Transplantationsgesetz: Marco (53) erhielt dank der Spenderlunge ein neues Leben
- Text: Sandra Brun
- Bild: Privat
In unserer Mini-Serie lassen wir drei Stimmen zur Abstimmung über das Transplantationsgesetz zu Wort kommen.
«Vor zwölf Jahren brach bei mir eine Autoimmunkrankheit namens Sarkoidose aus. Diese führte dazu, dass mein Immunsystem meinte, meine Lunge sei ein Fremdkörper, sie vernarbte völlig. Am Schluss hing ich anderthalb Jahre am Sauerstoff und hatte zuletzt noch ein Lungenvolumen von 13 Prozent. Da wurde klar, dass ich ohne Lungentransplantation sterben würde.
Ich finde, dass die Menschen, die noch eine Aufgabe haben, ein Organ verdienen. Wäre ich allein, wäre es für mich in Ordnung gewesen, zu gehen. Ich habe meinen Frieden geschlossen. Aber als Stiefvater von zwei Buben habe ich eine Aufgabe erhalten, die ich fertigführen will – das ist für mich bedeutend.
Ein Monstercheck für die Warteliste
Um überhaupt auf die Warteliste für eine neue Lunge gesetzt zu werden, hatte ich im Unispital ein Vorgespräch und eine Blutentnahme. Und dann ein zweites Gespräch, in dem ich informiert wurde, was auf mich zukommen würde: Medikamente, aber auch Gewohnheiten, die ich ändern müsste. Dann ging es für zwei Wochen ins Spital für einen Monstercheck. Von der Darm- und Magenspiegelung über Knochendichtemessung bis zu MRI, CT – da wird alles untersucht.
Ich war mir Spitalaufenthalte ja gewohnt durch meine Krankheit und diesmal kam ich nicht kränker raus, als ich rein ging. Ausserdem war jetzt klar, dass abgesehen von der Lunge alles gut ist, das war ein Aufsteller. Am Ende kam der Chefarzt Dr. Inci zu mir und sagte: «Herr Witzig, ich freue mich darauf, Sie zu operieren!» Das fand ich grossartig. Da wusste ich, dass da jemand mit Herz dahinter ist.
«Herr Witzig, wir haben ein Organ für Sie!»
Während der Wartezeit durfte ich die Schweiz nicht verlassen, konnte aber normal weiterleben. Letzten Frühling hatte einer meiner Buben in einem Skatekurs Kontakt mit einer Person, die Corona hatte, und ich bin sofort von zu Hause weg zu einem Freund gezogen. Drei Tage später klingelte dort mein Telefon: «Herr Witzig, wir haben ein Organ für Sie!» Da habe ich schon gezittert und musste mich kurz hinsetzen. Sieben Minuten später stand der Krankenwagen vor der Tür und brachte mich mit Blaulicht ins Unispital Zürich.
Ich wurde für die Operation vorbereitet, musste aber noch eine Nacht warten, da jemand noch nicht Abschied nehmen konnte von der spendenden Person. Am nächsten Morgen brachten sie mich in den Operationssaal. Knapp acht Stunden wurde ich von drei Teams operiert. Die Lunge musste passen, nicht nur von der Grösse und der Blutgruppe her, sondern auch bezüglich viraler Erkrankungen, die zwischen der spendenden Person und mir übereinstimmen mussten. Und schlussendlich entschied der operierende Arzt Dr. Inci, dass die Lunge zu mir passt.
Es fühlte sich an wie eine Wiedergeburt
Nach der Operation war ich dreieinhalb Tage im künstlichen Koma, dann haben sie mich aufgeweckt. Die folgenden Tage waren hart. Ich hatte starke Schmerzen, wurde vollgepumpt mit Morphium, war im Delirium. Es fühlte sich an wie eine Wiedergeburt. Ich konnte mich nicht bewegen, war auf Pflege angewiesen wie ein Kleinkind. Das war im Kopf am Anfang schwierig. Aber sobald ich es akzeptierte und zuliess, war es in Ordnung. Und ich bin den Pfleger:innen wahnsinnig dankbar, denn sie waren sehr fürsorglich und empathisch.
«Ich konnte zu Hause die Treppen hochsteigen, es war unglaublich. Vor der Operation dauerte das zwanzig Minuten, danach noch eine»
Ich war sechs Wochen auf der Warteliste für eine Lunge. Normalerweise wartet man sechs bis 24 Monate. Und weniger als einen Monat nach der Operation war ich wieder zu Hause, viel früher als erwartet. Ich konnte heimlaufen, zu Hause die Treppen hochsteigen, es war unglaublich. Vor der Operation dauerte es zwanzig Minuten, bis ich oben war, danach noch eine. Ich hatte plötzlich ein neues Leben und wurde fast etwas hyperaktiv.
