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«Stillen in der Öffentlichkeit ist ein politisches Statement» 

«Stillen in der Öffentlichkeit ist ein politisches Statement» 

Die Bloggerin und Influencerin Lisa Banholzer ist vor einigen Monaten Mutter geworden. Bald musste sie lernen: In der (digitalen) Öffentlichkeit zu stillen, ist für manche Leute noch immer ein Tabu. Auch im vermeintlich liberalen Berlin-Mitte.

annabelle: Lisa Banholzer, Sie reden auf Social Media öffentlich darüber, wie sich Mom Shaming anfühlt. Wie erleben Sie dieses Phänomen, als Frau in der Mutterrolle geshamed zu werden?
Lisa Banholzer: Ich habe leider die Erfahrung gemacht, dass dieses Shaming vor allem durch andere Frauen geschieht. Es sind meistens wertende Kommentare – off- und online –, zum Beispiel, wenn es ums Stillen geht. Freundinnen ohne Kinder sagen: Oh, das sieht verstörend aus! Willst du nicht mal lieber noch ein Tuch über die Schulter legen? Oder ich merke, wie andere Frauen in der Öffentlichkeit über mich reden, weil ich in einem Restaurant sitze und stille. Mir wurde auch schon erklärt, es sei unangebracht, dass ich bei einem Meeting mit einer neuen Praktikantin meiner Tochter die Brust gebe. Ich bin selbstständig, ich habe eine eigene Firma, deren Firmenkultur ich selber präge und ich würde behaupten, dass es eine sehr weibliche Kultur ist. Und trotzdem wird mir die Freiheit genommen, an dem von mir geschaffenen Arbeitsplatz ohne Scham zu stillen.

Man könnte meinen, dass in Städten wie Zürich oder Berlin – also in einem urbanen und modernen Umfeld – dieses Thema keine Rolle mehr spielt.
Aber genau das ist eben nicht der Fall. Auch hier in Berlin-Mitte gibt es Orte, an denen mir das Gefühl gegeben wird: Bitte mach das hier nicht. Das hat mich anfangs verunsichert und in Erklärungsnot gebracht. Wenn Frauen in meinem nahen Umfeld mich in meinem Handeln in Frage stellten, verunsicherte mich das. Es liess mich zweifeln: Sollte ich mich beim Stillen doch lieber verstecken, mich mehr zurückziehen?

Sie haben sich aber dagegen entschieden.
Ja, weil ich gemerkt habe, dass ich eine Scham entwickle für etwas, für das ich mich nicht schämen muss. Ich packe ja nicht einfach meine Brüste aus. Ich stille mein Kind.

Es ist krass, dass etwas vom Natürlichsten der Welt für so viel Aufsehen sorgt.
Der weibliche Nippel ist im öffentlichen Raum anscheinend ein Problem – das gilt auch für die digitale Öffentlichkeit übrigens. Auf Instagram wird der Nippel einer Frau zensiert, männliche Nippel hingegen sind kein Problem. Das Sexualisieren der weiblichen Brust ist überall okay, die Kommerzialisierung ist normal. Aber wenn es darum geht, dass eine Brust im mütterlichen Kontext gezeigt wird, geht das nicht. Dabei ist das der natürlichste Vorgang überhaupt – dafür ist die Brust ja eigentlich geschaffen. Aber man findet das zu intim, zu sexuell. Ich empfinde diese Haltung als eine Entfremdung der eigenen Natur, der eigenen Weiblichkeit.

Sie posten Bilder von sich stillend. Was für Rückmeldungen erhalten Sie?
Zustimmende, aber auch viele wertende. Ich finde es interessant, dass Menschen mir und anderen Frauen ein Regelwerk an die Hand geben wollen, wo und wie wir unsere Babies nähren dürfen. Zum Beispiel der Einwand: Du darfst ja überall stillen, aber bitte mit Tuch drüber. Das impliziert, dass ich mehr Rücksicht auf die Leute um mich herum nehmen soll als das Wohl meines Kinden in den Fokus zu stellen. Wenn das Baby sich mit Tuch geschützter fühlt, ist das super – wenn das Tuch das Baby jedoch beim Trinken irritiert, ist es auch ohne fine.

Posten Sie Bilder von sich beim Stillen, um eine Vorbildfunktion einzunehmen?
Ja, vielleicht. Man kann tatsächlich das Gefühl bekommen, dass Stillen in der Öffentlichkeit ein politisches Statement ist. Wir müssen uns trauen, weiter am öffentlichen Leben teilzunehmen und uns nicht ins Häusliche drängen lassen. Für mich sind diese Mom-Shaming-Momente eben auch ein Zeichen dafür, dass man Frauen schön in einer bestimmten Spur behalten möchte. Sie sollen ja nicht ausbrechen aus den genormten Systemen.

