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Starke Damen, die man sehen muss

Starke Damen, die man sehen muss

  • Text: Kerstin Hasse; Fotos: Filmcoopi 

Berührend und bereichernd: Die Regisseurinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond porträtieren in ihrem Dokumentarfilm «Les Dames» fünf Frauen über 65. Nun kommt der Erfolgshit aus der Westschweiz in die Deutschschweizer Kinos.

Es sind fünf Frauen, die die beiden Regisseurinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond ins Zentrum ihres Films stellen. Frauen, die allein leben – als Singlefrau, als Witwe oder als geschiedene Frau über 65. Sie alle denken über ihr Leben nach, über ihre Vergangenheit und über ihre Zukunft. Sie reflektieren, was allein sein für sie heisst, warum ihnen die Einsamkeit Angst macht und ob sie sich vorstellen könnten, eine neue Partnerschaft einzugehen. Uns hat dieser Film berührt, er hat beim Zuschauen für Lacher und für Tränen gesorgt. Und wir finden: Es gibt fünf gute Gründe, warum Sie diesen Film unbedingt sehen müssen.

Berührende Nähe

Über ein Jahr lang haben die beiden Filmemacherinnen die fünf Frauen Carlita, Marion, Odile, Pierrette und Noëlle in ihrem Leben begleitet. Durch die Kamera beobachten sie, wie sich die Protagonistinnen weiterentwickeln. Pierette etwa, die wenige Wochen bevor sie die Regisseurinnen kontaktierte, ihren Mann verloren hatte. Sie schafft es, sich dieser Trauer während des Films mehr und mehr zu stellen. Marion wiederrum wünscht sich, einen neuen Mann zu treffen. Und tatsächlich: Sie findet im Internet eine verwandte Seele. Einen Mann, mit dem sie – wie sie strahlend berichtet – ein Sexleben hat, «und zwar was für eines»! Die Nähe, die Chuat und Reymond zu den Frauen herstellen, ist besonders berührend. Wie sie das geschafft haben, fragen wir sie bei der Premiere in Zürich. «Vielleicht haben diese Frauen einfach gespürt, dass wir ihnen empathisch zuhören. Wir wollten ihre Geschichten hören und diese erzählen, wir wollten auch niemanden blossstellen», sagt Reymond. Die Kamera wird während des Films scheinbar unsichtbar. Durch die Linse der Filmemacherinnen beobachten wir, wie die Frauen sich im Bad entspannen, wie sie sich mit ihrem Körper und ihrer Sexualität auseinandersetzen, wie sie ihren Glauben und ihre Lebensentscheidungen reflektieren und wie sie ihren Alltag bestreiten. Der Blick von Chuat und Reymond auf das Geschehen hat dabei nichts Voyeuristisches. Eine Szene berührt besonders: Carlita, die nach über 30 Jahren Ehe von ihrem Mann verlassen wird und mit Angstzuständen und Phobien zu kämpfen hat, stellt sich ihrer Höhenangst. Sie fährt mit der Gondel auf den Glacier 3000. Während der Fahrt bricht Carlita in Tränen aus. «Wir wollten in der Mittelstation umkehren, aber Carlita nicht. Sie stürmte regelrecht zur nächsten Gondel. Wir haben gemerkt, dass das typisch für sie ist: Wenn sie etwas anfängt, dann zieht sie es durch», sagt Chuat.

Starke Protagonistinnen

Reymond und Chuat haben über einen Aufruf die Protagonistinnen für ihren Film gesucht. Über 100 Frauen haben sich darauf gemeldet. Manche, wie etwa Marion, ganz bewusst, weil sie die Regisseurinnen bereits von ihrem Film «La petite Chambre» kannte, der mehrfach ausgezeichnet wurde. Der Spielfilm handelt von einer Alterspflegerin, die sich eines älteren Herrn annimmt, der gegen seinen Willen im Heim wohnt. «Sie sagte uns, dass es für sie ganz klar war, dass sie mit uns zusammenarbeiten möchte und dass sie wisse, dass sie uns vertrauen könne», sagt Chuat. Mit den fünf ausgewählten Protagonistinnen haben die beiden Regisseurinnen ein gutes Gespür für Menschen bewiesen. «Wir haben fünf ganz verschiedene Frauen mit verschiedenen Geschichten und verschiedenen Vergangenheiten in diesem Film porträtiert. Manche sind geschieden, manche verwitwet, manche alleinstehend – und sie alle stehen vor einem Weg, den sie allein bestreiten müssen», sagt Reymond. Die Vielfalt an Charakteren macht den Film stark. «Unsere Frauen beweisen: Man ist nicht alt sondern, man ist, wer man ist. Mit all dem, was man im Leben durchgemacht und was man noch vor sich hat», ergänzt Chuat.