Weg mit dem Sauerstoffapparat
Doch so schnell und positiv alles ging, hat es mich dann schon eingeholt. Eine Transplantation ist etwas derart Grosses im Leben, das musste ich erst verarbeiten. Wieder mein Leben leben zu können, zu Hause zu sein, mit den Buben rumtollen und kuscheln – ich musste schlicht mein Glück erst fassen.
Früher hatte ich einen koffergrossen Sauerstoffapparat zu Hause, hatte Tag und Nacht einen Schlauch im Gesicht. Den konnte ich jetzt einfach in eine Kiste packen, zur Post bringen und auf Nimmerwiedersehen wegschicken. Das war grandios.
«Wieder mein Leben leben zu können, zu Hause zu sein, mit den Buben rumtollen und kuscheln – ich musste schlicht mein Glück erst fassen»
Mein Körper war vor der Operation so am Limit, dass er nicht mehr alle Muskeln mit Sauerstoff versorgen konnte, ich hatte Muskelschwund, wog noch 46 Kilogramm – jetzt sind es wieder 66 Kilogramm. Meine Lunge braucht vor allem den Stoffwechsel. Ich muss mich also viel bewegen, damit sie gut funktioniert. Aber ich habe eine gesunde Lunge. Während ich früher mein Lungenvolumen mühsam trainieren musste, konnte ich sofort nach dem Aufwachen einfach wieder normal atmen.
Ein anderes Leben als früher, aber ein gutes
Ich muss Medikamente nehmen, für den Rest meines Lebens. Diese unterdrücken mein Immunsystem, damit mein Körper die Lunge nicht abstösst. Ich muss aber auch schauen, dass ich mir keinen Sonnenbrand oder keine Schürfungen hole, weil mein Immunsystem quasi inexistent ist. Aber ich sehe das nicht als Einschränkung, sondern als etwas Positives. Ich muss anders leben als früher, aber es ist ein gutes Leben.
Statt dem Velo habe ich jetzt ein E-Bike. Und Sechs- oder Siebentausender besteigen, so wie früher, kann ich noch nicht. Es ist alles noch so frisch. Aber ich weiss, dass ich nächsten Winter wieder aufs Snowboard steigen werde – nicht mehr so extrem wie früher, aber ich kann so snowboarden gehen, dass ich Spass habe mit den Buben. Und das ist alles, was ich brauche.
Das Böse erhält keinen Platz mehr
Meine Lunge fühlt sich nicht fremd an, aber anders, wie ein Neubeginn. Die Narbe quer über meine Brust erinnert mich jeden Tag daran, dass ich ein neues Organ habe. Und auch die Medikamente, das zweimal tägliche Inhalieren. Aber das ist für mich etwas Gutes, ich bin wahnsinnig dankbar für dieses Organ. Wenn ich es nicht hätte, wäre ich nicht mehr hier.
«Ich fokussiere mich nur noch auf das Positive. Das war so eine grosse Operation, so eine grosse Sache – da stirbt jemand für dich!»
Dem Bösen gebe ich keinen Platz mehr in meinem Leben, ich fokussiere mich nur noch auf das Positive. Das war so eine grosse Operation, so eine grosse Sache – da stirbt jemand für dich! Für mich ist allein das schon ein Grund, das Beste daraus zu machen, für diese Person weiterzuleben.
Ich bin heute sensibler, näher am Wasser gebaut und nicht mehr so ruppig. Vielleicht hängt das mit der spendenden Person zusammen, vielleicht auch einfach mit der Tragweite dieser Operation. Das verändert einen.
Mit einer Organspende kann man so viel Glück schenken
Irgendwie würde ich der Familie der spendenden Person gerne Danke sagen für das Organ und dafür, was mir dadurch geschenkt wurde. Ich fürchte mich aber davor, ihnen wehzutun. Ich warte noch ab und will ihnen Zeit geben, zu trauern. Ein Jahr ist kurz. Aber ich hätte die Möglichkeit, einen Brief zu schreiben, der anonym weitergegeben wird.
Vielen Menschen ist nicht bewusst, wie viel Glück man mit einer Organspende schenken kann – nicht nur für Empfänger:innen, sondern für ihr ganzes Umfeld. Eine Woche vor meiner Operation musste eine Person sterben, weil sie nicht rechtzeitig eine Lunge erhielt. Deshalb stimme ich natürlich Ja am 15. Mai.»
Bundesrat und Parlament wollen bei der Organspende die Widerspruchslösung einführen: Am 15. Mai 2022 stimmt das Volk über diesen Vorschlag ab. Unter der Widerspruchslösung versteht man, dass sich eine Person während ihres Lebens in ein Register eintragen muss, wenn sie ihre Organe nicht spenden will.
Angehörige können die Organspende weiterhin ablehnen, wenn sie wissen oder vermuten, dass die verstorbene Person ihre Organe nicht spenden wollte. Wenn keine Angehörigen erreicht werden können, dürfen keine Organe gespendet werden.