zu subsumieren und bei der Umfrage auf die gleiche Ebene zu stellen wie eine unaufgeräumte Wohnung, ist eine gefährliche Verharmlosung. Die genaue Fragestellung lautete übrigens: Welche der folgenden Szenarien wären für dich die absolute Horror-Vorstellung? Das aber steht nur am Rande, dabei ist diese Fragestellung treffend.
Lebensgefährliche Challenges auch unter Teens
Auch wenn die Befragten bei Parship zwischen 18 und 69 Jahren alt sind, soll an dieser Stelle ein kurzer Abstecher zur Jugend erlaubt sein. So stieg der Anteil der Frauen, die angaben, zum ersten Mal im Alter zwischen 12 und 17 Jahren beim Sex gewürgt worden zu sein, auf 40 Prozent, verglichen mit einem Viertel vor vier Jahren.
Auch das kam in der Studie Herbenicks heraus, die vergangenen Monat gegenüber der New York Times besorgt sagte: «Ich habe mich selten so sehr dafür eingesetzt, dass Forschungsergebnisse an die Öffentlichkeit kommen. Aber das hier ist lebensrettend.» Warum bereits so viele Kinder und Jugendliche Erfahrungen mit Choking haben, liegt neben dem Pornokonsum an entsprechenden Challenges auf TikTok und Instagram, die im nicht-sexuellen Kontext populär geworden sind.
«Sexfails sind eine andere Preisklasse als ungefragt mit einem Fetisch konfrontiert zu werden»
Von «Ohnmächterli» hin zu «Pilotentest» gibt es unzählige Videos, auf denen sich Teenager selbst oder ihrem Gegenüber die Luft abdrücken, um einen Rauschzustand hervorzurufen. Bei amateurhaftem Einsatz lebensgefährlich: Bei dem Abschneiden der Luftzufuhr sterben Gehirnzellen, es droht Sehverlust, Schädigungen vom Kehlkopf und Luftröhre hin zu Hirnschäden und dem Tod. Egal ob jung oder alt.
Die Mär der empfindlichen Frau
Sexfails können wahnsinnig lustig sein und auch ich habe schon mit Freund:innen Tränen gelacht, wenn es um Real-Madrid-Bettwäsche und im Duracellmodus ausgeführte Befruchtungstänzchen ging. Das aber ist eine andere Preisklasse als ungefragt mit einem Fetisch konfrontiert zu werden.
Frauen im Vergleich zu Männern zudem verkürzt als «bedeutend empfindlicher» in Bezug auf Sex-Fails zu bezeichnen, nährt obendrein das gering schätzende Stereotyp der Frau, die sich anstellt. Gemäss Duden wird die Verwendung von «empfindlich reagieren» mit gereizt, gekränkt, leicht beleidigt, reizbar erklärt.
Es liegt mir fern, hier böse Absichten zu unterstellen und Wortklauberei zu betreiben. Dennoch gilt es genau zu sein: Als ich nachfrage, wie die Datingplattform «empfindlich» definiert, kommt der spezifizierende Verweis aus der Pressemitteilung als Erklärung: «Viele Frauen sind bei der Sexualität mit mehr Sinnen beteiligt. Das macht sie grundsätzlich empfindlicher in Bezug auf das Gesamtpaket, also dass möglichst alles stimmt beim Sex, während Männer tendenziell viel stärker auf die Erregung fokussiert sind».
Zumindest bei mir liegt die Vermutung nahe, dass ein Überlebensinstinkt Frauen davon abhält, sich ebenso stark wie Männer auf ihre Erregung fokussieren zu können. Fehlt das Vertrauen als Voraussetzung für hingebungsvollen Sex bei wachsendem Bewusstsein, ein potenzielles Vergewaltigungsopfer zu sein, schwindet schliesslich jegliche Lust.
Ungeachtet des Geschlechts aber, wird jeder Mensch, dem unabgesprochen und gegen seinen Willen im Bett die Kehle abgeschnürt wird, dies nicht als Panne oder Peinlichkeit abtun, sondern als das benennen, was es ist: sexualisierte Gewalt. Und die wurzelt in Sprache. Wie und was wir schreiben und sprechen, birgt Verantwortung. Unachtsamkeiten können wir uns bei einer Propagierung von Einvernehmlichkeit und sexualisierter Gewalt nicht leisten. Zumindest nicht, ohne unsere Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Gerade ein Datingportal sollte entsprechend sensibilisiert sein, wenn es zu Marketingzwecken derart geframte Umfragen in die Welt schickt. Dass Fehler unterlaufen, ist menschlich. Der Umgang entscheidet. «Bei der Frage nach der Anwendung von sexuellen Vorlieben, die vorher nicht abgesprochen wurden, haben wir an harmlose Sexvarianten gedacht, über die man stutzen oder bestenfalls lachen kann», schreibt die Medienstelle von Parship auf meine Kritik.
«In keiner Weise waren damit sexuelle Praktiken gemeint, die in irgendeiner Form übergriffig sind, denn niemand würde diese Praktiken als ‹Pannen oder Peinlichkeiten› bezeichnen. Wenn dies zu Missverständnissen geführt hat, bedauern wir das ausserordentlich. Es ist uns zudem durch Ihre Anfrage bewusst geworden, dass wir in Zukunft bedachter formulieren müssen. Besten Dank dafür.»
Informationen und Hilfsangebote zum Thema sexualisierte Gewalt findest du hier:
143 – Die Dargebotene Hand (Crisis support in English: heart2heart.143.ch)