Ein ehrlicher Dialog

Braucht man denn überhaupt einen Partner zum Glück? Das ist eine Frage, die man sich durchaus stellen kann. Doch die Dokumentation «Les Dames» stellt nicht eine Beziehung als Ziel des Lebens dar, sondern zeigt auf, warum allein sein manchmal Angst machen kann. Schnell wird klar: Wenn sich diese Frauen mit der Einsamkeit auseinandersetzen und mit dem Wunsch, einen neuen Partner zu finden, dann geht es in erster Linie nicht darum, sich zu verlieben oder eine körperliche Beziehung zu suchen, sondern eine Person ins eigene Leben zu lassen, die für einen da ist. «Manche von ihnen waren jahrelang unsichtbar, weil sich ihre Identität im Mutter- oder Ehefrausein auflöste», sagt Chuat. Deshalb kommen im Film auch nur vereinzelt Freunde oder Familienmitglieder vor. Das war laut den beiden Filmemacherinnen keine Entscheidung, die sie aus kreativer Sicht trafen. «Die Frauen wollten von sich erzählen, nicht von ihren Kindern oder ihren Enkelkindern. Sie selbst sollten im Fokus stehen», sagt Chuat. Dieser Fokus und diese ehrliche Auseinandersetzung mit der Einsamkeit kam beim privaten Umfeld der Protagonistinnen nicht nur gut an. «Manche Familienmitglieder hatten Angst, wie ihre Mütter oder Schwester vom Publikum wahrgenommen werden», sagt Reymond. Diese Angst ist vielleicht verständlich, aber unbegründet. Jede Protagonistin wird respektvoll porträtiert und jede der fünf Frauen macht während des Films eine Entwicklung durch, die zeigt, dass sie in ihrem Leben einen Schritt weitergekommen sind. «Es gibt kein Alter, in dem man sich nicht emanzipieren kann oder fertig emanzipiert ist. Dieser Prozess hört nicht als Seniorin auf. Veränderung ist in jedem Alter möglich – das ist eine der starken Aussagen, die die Frauen uns vermittelt haben», sagt Chuat. 

Frauen hinter der Kamera

«Der Film machte uns noch einmal klar, wie sehr unsere Mütter dazu bestimmt waren, sich um die Familie zu kümmern. Ein schönes Zuhause zu schaffen, die Kinder zu erziehen und Mutter zu sein, das war mehr als eine Arbeit für sie, es war ihre Identität», sagt Reymond. Die Frauen, die sie im Film zeigen, sind fast alle mit diesem Weltbild und diesen Erwartungen aufgewachsen. Und sie alle versuchen mit dieser Vergangenheit einen neuen, selbstständigen Weg einzuschlagen. Die Darstellung rutscht dabei nicht in einen Opferdiskurs. Es geht vielmehr um gesellschaftliche Rollen, die sich über die Jahre verändert haben. Diese Frauen sind keine älteren Damen, die man bemitleiden muss – ganz im Gegenteil. Die beiden Filmemacherinnen wollten die Frauen in den Mittelpunkt stellen, die sonst eben nicht unbedingt im Rampenlicht stehen, und das zeichnet sie als Filmschaffende aus. Der Film beweist, warum es wichtig ist, dass es Frauen hinter der Kamera gibt, die ihre Ideen umsetzen.  

Ein durchaus feministischer Film

Genau diese Herangehensweise macht «Les Dames» zu einem feministischen Film. Chuat und Reymond geben den Frauen eine Stimme, die bis heute gesellschaftlich noch viel zu selten gehört werden. Sie reflektieren mit und durch diese fünf Frauen, woher ihre Protagonistinnen kommen, was sie auf ihrem Weg beeinflusst hat – seien das Erziehung, Ehemänner oder gesellschaftliche Strukturen – und wie es für sie weitergeht. Die Arbeiten zum Film entstanden weit vor den aktuellen Diskussionen um eine neue Welle des Feminismus und über #MeToo. Mehr durch Zufall passe der Film so gut in den Zeitgeist. «Es war unser persönliches intimes Interesse, diese Thematik aufzuarbeiten. Wie fühlen sich Frauen mit über 65 Jahren heute in der Schweiz? Wie wird es für uns sein, wenn wir mal über 65 sind? Dieser Film hat uns bewiesen, wie stark und selbstbestimmt diese Frauen sind», sagt Chuat. Der Film habe deshalb nicht unbedingt eine politische Botschaft, ergänzt Reymond: «Wir versuchten die Intimität dieser Frauen zu erforschen.» Das ist ihnen gelungen.

– «Les Dames» startet heute in den Deutschschweizer Kinos

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1.

Odile findet die Kraft in der Natur. 

2.

Pierrette hat ein Jahr vor Drehbeginn ihren Mann verloren. Dieser Trauer stellt sie sich im Film. 

3.

Nach 30 Jahren wurde Carlita von ihrem Mann verlassen. Das zwang sie zu einem Neuanfang. 

4.

Marion wünscht sich eine neue Beziehung – und findet ihr Glück im Internet.