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Tausend Tage Ferien

Leben

Tausend Tage Ferien

  • Text: Jessica Prinz; Bild: Getty Images

Kürzlich sass ich mit einem Bekannten im Auto, auf dem Weg nachhause in die Berge. Er Mitte sechzig, ich Ende zwanzig. Zwei Stunden Fahrt hatten wir vor uns. In Anbetracht der Tatsache, dass unsere Interessen und unsere aktuelle Lebenssituation kaum Berührungspunkte boten, eine verdammt lange Zeit. Und so kamen wir, wie so oft in solchen Situationen, ziemlich rasch zum Gesprächsthema Nummer eins eines jeden Durchschnittsschweizers: die Arbeit.

«Jetzt arbeite ich nur noch zwei Monate, dann werde ich pensioniert», sagte der Bekannte nachdenklich. Es schien ihn zu beschäftigen, denn wir sprachen anschliessend ziemlich lang über seine Pläne für die Zeit «danach», über seinen Nachfolger im Büro und über seine Hobbys, denen er sich künftig vermehrt widmen will. Dann begann mein Kopf, im Stillen zu rechnen: Was bei ihm in zwei Monaten anstand, darauf würde ich noch fast vierzig Jahre hinarbeiten. Im wahrsten Sinne des Wortes. «Krass», meinte ich nach einer kurzen Pause – aus seiner Sicht wohl etwas unvermittelt. Ich erklärte ihm meine spontane Gefühlsäusserung, danach schwiegen wir wieder für eine Weile. Bis mein Bekannter sagte: «Jetzt beschäftigt es dich, richtig?» Klar tat es das. Aber auf eine erstaunlich positive Art. Denn vierzig Jahre – das ist eine echt lange Zeit. Und vor allem: eine echt lange Zeit, die mir bleibt, um noch ganz vieles zu schaffen im Leben.

Viel zu oft setze ich mich selber extrem unter Druck – typisch Generation Y. Das betrifft nicht nur die Arbeit, sondern mein Millennial-Leben allgemein. Bin ich schön genug? Intelligent genug? Witzig genug? Auch cool genug? Immer wieder ploppen diese Fragen unaufgefordert auf. Vor allem im Job habe ich das Gefühl, die Beste sein zu müssen und die unglaublichsten Projekte stemmen, Preise gewinnen und richtig berühmt werden zu müssen. So, wie es einige meiner ehemaligen Mitstudenten und Berufskolleginnen in meinem Alter bereits sind. Jedenfalls rede ich mir das ein, dabei werden es in Wirklichkeit vermutlich nur wenige sein. Und mit dieser herausragenden Handvoll meine ich, mich ständig vergleichen und aufs gleiche Treppchen stellen zu müssen. Und das bitte jetzt. Sofort.

Dabei: vierzig Jahre, hallo?! Zieht man von 365 Tagen im Jahr die Ferien, Wochenenden und Feiertage ab, so arbeitet man bei einem Hundert-Prozent-Pensum ungefähr 225 Tage pro Jahr. Mir bleiben also noch 9000 Tage zu je – sagen wir einfachheitshalber 8 Stunden. Das gibt: 72 000 Arbeitsstunden. Und da sind die ganzen – hoffentlich gesunden – Rentnerinnenjahre noch nicht mal eingerechnet. Tatsächlich krass, oder? Besonders, wenn man diese noch verbleibende Zeit den läppischen zwei Jährchen gegenüberstellt, die ich mittlerweile in meinem Beruf arbeite. Diese entsprechen lediglich einem Zwanzigstel dessen, was noch vor mir liegt. Und selbst in diesem ist ja schon viel passiert …

Mein Gefühl sagt mir: Das wird schon mit dem Leben und mir. Also: einmal durchatmen, bitte. Ein Schritt nach dem anderen. Nicht nur im Arbeitsalltag, sondern auch an den rund tausend bezahlten Ferientagen, die mir noch bleiben. In denen ich mich von der Arbeit erholen und neue Kraft für neue Projekte und neue Ideen sammeln kann – und zwischendurch auch einfach mal den Kopf abschalten.

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