Mama got mail

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Aus diesen Normvorstellungen und Erwartungen auszubrechen, ist aber gar nicht so einfach. Man will ja nicht als schlechte Mutter gelten.
Genau das ist das Problem. Wir repetieren Stereotypen, weil es uns an Alternativen fehlt und weil wir einem Ideal nacheifern, das auf eben diesen stereotypen Normen basiert. In der Gesellschaft gilt eine Mutter immer noch meist als weiche, unschuldige und harmonische Figur. Das habe ich schon in meiner Schwangerschaft gemerkt. Ich wollte zum Beispiel nicht nur weite, geblümte Kleider tragen, sondern auch mal sexy sein. Und das geht mir auch heute noch so: Ich kann mal eine Runde tanzen gehen und mein Kind zu Hause bei meinem Partner lassen und ich bin trotzdem eine gute Mutter. Wer definiert denn bitte überhaupt, was eine gute Mutter ist?

Ja, wer denn?
Ich glaube diese Thematik ist moralisch sehr aufgeladen. Auch unsere eigenen Mütter spielen eine grosse Rolle, das merke ich bei mir. Meine Mutter hat mir immer wunderschöne Kinderlieder vorgesungen, aber ich kann nicht singen. Was soll ich tun? Muss ich auch singen können? Von solchen Gedanken bin auch ich nicht befreit.

Wie durchbrechen Sie diese Denkmuster?
Ich versuche mich zu fragen, woher das schlechte Gewissen kommt. Kommt das wirklich von mir? Ist das etwas, was mich belastet? Will ich einfach einem Bild entsprechen? Das merke ich auch manchmal im Umgang mit meinen Freundinnen. Ich will super easy aussehen und locker, damit ich nicht das Klischee einer gestressten Mutter verkörpere. Das mache ich aber nicht für mich, sondern für mein Gegenüber.

Lisa Banholzer mit ihrer Tochter Mila.

(Die Einnahmen für dieses Bild wurden von Lisa Banholzer
und Giannina-Erfany-Far gespendet) 

Sie wurden auf Instagram sehr für ein Bild kritisiert, das Sie stillend an einer «Black Lives Matter»-Demo zeigte.
Das Bild hat eine Freundin von mir gemacht. Ich habe es mit der Caption «Ich still, wo ich will» gepostet. Darauf meldeten sich einige Mütter, die mir Komplimente machten, die mir schrieben, dass sie sich selbst nicht getraut hätten, ihr Baby mitzunehmen und deshalb zu Hause geblieben sind, obwohl sie gerne an die Demo gegangen wäre. Dann gab es auch einige, die mich dafür kritisierten. Mir geht es natürlich nahe, wenn mir vorgeworfen wird, ich hätte mein Kind in Gefahr gebracht. Aber auch hier habe ich versucht, mich darauf zu besinnen, wie ich als Mutter die Situation eingeschätzt habe. Die Demo war friedlich, ich war eine Stunde mit Mila da, weil es mir ein Anliegen für mich und meine Tochter war, an diesem Tag ein Zeichen zu setzen.

Mittlerweile ist der Post gelöscht.
Der Grund dafür ist aber nicht die Still-Thematik. Mir wurde kurz nach dem Post bewusst, dass für mich etwas mit dieser Botschaft dieses Fotos nicht stimmt. Dieses Bild hat von dem eigentlichen Thema und von der «Black Lives Matter»-Demo abgelenkt. Und somit auch davon, dass meine Tochter später in ihrem Leben wegen ihrer Hautfarbe mit Rassismus konfrontiert werden könnte. Das Bild wurde diesem Tag nicht gerecht und darum habe ich es aus Respekt gegenüber der Bewegung und der Black Community entfernt.

Wie haben Sie als Feministin das Mutterwerden erlebt?
Es hat mir in erster Linie gezeigt, dass wir alle noch gar nicht so weit sind, wie wir denken. Viele Dinge, die gesetzlich und symbolisch gleichgestellt sind, sind in der Gesellschaft nicht angekommen. Durch Shaming werden Frauen systematisch kleingemacht. Es wird ihnen schwer gemacht, am öffentlichen Leben teilzunehmen oder ihrer Arbeit nachzugehen. Diese Bias sind nicht offensichtlich, aber sie sind in den Köpfen und Systemen verankert. Und dass wir Frauen uns gegenseitig shamen, muss uns zu denken geben.

Und was haben Sie als Mutter übers Frausein gelernt?
Grosszügiger mit meinem Körper zu sein. Ich bin aufgewachsen mit der Einstellung, sehr streng gegenüber mir und meinem Aussehen zu sein. Ich habe während der Schwangerschaft nicht viel zugenommen, das ist wohl eine genetische Voraussetzung. Trotzdem hatte ich natürlich ein Bäuchlein nach der Geburt. Ich habe gelernt, das liebevoll anzugucken und zu sagen: Das ist da, weil ich ein Kind bekommen habe. Und ich habe gelernt, stolz zu sein und die eigene Stärke anzuerkennen.

Das ist es wahrscheinlich, was andere einschüchtert: Die Stärke einer stillenden Frau.
Genau. Denn ich sitze hier und ernähre gerade ein Lebewesen.