«Frauen sind halt so»: Unternehmerin Carolina Müller-Möhl über Vorurteile und alte Rollenmuster – und warum sie sich so hartnäckig halten.
Zürich, Freitagabend. Eine gemütliche Bar in der Altstadt. Ich sitze in einer Runde von Freundinnen – alle am Zeitgeschehen interessiert, gut ausgebildet und berufstätig – und empfehle das neue Buch von Iris Bohnet. Sie ist Wirtschaftsprofessorin an der Harvard Kennedy School, Verwaltungsrätin der Credit Suisse und schreibt über «unconscious biases». Stirnrunzeln. Was ist das? Eine lebhafte Diskussion beginnt.
Warum gilt ein Mann, der auf seinem Recht besteht, als hartnäckig, eine Frau hingegen als penetrant? Weil wir unbewusst gewisse Eigenschaften mit Männern beziehungsweise Frauen verbinden. Warum zahlen Frauen mehr für ein Occasionsauto? Weil der Verkäufer automatisch davon ausgeht, dass seine Kundin nicht weiss, wie sich ein Autopreis berechnet. Und warum bekommen Frauen in einigen Restaurants weiterhin eine Damenkarte? Weil der Herr immer noch als Ernährer gilt und der Kellner annimmt, dass die weibliche Begleitung eingeladen wird.
Der Begriff «bias» kommt aus dem Englischen und beschreibt Vorurteile, Stereotype und andere Denkfehler. Diese Verzerrungen treten manchmal bewusst, meistens jedoch unbewusst – eben «unconscious» – auf. Voreingenommenheit kann unsere Kontrollmechanismen umgehen und führt deshalb zu unbewussten Diskriminierungen. Solche Diskriminierungen äussern sich nicht nur auf persönlicher Ebene, sie können sich auch im Berufsleben zeigen. Bohnet nennt ein Beispiel: «Oft sehen wir, dass Frauen trotz exzellenter fachlicher Eignung nur geringe Chancen haben, vom mittleren ins obere Management aufzusteigen.» Der Grund: Typische Führungsqualitäten wie Ehrgeiz, Entschlossenheit und Durchsetzungsstärke werden Frauen viel weniger zugesprochen als Männern.
Das ist dumm. Denn Unternehmen, welche Gender-Diversity zu ihrem Vorteil nutzen, erbringen bessere finanzielle Ergebnisse. Das beweisen Studien immer wieder. Doch wie können Firmen ihre verzerrte Wahrnehmung von Leistungen aufgrund unbewusster Vorurteile überwinden? Bohnet und ihr Team haben auf diese Frage erstaunliche Antworten gefunden: So wird offenbar jede Personalauswahl davon beeinflusst, wie sehr ein Bewerber dem Entscheider ähnelt. Das heisst: Solange das Topmanagement überwiegend aus Männern besteht, haben Frauen schlechte Karten. Wenn Firmen aber die Namen auf Lebensläufen abdecken lassen, werden laut Bohnet die fähigsten Kandidaten ausgewählt, unabhängig vom Geschlecht.
Weshalb sind unbewusste Vorurteile so hartnäckig? Aktuelle Forschungen zeigen, dass die «unconscious biases» biologisch begründet sind. Denn unser Gehirn ist äusserst effizient – um Ressourcen zu sparen, nutzt es bekannte Muster. Es filtert wesentliche Merkmale aus einer Wahrnehmung und vergleicht diese mit bereits Gespeichertem. Der Rest wird nicht bearbeitet. Das gilt für Männer wie für Frauen. Auch Frauen haben Vorurteile gegenüber ihren Geschlechtsgenossinnen. So weit, so gut – oder eben nicht.
In einem Punkt sind wir uns am Freitagabend einig: Wir wollen mit gutem Beispiel vorangehen und Aufmerksamkeit für das Thema schaffen. Wir werden nicht akzeptieren, dass wir selber oder andere gegenüber Frauen voreingenommen sind. Deshalb erklären wir dem Autoverkäufer, dass wir sehr wohl wissen, wie viel Pferdestärken und die Extras ausmachen. Wir hauen auf den Tisch und verlangen die Speisekarte mit Preisen. Weil wir wissen wollen, wie viel etwas kostet.
Carolina Müller-Möhl (47) ist Unternehmerin, Investorin und mehrfache Verwaltungsrätin
Iris Bohnet: What Works. Gender Equality by Design. Harvard University Press, März 2016, 385 S., ca. 30 Fr., englisch