Leben
Enge Shirts, kurze Hosen und das Schweizer Trikot-Gate
- Text: Barbara Loop; Fotos: Getty Images
In den Anfängen des Fussballs hatten die schnürbaren Trikots noch ganz einfach dazu gedient, die Teams überhaupt unterscheiden zu können. Heute ist das anders: Egal ob Trikot-Gate, enger Schnitt oder auffälliges Muster: Was die Spieler auf dem Rasen tragen, sorgt für Gesprächsstoff.
Die Leistung der schweizerischen Leibchen wird aktuell heisser diskutiert als das jene der Spieler. Hersteller Puma hat eingeräumt, die Shirts mit fehlerhaftem Material produziert zu haben. Doch Fussballtrikots sind weit mehr als (reissbarer) Stoff. Sie sind Geldquellen, Sammelstücke und Symbolträger in einem und sagen ebenso viel über Fussball aus wie über die Gesellschaft, die ihn spielt. Von Netzers langen Ärmeln und Alain Sutters Schlabberlook: Unsere Bildergalerie zeigt, wie sich die Trikots in den letzten 50 Jahren verändert haben.
1.
In den 70ern traten die Fussballer in Trikots mit Nadelstreifen und Kragen an. Sie sahen darin aus wie erfolgreiche Geschäftsmänner, mit denen sie – seit die Gehaltsobergrenze für Profis abgeschafft wurde – auch die Lohnklasse teilten. Auch Steve Heighway und Berti Vogts kämpften im Europa Cup 1977 mit Kragen am Trikot um den Pokal.
2.
So viel Bein zeigte man an der Weltmeisterschaft 1982! Der argentinische Fussballgott Diego Maradona (links) und sein brasilianischer Gegenspieler steckten sich die Leibchen adrett in die Hosen, die so kurz waren, dass aus einer gezielten Grätsche leicht ein peinlicher Ausrutscher wurde.
3.
Mit der Hip-Hop-Kultur der Neunzigerjahre wurden die Shirts wieder weiter und die knielangen Hosen so schlabbrig wie die Shorts der Basketball-Ikone Michael Jordan. Im Bild sprintet Alain Sutter 1994 für Bayern München im Spiel gegen Dynamo Kiew
in weiten Hosen übers Feld.
4.
Berüchtigt war der Torhüter Campos aus Mexiko für seine abschreckend schrillen Trikots. Er wirkte darin wie eine Mischung aus Aztekengott und Tamagotchi, entworfen hat er die Outfits höchstpersönlich. Das war 1996, heute ist die Zeit der psychedelischen Experimente vorbei. Die Teams und ihre Spezialisten setzen auf schlichte Hemden mit Wirkung – es zählt weniger, was auf den Trikots drauf ist, als das, was in ihnen drinsteckt.
5.
Die Franzosen, die 1998 im eigenen Land erstmals Weltmeister wurden, nannte man in Anlehnung an die französische Tricolore die «équipe black-blanc-beur» (beur für braun auf Arabisch). Denn die Mannschaft rund um Kapitän Zinédine Zidane bestand fast ausschliesslich aus dunkelhäutigen Spielern. Die Politiker erklärten es zum Symbol für gelungene Integration, die Jungen trugen das Trikot triumphierend in die Banlieues.
6.
Dzemaili, Berahmi & Co. zeigen an der EM in Frankreich Muskeln. Das Shirt sitzt bei den meisten eng wie die Anzüge der Schweizer Ski-Nati. Der Trend zum engen Hemd ist nicht neu. Erfunden haben ihn natürlich nicht die Schweizer, sondern die Italiener. An der WM vor 14 Jahren sorgten sie mit ihrem engen Tenü für Aussehen. Christian Vieri (im Bild) und seine Mannschaft zogen zwar mit ihren körperbetonten Trikots die Aufmerksamkeit auf sich, spielerisch scheiterten sie aber – und zwar im Achtelfinale gegen Südkorea.
7.
Die ärmellosen Trikots, die die Nationalmannschaft von Kamerun am Africas Cup 2002 trug, liess die Fifa für die WM im gleichen Jahr nicht zu. Der Grund: Es fehlten nicht nur die Ärmel, sondern auch die Fifa-Abzeichen, die auf ihnen hätten appliziert werden sollen. Nur zwei Jahre später sorgten die «unzähmbaren Löwen» für den nächsten Trikotstreit: Den körperbetonten Einteiler namens UniQT, der ebenfalls von Puma entwickelt worden war, verbot die Fifa prompt und bestrafte so viel modischen Eigensinn mit einer Busse von 200’000 Franken.
8.
Um die Disziplin durchzusetzen, reglementiert die Fifa nicht nur das Aussehen der Trikots, sondern auch ihre Verwendung peinlich genau. Seit 2002 sieht jeder Spieler, der sich beim Torjubel das Trikot vom Körper reisst, die gelbe Karte. Dem Kroaten Ivan Perisic war das beim Spiel Spanien-Kroatien am Dienstag egal. Er freute sich so über das 2:0 und den damit verbundenen Gruppensieg, dass er sich das Shirt vom Körper riss.
9.
Je nach persönlichem Gusto tragen die Spieler der Schweizer Nationalmannschaft mal engere, mal weitere Trikotschnitte. Gemein ist aber allen der leichte, dünne Stoff (so viele Brustwarzen!). Im Gruppenspiel gegen Frankreich rissen insgesamt sieben Shirts der Schweizer Nati-Spieler, in der Boulevard-Presse war am Tag danach deshalb von einem «Trikot-Gate» die Rede. Mittlerweile hat sich Puma für den Vorfall entschuldigt und erklärt, die Trikots seien mit fehlerhaftem Material hergestellt worden. Am Samstag steht die Schweiz gegen Polen im Achtelfinale, wir hoffen, dass wir dann nur nackte Oberkörper sehen, wenn Tore fallen und die Schweizer Fussballer sich – so wie Ivan Perisic – vor Freude nicht mehr zurückhalten können.
10.
Die ersten Fantrikots verkaufte Real Madrid in den Sechzigerjahren. Heute setzen die europäischen Clubs mit Trikots, Schals und Mützen jährlich Hunderte von Millionen um. Ob das neue Trikot atmungsaktiv und ultraleicht ist, spielt für die Anhänger im Stadion oder auf dem Barhocker keine Rolle. Wahre Fans ziehen sich die Shirts ihrer Helden über, um an etwas teilzuhaben, das grösser ist als sie. Während Turnieren versammeln sich Hunderttausende Ronaldos, Ibrahimovics und Shaqiris in den Fanmeilen, sitzen vor den Bildschirmen und in den Kneipen und trauen sich sogar ins Büro…
11.
… und wenn Kinder die Bälle über den Vorplatz kicken, wird aus zwei PET-Flaschen ein Tor und aus dem Nachbarsmädchen eine Fantribüne. Doch erst das Trikot ihrer Helden macht aus den kleinen Schützen die Stars, die sie gern wären.