Leben
«Um eine authentische Geschichte zu erzählen, muss man graben»
- Interview: Kerstin Hasse; Foto: Zurich Film Festival
Glenn Close war 2017 zu Gast am Zurich Film Festival: Sie bekam einen Golden Icon Award für ihr Lebenswerk. Damals haben wir mit ihr über «The Wife», sexistische Strukturen in Hollywood und ihren Wunsch, allen Schauspielerinnen das gleiche schwarze Kleid überzuziehen, gesprochen.
annabelle.ch: Glenn Close, in Ihrem neuen Film «The Wife», den Sie am Zurich Film Festival vorgestellt haben, spielen Sie die talentierte Schriftstellerin Joan Castleman, die im Schatten ihres Mannes Joe steht. Man fragt sich immer wieder, warum sie sich nicht endlich ins Rampenlicht wagt und ihren Mann verlässt.
Glenn Close: Das war die erste Frage, die sich mir stellte und ich wusste, dass jede Frau die gleiche Frage stellen würde: Wie kann man in dieser Situation bei seinem Mann bleiben? Das zu verstehen, war ein Prozess. Ich habe das Skript studiert und versucht, Joans Emotionen und ihre Psychologie zu verstehen.
Und ist Ihnen das gelungen?
Als sie sich kennelernen, sagt Joe zu Joan: Wie kannst du mich lieben, obwohl ich nicht talentiert bin? Er liebt sich selbst nicht, das hat mein Herz gebrochen. Doch nicht nur er befindet sich in einem inneren Konflikt. Sie beide wurden zu einer Lösung für ein gemeinsames Problem verführt. Ich denke, man muss graben und graben, um eine komplexe und authentische Geschichte zu erzählen.
Die Geschichte spielt in Rückblenden in den Sechzigerjahren. Sie selbst waren damals noch ein kleines Mädchen. Haben Sie die sexistischen Strukturen damals wahrgenommen?
Ich war noch klein, aber meine Mutter war eine junge Frau. Mein Vater war Arzt und sehr erfolgreich in seinem Beruf, aber er hat meine Mutter nie wirklich unterstützt. Ich erinnere mich, wie sie als alte Frau sagte: Ich habe nie etwas in meinem Leben erreicht. Wir Kinder antworteten natürlich: Aber du hast uns erzogen! Dass sie das so empfunden hat, hat mich traurig gemacht.
Auch heute noch ist Sexismus ein gesellschaftliches Problem – auch in Hollywood. Nicht zuletzt wenn es um die Bezahlung von Schauspielerinnen geht, wurde in den letzten Jahren viel über Gleichberechtigung diskutiert.
Ich glaube, wir haben so viel Macht wie noch nie zu vor. Wenn wir etwas anpacken und verändern wollen, dann können wir das tun. Ich finde es beispielsweise wundervoll, dass Reese Witherspoon und Nicole Kidman für ihr grossartige Arbeit («Pretty Little Lies» Anm. d. Red.) ausgezeichnet wurden, ein Werk, dass sie mitproduziert haben. Und auch ich werde sicher wieder Projekte produzieren und meine Bekanntheit sinnvoll nutzen. Je erfolgreicher man ist, desto mehr kann man sein Netzwerk in dieser Welt nutzen. Wenn ich Ja sage zu einem Projekt hilft das manchmal, um einen Film zu realisieren.
War das auch bei «The Wife» der Fall?
Ich denke schon, dass es eine Rolle spielte, dass ich mich für diese Produktion wirklich engagiert habe.
Im Film sehen wir nicht nur eine Frau, die im Schatten ihres Mannes steht, sondern auch einen Sohn, der um die Aufmerksamkeit seines Vaters buhlt. Ihre Tochter Annie Starke spielt in «The Wife» die junge Joan. Wie versuchen Sie ihr den Druck zu nehmen, die Tochter einer international gefeierten Schauspielerin zu sein?
Das ist eine Situation, mit der Annie schon ihr ganzes Leben lang klar kommen musste. Ich bin sehr dankbar, dass sie nie Angst davor hatte, zu sagen: Das ist hart. Mir war immer bewusst, dass es manchmal für sie schwierig ist. Andererseits ist das unser Leben, sie kennt es, seit sie auf der Welt ist. Was mich mit viel Freude erfüllt, ist die Sichereit, dass sie eine phänomenale Karriere haben wird. Ich habe ihr Talent schon von klein auf erkannt, und es gibt Dinge in unserem Beruf, die man einer Künstlerin nicht beibringen kann. Zu sehen, dass dieses Talent in meinem Kind aufblüht, macht mich sehr glücklich.
Ihre Figur Joan wird schon früh ausgebremst. Wie erging es Ihnen – wurden Sie von Ihrem Umfeld gefördert?
Meine Eltern waren sehr zurückhaltend, sie dachten, es sei nicht gut für den Charakter, Schauspielerin zu werden. Es gibt ja auch viele Klischees über Schauspielerinnen. Als ich aber erfolgreicher wurde und sie meine ersten Auftritte sahen, verstanden sie meine Leidenschaft. Aber mein Vater riet mir noch im College dazu, besser Stenografie zu lernen.
Welche Klischees über Schauspielerinnen ärgert Sie am meisten?
Dass alle Schauspielerinnen stutenbissig und eitel sein sollen. Früher glich das Leben als Frau in Hollywood noch viel mehr einer Fantasie. Die Schauspielerinnen waren Göttinnen, die dramatische Streite und Romanzen hatten.
Auch heute interessiert das Leben neben der Leinwand viele Leute mehr als die schauspielerische Leistung der Künstlerinnen und Künstler. Sie haben in Ihrer Karriere nie einen Hehl daraus gemacht, dass Sie sich aus diesem Theater nichts machen.
Für mich sind die roten Teppiche nicht das, was das Handwerk ausmacht. Ich hasse es, mir überlegen zu müssen, was ich trage. Wieso ziehen wir nicht einfach alle das gleiche schwarze Kleid an – und schauen, was passiert? Ich finde es schade, dass der Teppich vor den Oscars mittlerweile interessanter ist als die Verleihung.
Was bedeutet Ihnen der Golden Icon Award, den Sie am Zurich Film Festival erhalten haben?
Es ist schön, über ein Lebenswerk zu verfügen, das es verdient, ausgezeichnet zu werden. Aber es ist natürlich auch nett für das Festival, wenn man zusagt, zu kommen. Das hilft, Tickets zu verkaufen – ich bin da sehr realistisch. Aber es freut mich natürlich, dass all die Entscheidungen, die ich über die Jahre hinweg getroffen habe, sich zu etwas geformt haben, das andere Leute auszeichnen wollen. Das ist eine Ehre.
Glenn Close (70) spielt in «The Wife» die talentierte Schriftstellerin Joan Castleman, die sich den sexistischen Gesellschaftsstrukturen beugt und – anstatt selbst zu publizieren – zur Ghostwriterin ihres Mannes Joe (Jonathan Pryce) wird. Der Film von Regisseur Björn Runge wurde am Zurich Film Festival vorgestellt, wo Close gleichzeitig für ihr Lebenswerk mit einem Golden Icon Award ausgezeichnet wurde.