Jerry Hall verliess Texas mit 16, wurde Supermodel, Stil-Ikone, die Geliebte von Bryan Ferry und die Ehefrau von Mick Jagger. In Austin sprach sie mit uns über Cowboys, Gedichte, Mick Jagger und die Vorliebe ihrer Grossmutter für die Beerdigungen fremder Leute.
Jerry Hall erscheint im gepunkteten Deuxpièces, grüsst mit Küsschen und schnappt sich eine in Speck eingerollte Dattel vom Buffet. «Mit Speck liegst du nie falsch», sagt sie und lacht aus tiefer Kehle. Jerry Hall, die in Texas aufgewachsen ist und heute in London lebt, ist im Hotel Driskill von Austin, um den ersten Direktflug von British Airways von London in die texanische Hauptstadt zu bewerben. Es seien ausschliesslich Fragen zu Austin erlaubt, hiess es im Vorfeld. Aber Jerry Hall versprüht glamourösen Charme statt geschäftiger Strenge: Sie lässt ein Glas Rotwein bringen, winkt uns auf die Terrasse und steckt sich eine Zigarette an.
annabelle: Jerry Hall, was macht Texas einzigartig?
JERRY HALL: Das Beste an Texas sind die Menschen. Texaner sind sehr freundlich, zurückhaltend und bemüht, dass alle eine gute Zeit haben. Und sie lieben Witze.
Erzählen Sie einen!
Es gibt hier so viele lustige Redewendungen, zum Beispiel: Frag einen Mann nie nach der Grösse seiner Ranch (lacht). Oh, es gibt so viele. Auch der Slogan: «Keep Austin weird», ist grossartig! Denn Austin besteht zur einen Hälfte aus Hippies und zur anderen aus Cowboys.
Was ist Ihr Lieblingsort in Austin?
Ich liebe es, in Barton Springs zu schwimmen. Ich bin gern am Wasser, besonders wenn es heiss ist. In Austin gibt es viel Wasser, und es ist sauber. Und ich fahre gern raus ins Hügelland, wo die Bluebonnet blüht, die Staatsblume von Texas. Und Fredericksburg ist nicht weit entfernt. Die Stadt wurde von deutschen Einwanderern gegründet, man ist noch immer sehr stolz auf diese Abstammung. Es gibt dort ein Oktoberfest, das beste Bier und gute Würste.
Austin ist die Hauptstadt der Livemusik. Waren Sie schon einmal am Festival South by Southwest, das jedes Jahr Tausende nach Austin lockt?
Ich bin da sogar aufgetreten! Ich habe Country-Gedichte vorgetragen, die ich selbst geschrieben habe. Pete Townshend, das Mastermind von The Who, hat mich auf der Gitarre begleitet. Mein Sohn, Jimmy Jagger, steht jedes Jahr auf einer der Festivalbühnen. Natürlich bin ich im Publikum. Seine Band Turbogeist macht eine Art Rock n’ Roll mit Punk. Es ist grossartig.
Welche Musik mögen Sie?
Ich liebe Country und Western Musik. Johnny Cash ist der beste. Und ich liebe Willie Nelson. Er ist absolut grossartig!
Welche Konzertlokale besuchen Sie in Austin?
Es gibt so viele. The Continental Club ist gut. Und weiter oben an der South Congress Avenue ist der C-Boys Club. Und ich liebe diesen Club in San Marcos, das ist nicht weit von hier. Er wurde in den 1930ern gebaut und bis heute wurde nichts geändert. Viele junge Leute treten dort auf, da sind sehr interessante Bands dabei. Ach ja, ich gehe gern zum Rodeo. Es gibt im Sommer noch immer viele Rodeo-Turniere in der Gegend.
Was ist der beste Rat, den Sie je bekommen haben?
Meine Grossmutter sagte immer zu mir: Bring das Heu rein, solange die Sonne scheint! Sie meinte damit: Sag ja zu allem, so lange du kannst, verpasse keine Chance.
Mögen Sie Whiskey?
Ich habe ganz bestimmt viel Jack Daniels gesehen in meinem Leben (lacht). Aber nein, ich liebe Wein und Margaritas. Die trinke ich im Four Seasons Hotel und schaue zu wie die Fledermäuse bei Sonnenuntergang von der Congress Avenue Bridge aufsteigen. Austin hat die grösste Fledermaus-Kolonie der USA.
Sie sind eine echte Südstaaten-Schönheit …
Oh, das ist sehr nett!
Über Sie wird auch gesagt, dass Sie den typischen Charakter des Südens haben. Was ist damit gemeint?
