Typisch Bub?
- Text: Geraldine Capaul
Pinkes Trotti, lackierte Fussnägel, Fussball – Produzentin Geraldine Capaul, bald zweifache Mutter, macht sich Gedanken über die genderneutrale Erziehung ihres Sohnes.
Es gibt da einen Satz, den ich als Kind von einer Kollegin meines Vaters gehört habe und der mir bis heute in Erinnerung geblieben ist. Sie war schwanger und sagte: «Ich weiss noch nicht, was es gibt. Aber wenn es ein Bub wird, hat er das Glück, als Mädchen erzogen zu werden.» Ich war vielleicht neun Jahre alt und hatte keine Ahnung, was sie damit sagen wollte. Vielleicht ist es grad deshalb hängengeblieben.
Ich wuchs mit einer Schwester auf, bei uns zuhause galt die klassische Rollenverteilung, wobei, so klassisch war sie nicht: Mein Vater hat zwar 100 Prozent gearbeitet, aber meine Mutter war auch ausser Haus tätig – nicht nur stundenweise –, und sie hatte ein Nachdiplomstudium gemacht. Trotzdem war sie hauptverantwortlich für die Familie. Sie wollte diese Aufgabe auch gar nicht teilen, sagt sie heute.
Nun bin ich selber Mutter eines Sohns, im Sommer kommt unser zweites Kind, ebenfalls ein Bub. Wird mein Sohn als Mädchen erzogen? Und wäre das dann ein Glück? Für ihn? Oder für die Gesellschaft? Wird er dadurch ein besserer Mann? Vor allem aber: Was bedeutet es, als Mädchen erzogen zu werden?
Über geschlechtsspezifische Erziehung machte ich mir schon in der Kantonsschule Gedanken. Ich hatte Schwierigkeiten in allen naturwissenschaftlichen Fächern. Die Erklärung meines Mathelehrers war: Mädchen wachsen mit dem Wissen auf, dass schon ihre Mütter ungenügend in diesen Fächern waren, dass das quasi ein Naturgesetz sei. Und deshalb gäben sie sich gar keine Mühe. Ich bin überzeugt, dass da was Wahres dran ist.
Mädchen werden auch oft zu mehr Gehorsam erzogen, sie sollten angepasster sein, rücksichtsvoll und auf jeden Fall sozial. Jungs dagegen dürfen wilder und gröber, müssen mutiger und selbstsicher sein. Mädchen mögen Mädchensachen, Pink und Prinzessinnen, ihre Brüder Piraten und Pferdestärken.
Und wie erziehen wir nun unseren Sohn? Er ist drei Jahre alt, seine Haare fallen in Locken bis zur Mitte des Rückens. Er fährt glücklich das rosa Trottinett, das er von seinen Cousinen bekommen hat, er findet lackierte Fussnägel schön und wünscht sich ab und zu, dass wir seine anmalen. Wenn der Lack dann ein wenig abblättert, muss das korrigiert werden. Er liebt Fussball, Schwingen, Kochen, Bücher und die Bibliothek. Er singt viel, tanzt und hüpft. Das alles sind Dinge, die auch wir mögen, seine Eltern. Wir wollen, dass er höflich ist, empathisch und auch mal ruhig sitzen kann. Und wir freuen uns über seine so leidenschaftliche wie zärtliche Ader.
Mein Sohn hat einen Vater, der seinen Teil übernimmt, ganz selbstverständlich. Bei uns heisst es nie, dass der Mann mir eine grossartige Unterstützung ist, sondern: Wir unterstützen einander gegenseitig.
Und trotzdem: Wie oft denke ich, das ist jetzt halt typisch Bub? Und sage Sachen wie: Es ist toll, einen Sohn zu haben; wir sind jetzt öfter draussen, bewegen uns mehr. Als würde ich das mit einem Mädchen nicht auch machen. Oder ich sage – und meine das durchaus ernst: Ich freue mich auf künftige Sonntage, wenn mein Mann mit den beiden Buben zum Fussball geht. Als würde er eine Tochter nicht mitnehmen. Und ich ertappe mich dabei, wie ich insgeheim stolz drauf bin, dass er sein pinkes Trotti cool findet – und dass er partout nicht zum Coiffeur gehen will. Kurz gesagt: Das Glück meines Sohns liegt nicht darin, als Mädchen erzogen zu werden, sondern darin, dass wir ihm helfen, seine Bedürfnisse auszuleben, dass wir ihn in seinen Wünschen unterstützen – und dabei auch immer mal wieder in die Genderfalle tappen. Denn ich plädiere nicht für eine geschlechtsneutrale Erziehung, sondern vor allem für mehr Gelassenheit gegenüber pinken Phasen und wachsenden Modellauto-Sammlungen.
Was ich mir aber wünsche, ist, dass es Platz für die ganze Palette hat. Wieder in Geschlechterrollen gedacht: Dass Buben in der Schule wild sein dürfen, ohne gleich als aggressiv zu gelten. Und helfen wir den Mädchen, ihre schulische Aufholjagd auch in der Berufswelt fortzusetzen – ohne als Verräterinnen oder Rabenmütter abgestempelt zu werden –, und den Buben, sich neuen Rollen und Aufgaben gegenüber zu öffnen. Indem wir Kinderbücher vorlesen, in denen Jungs auch mal traurig und ängstlich sind, Mädchen wild und ungestüm. Indem wir auf unsere Sprache achten, von Pilotinnen wie auch Pflegefachmännern reden. Vor allem aber, indem wir unseren Töchtern vorleben, dass sie hervorragende Wissenschafterinnen, Bäuerinnen oder Managerinnen sein können, und unseren Söhnen, dass das eine Bereicherung und keine Bedrohung ist. Es geht nur miteinander.