Die unbezahlte Vollzeitstelle
- Text: Antje Joel; Foto: Pexels.com / Daria Obymaha
Seit 16 Jahren ist unsere Autorin alleinerziehende Mutter. Dafür fordert sie: mehr Anerkennung – und das nicht nur in Form eines Lobs.
Hier mal eine Stellenausschreibung, auf die sich keiner so schnell bewerben wird: «Kandidaten für unbezahlte Vollzeitarbeit (24 Stunden an sieben Wochentagen) im kombinierten Management-, Pädagogik- und Pflegesektor gesucht. Ferien und Kündigung ausgeschlossen. Neben ausserirdischer Belastbarkeit erwarten wir von unseren Bewerbern ein dickes Fell gegen allfällige Kritik. Insbesondere von Dritten, die selbst über keinerlei relevante Qualitäten, Kenntnisse oder die Bereitschaft, diesen Job anzunehmen, verfügen. Krankenversicherung? Altersversorgung? Sie machen wohl Witze!!!» Ehrlich, so einen Job will kein Schwein. Aber dann, schwupps, hat man ihn doch, ist alleinerziehend.
200 000 Alleinerziehenden-Familien gibt es in der Schweiz, das ist jede sechste. Und obwohl die Zahl der alleinerziehenden Väter zu steigen scheint: In 86 Prozent der Fälle kriegt den Job noch immer die Mutter. Ich haben ihn seit 16 Jahren. Genaugenommen bin ich natürlich nicht mehr alleinerziehend. Die letzten beiden von sechs Kindern, die noch bei mir leben, sind ja schon gross. 20 und 25 Jahre alt. Wir sind mittlerweile mehr eine Wohngemeinschaft. Zu der gehört seit sechs Jahren noch ein kleineres Kind, meine Enkelin.
Genaugenommen war ich natürlich auch noch nie alleinerziehend. So wenig wie sonst jemand auf der Welt. Genaugenommen müsste es heissen: alleinverantwortlich. Denn für das, was aus den Kindern wird (oder eben nicht!), werden die Mütter oft genug allein zur Rechenschaft gezogen. Als ich neulich in einem Zeitungsartikel über das manchmal noch recht steinzeitliche Verhalten mancher Männer grollte, schrieben mir gleich ein paar (männliche) Leser: «Da noch immer meistens Frauen die Kinder (Söhne!) grossziehen, sind sie ja wohl selbst schuld, wenn aus den Jungs Steinzeitmänner werden!» Aha. Das nigerianische Sprichwort «Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind aufzuziehen» wird zwar auch hierzulande fleissig zitiert. Aber es scheint noch nicht allen aufgegangen zu sein, dass das nicht nur für Nigeria gilt. Freunde, Lehrer, Nachbarn, das Fernsehen – es erziehen eine Menge mehr oder minder begabte Leute an den Kindern mit. Begrüssenswert also, wenn unsere Gesellschaft künftig zu ihrer Mitverantwortung steht.
Zum Beispiel: Trotz Schwerst- und Doppelarbeit – die Wochendurchschnittsarbeitszeit einer Alleinerziehenden liegt laut Caritas bei über 70 Stunden, Erwerbstätigkeit und Haus- und Familienarbeit zusammengerechnet – lebt nahezu die Hälfte der Alleinerziehenden-Familien in Armut. Dreimal so viele wie bei den 2-Eltern-Familien. Das liegt daran, so liest man, dass «die Väter sich um den Unterhalt drücken». «Sich drücken», haha. Das klingt nach Schulbubenstreich und Kavaliersdelikt. «Der wäre ja doof, wenn er arbeiten würde», hört man auch. «Dann müsste er zahlen!» Und schon weil ich nicht gern als «die Doofe» dastehe, weil ich diejenige bin, die arbeitet und zahlt, bin ich unbedingt dafür, die Dinge beim Namen und Zahlen zu nennen: Allein in Deutschland ist nach der Scheidung jedem zweiten Vater wurscht, ob seine Kinder genug zum Essen, Anziehen und/oder ein sicheres Dach über dem Kopf haben. In der Schweiz dürfte es, legt man die Armutszahlen zugrunde, nicht besser aussehen.
Und während sich Gesetzgeber und Soziologen in der Schweiz und in Deutschland seit Jahrzehnten aufs endlose Debattieren und auf gute Ratschläge an die Mütter beschränken, wie sie diese Schnurzpiepegal-Kandidaten auf die sanfte Tour zum Zahlen motivieren könnten – beispielsweise durch mehr Entgegenkommen – haben einige US-Staaten und kanadische Provinzen längst bombensichere Wege gefunden: Nichtzahlern wird der Führerschein und/oder der Jagd- und Angelschein abgenommen. Allein die Androhung solcher Massnahmen hat bislang zur Zahlung von insgesamt 577 Millionen kanadischen Dollar verholfen. In Alberta und Ontario kann man zudem die Namen und Adressen nichtzahlender Väter auf einer Internetsite lesen. Sie trägt den Namen: «Good Parents Pay». So ist das: Gute Eltern zahlen. Nicht die doofen.
Über die Jahre sinnierten Freunde, Bekannte, Lehrer und mir gänzlich Unbekannte immer wieder mal laut: «Aber deine Kinder brauchen doch einen Vater!» Sie meinten nicht «ihren» Vater. Sie meinten tatsächlich «einen» Vater. Irgendeinen. Meine Antwort war immer die gleiche: «Danke für den Tipp! Ich gehe gleich morgen in den Supermarkt und kaufe einen.»
Tatsächlich kaufte ich einen Hund und ein Pferd. Das war dumm, na klar. Damit machte ich mich angreifbar. Viel angreifbarer als sich beispielsweise mein nicht arbeitender, niemals Unterhalt zahlender Ex-Mann machte, als er sich ein Motorrad kaufte. «Offenbar hast du doch nicht genug zu tun!», brummten Freunde. Was Unfug war. Ich hatte genug zu tun. Mehr als. Ich wollte nur neben all dem, was ich tun musste, auch noch etwas tun dürfen. Etwas für mich. Und auch wenn das nicht meine erste Absicht war: Ich war sicher, ich tat auf diesem Umweg auch etwas für meine Kinder. Meiner Enkelin kaufte ich gleich ein Pony.
16 Jahre. Das ist eine lange Zeit. In einem Job, für den man sich nicht so schnell beworben hätte. Unter den Bedingungen, die in ihm heute noch gelten. «Wahnsinn», sagen die Leute manchmal. «Was du geschafft hast!» Das ist nett. Aber, leider, nicht mehr als das. Mein Vorschlag ist: Wir zeigen unsere Anerkennung, indem wir den Job attraktiver machen.