Ich bin ja schon so lange unterwegs und habe meinen Südstaatenakzent immer behalten. Meine Familie ist mir sehr wichtig, deswegen komme ich oft nach Texas zurück. Viele Freunde leben hier. Vielleicht macht mich das zu einem echten Südstaaten-Girl. Vielleicht sagt man das aber auch, weil ich ständig grosse Geschichten erzähle (lacht). Die Texaner lieben Geschichten. Sie machen ihre Erzählungen immer ein bisschen besser als die Wirklichkeit war.
Sie sind in Dallas aufgewachsen.
Ich bin in Gonzales geboren, dann zog meine Familie hoch nach Mesquite, das liegt ausserhalb von Dallas. Wir verbrachten jedes Jahr drei Sommermonate auf der Farm meiner Grossmutter in der Nähe von Austin. Meine Cousins leben noch heute hier in der Gegend.
Wie war Austin in den Siebzigerjahren?
Es war schön, immer schon. Die Stadt ist in den letzten Jahren extrem gewachsen. Es gibt so viele neue grosse Gebäude und Geschäfte. Aber Austin hat seinen Charme nicht verloren. Die Stadt ist schräg! Ich mag es, dass die Leute hier so tolerant sind.
Wie war es, hier aufzuwachsen?
Es hat viel Spass gemacht. Im Sommer sind wir viel geschwommen. Meine Grossmutter hatte eine Hühnerfarm. Wir lebten also auf dem Land und kamen nach Austin zum Einkaufen. Es gab diese Shops, wo man Dinge für 5 Cents kaufen konnte. Das war aufregend.
Haben Sie damals schon Musik gehört?
Ja, sehr viel. Meine Grossmutter spielte Klavier und meine Mutter Geige. Wir gingen jeden Sonntag zur Kirche, wo meine Mutter Klavier spielte und ich sang. Zu Hause hörten wir Radio. Es gab immer Musik, überall.
Welche Musik?
Sie liebten den Polka (lacht). Besonders meine Mutter liebte es, den Polka zu tanzen.
Besuchten Sie als Jugendliche schon Konzerte in Austin?
Ja, ich hatte Freunde, die hier an der Uni studiert haben. Ich habe sie oft besucht und wir sind ausgegangen.
Aber irgendwann wurde Ihnen Austin zu klein.
Nun ja, ich war sechzehn und wollte ein Model werden. Also ging ich nach Paris. Meine Mutter nähte mir Kleider. In ihrer Vorstellung entsprachen sie genau der Art, wie man sich in Paris kleidet. Sie waren sehr, sehr glamourös und ein bisschen kitschig. Hauteng, aus rotem Satin mit diesen langen Schlitzen, durch die man meine Beine sehen konnte. Ich hatte Federboas und wenn ich ausging sagten alle: «Wow, ich liebe dein Outfit!» Es war so kitschig. Fantastisch!
Sie leben seit Langem in London. Ist Texas Ihre Heimat oder London?
In London bin ich zuhause, aber mein Herz ist immer noch in Texas. Ich schreibe Gedichte, die meisten davon handeln von Texas, von den Texan Boys und all so was. Eines wurde kürzlich in der englischen Literaturzeitschrift Arté veröffentlicht. Es heisst «Strangers Funeral» und es handelt davon, wie gerne meine Grossmutter an die Beerdigungen von Fremden ging. Sie nahm uns immer mit, wenn immer sie von einer hörte (lacht). Sie sagte immer: «Es ist nett, wenn man einen guten Abgang hat.» Man braucht etwas zu tun auf dem Land.
Sie lieben Gedichte.
Hier haben Sie diese Cowboy Festivals. Da sitzen die Cowboys um die Lagerfeuer rum und lesen ihre Gedichte vor. Cowboys sind sehr poetisch.
Wer sind Ihre Lieblingsautoren?
Ich mag Mark Twain und Flaubert. Aber die besten Dichter sind die Songschreiber. Wie Bob Dylan. Ich liebe ihn. Leonard Cohen. Mick ist grossartig, er ist ein Genie. Ich höre seine Songs noch heute, manchmal im Radio oder in den Geschäften und bin jedes Mal verblüfft, wie clever seine Texte sind. Die Rolling-Stone-Songs sind fantastisch.
Nach einem weiteren Glas Wein und einigen Speck-Datteln auf der Terrasse der Hotelsuite fragt Jerry Hall nach meinen Plänen für den ersten Abend in Austin. Ich will in den Continental Club, sage ich. Und da weiten sich Jerry Halls Augen, und sie sagt: «Dieser kleine, rundliche Mann. Er ist immer dort. Er wird Sie zum Tanzen auffordern. Sagen Sie nicht nein! Sagen Sie niemals nein! Sie müssen tanzen!»
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